Wie die alte SPÖ sich jetzt erneuern will
"Jammerpartei" nennt die FPÖ die Sozialdemokraten hämisch; in Kommentaren wird geunkt, die SPÖ sei in ihrer Oppositionsrolle noch nicht angekommen. Und in Boulevardmedien ist die Rede von der Ablöse Christian Kerns als Parteichef.
Es stimmt: Die Zeiten für die Roten waren schon mal besser. Was also tun?
"Sich neu orientieren", lautet die Antwort von Christian Kern. Er will die Zeit in der Opposition nicht nur dazu nutzen, um die Vorhaben der ÖVP-FPÖ-Regierung kritisch zu begleiten – dass die FPÖ Uniräte aus dem schlagenden Burschenschaftermilieu nominiert, nennt er etwa "Unterwanderung der staatlichen Strukturen durch Geheimbünde" –, sondern er will der SPÖ ein neues Programm verordnen: "Aus dem eigenen Schrebergarten raus" will man, sagt er.
Offene Debatte
Dafür hat Kern am Montag ein Grundsatzpapier vorgelegt, das an alle 180.000 Mitglieder verschickt wird. Bis Juni soll das dann zu einem neuen Programm heranwachsen – nicht nur Mitglieder, sondern auch die Zivilgesellschaft, NGOs und Wissenschafter sollen in die Debatte eingebunden werden. Im Juni wird dann per Mitgliederbefragung darüber abgestimmt; bei einem Ja wird das Programm dann im Herbst beschlossen.
Inhaltlich darf man sich von dem "mitte-links" verorteten Papier freilich noch wenig Neues erwarten. Es solle vorerst nur eine "Diskussionsgrundlage" sein, sagt auch Kern. Neu ist allerdings – neben Bekanntem wie der Sicherung des Wohlfahrtsstaates in Zeiten der Globalisierung und dem Nein zum "systemgefährdenden Finanzkapitalismus" – ein Punkt: Die Frage, wie man souverän gegenüber der " Boulevarddemokratie" auftritt.
Was damit gemeint ist?
Wohl eine Fortführung jenes Kampfes, den die SPÖ schon im Wahlkampf geführt hat: Da legte man sich ja offensiv mit der Gratiszeitung Österreich an. Das Blatt hatte, ebenso wie die Krone, im Zuge der Silberstein-Affäre ein internes Papier veröffentlicht, in dem vom "Glaskinn" des SPÖ-Chefs die Rede war. Kern hatte dann alle Inserate gestrichen. Jetzt, wo mit der Debatte um den ORF und die parteipolitische Einflussnahme der Regierung wieder eine neue Medienfreiheits-Debatte ausgebrochen ist, will Kern das wohl nutzen.
Urwahl des SPÖ-Chefs
Um Wählerreichweite und Glaubwürdigkeit zu erhöhen, will die SPÖ allerdings auch bei internen Strukturen Hand anlegen. Einige Spitzenposten – etwa die Bundesgeschäftsführung – wurden ja bereits getauscht, nun soll im Statut auch festgelegt werden, wer keinen Platz in der SPÖ haben soll. "Wer Mitglied in einer schlagenden Burschenschaft ist, kann nicht bei der SPÖ sein", sagt Kern mit Seitenblick auf die FPÖ.
Und er selbst? Er werde, entgegen aller Unkenrufe, Vorsitzender bleiben. Was er sich allerdings vorstellen könne, wäre eine Demokratisierung der Wahl zum Parteichef: "FPÖ und ÖVP sind reine Führerparteien", sagt er. In der SPÖ sei darum eine Urwahl des Vorsitzenden – also ein Entscheid aller 180.000 Mitglieder – durchaus denkbar.
Die SPÖ hat ihr Grundsatzpapier für ihr neues Parteiprogramm zwar bewusst allgemein gehalten, um eine Diskussin in Gang zu setzen, trotzdem finden sich auch in dem Entwurf schon einige konkrete Forderungen. Das Papier gliedert sich auf 67 Seiten in sieben Kapitel.
Im Kapitel "Für ein Recht auf gute Arbeit für alle" wird eine Verkürzung sowohl der Lebensarbeitszeit als auch der wöchentlichen Normalarbeitszeit gefordert. Weiters will die SPÖ einen gerechten Mindestlohn und "Vollbeschäftigung schaffen durch ein Recht auf gute Arbeit für alle". Unbezahlte Betreuungsarbeit soll gleichermaßen auf Männer und Frauen aufgeteilt werden. Auch die Wertschöpfungsabgabe ist Teil der Forderungen.
Im Kapitel "Wirtschaft für die Menschen" tritt die SPÖ für eine Verringerung der Unterschiede von "oben" und "unten" und eine möglichst breite Mittelschicht ein. Für eine sinnvolle Besteuerung von Vermögen soll eine Besteuerung von Millionenerbschaften ein erster Schritt sein. Wirtschaftserfolge sollen nicht nur über das Bruttoinlandsprodukt gemessen werden, sondern auch über Indikatoren, die mehr über die Lebensqualität aussagen - etwa soziale Teilhabe, ökologische Aspekte oder Gesundheit.
Das Kapitel "Für eine Gesellschaft, in der alle ihre Potenziale entfalten können" fordert flächendeckende und qualitativ hochwertige Kinderbetreuungs- und Bildungseinrichtungen, ganztägig geöffnet und öffentlich finanziert. Auch die gemeinsame Ganztagsschule der 6- bis 14-Jährigen mit innerer Differenzierung fehlt nicht. Gefordert werden auch "inklusive Wohngegenden" - keine Armen- und Reichenviertel. Die SPÖ bekennt sich zur bundesweit einheitlichen Mindestsicherung, zur staatlichen, umlagefinanzierten Pension und zu einem qualitativ hochwertigen, differenzierten Pflegeangebot, das allen offensteht.
Im Kapitel "Für eine gerechte Klima- und Umweltpolitik" will die SPÖ die ökologische mit der sozialen Frage verbinden. Sie plädiert für den Umstieg auf Elektromobilität und will Strom zur Gänze aus erneuerbaren Energieträgern in Österreich produzieren.
Das Kapitel "Für ein vielfältiges Zusammenleben" fordert eine gleiche Verteilung von Macht zwischen Männern und Frauen auf allen Ebenen der Wirtschaft, Bildung und Politik sowie eine völlige Gleichstellung von Lesben, Schwulen u.a. Gefordert werden auch der Erhalt und Ausbau der Medienvielfalt und ein starker ORF als öffentliche-rechtliches Medium sowie ein Verbot von Vorzensur und die Wahrung der journalistischen Freiheit.
Im Kapitel "Die Welt, in der wir leben, friedlicher und gerechter machen" tritt die SPÖ für eine Stärkung der Neutralität ein. Soziale und ökologische Ziele stehen für die Partei über dem Selbstzweck eines reinen Gewinnstrebens.
Im Kapitel "Für ein soziales und gerechtes Europa" setzt sich die SPÖ u.a. für effektive Maßnahmen gegen Steuerbetrug, harmonisierte Steuersätze für Unternehmen und die Finanztransaktionssteuer ein.
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