Nehammers erster Staatsbesuch: Schweiz als Freund, Österreich als Helfer

Das Areal um das Rathaus im Schweizer Städtchen Zofingen ist weiträumig abgesperrt. Die Schweizer sind vorsichtig: Impfgegner hatten zum Besuch von Bundeskanzler Karl Nehammer Proteste angekündigt, weil in Österreich die Impfpflicht eingeführt worden ist (dass diese teilweise schon wieder abgesagt wird, ist eine andere Geschichte, siehe Seite 5).
Statt wütenden Demonstranten steht an diesem Montagvormittag nur eine Gruppe Schüler hinter einer Absperrung. Die Kinder strecken Zettel in die Höhe, sie wollen ein Autogramm vom österreichischen Kanzler. Der wiederum wirkt vom Andrang überrascht. „Hat eure Lehrerin euch geschickt, um Unterschriften zu sammeln?“, scherzt er.
Militärische Ehren
Der Besuch ist auch für Nehammer etwas Besonderes – es ist sein erster bilateraler Staatsbesuch seit seinem Amtsantritt im Dezember. Der Kanzler und seine Delegation, der auch der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner angehört, werden mit militärischen Ehren empfangen.
Nehammer mag als Kanzler ein Neuling sein, beim militärischen Zeremoniell aber kennt er sich als Milizoffizier aus: Als die die Hymnen der Schweiz und von Österreich gespielt werden, steht er in Habt-Acht-Position. Beim Abschreiten der Ehrenformation mit dem Schweizer Bundespräsidenten Ignazio Cassis hält er konsequent Blickkontakt mit den Soldaten.

Kanzler Nehammer wurde am Montag vom Schweizer Bundespräsidenten in Zofingen empfangen – mit militärischen Ehren und Autogrammjägern.
Dieses Zeremoniell ist übrigens bei Staatsbesuchen auf der ganzen Welt üblich – es ist zugleich Machtdemonstration und Zeichen des Friedens: Die Soldaten symbolisieren die Front. Sie heißen den Gast willkommen, sie schießen nicht auf ihn – aber sie könnten, wenn sie wollten.
Nehammer kommt ohnehin in friedlicher Absicht: Beim Vier-Augen-Gespräch mit Bundespräsident Cassis geht es um den Ukraine-Konflikt und die Situation zwischen Schweiz und EU.
Seit Jahren wird versucht, ein institutionelles Rahmenabkommen zu schließen. Im Mai brach der Schweizer Bundesrat die Verhandlungen mit der EU-Kommission ab. Gehakt hat es unter anderem bei arbeitsrechtlichen Fragen.
Nehammer zeigt dafür Verständnis. Es nütze nichts, wenn die EU-Kommission ihren Willen bekommt, die Schweizer Bevölkerung das Abkommen dann aber bei einer Volksabstimmung ablehnt, sagt er. Österreich werde die Schweiz jedenfalls unterstützen, wenn es um die Wiederaufnahme der Gespräche mit der Kommission geht. „Wir wollen Brückenbauer sein, um aus dieser Pattsituation wieder herauszukommen.“ Die Schweiz sei für Österreich nicht nur „Freund“, sondern auch wirtschaftlicher und geo-strategischer Partner.
Politik ohne Gewalt
Was beide Länder noch gemeinsam haben, ist ihre Neutralität. Nehammer und Cassis teilen deshalb auch die Ansicht, dass man im Ukraine-Konflikt jetzt auf Dialog setzen müsse. Die OSZE solle sich auf diplomatischem Wege stärker einsetzen. Die EU müsse Russland bei aller Diplomatie aber auch klarmachen, „dass es inakzeptabel ist, darüber nachzudenken, Konflikte mit Gewalt zu führen“, betont Nehammer. Wenn Gewalt und Politik kombiniert werden, müsse es „schwerwiegende Maßnahmen“ gegen Russland geben. „Wir müssen alles tun, um Frieden zu bewahren in Europa.“
Warum Zofingen Schauplatz des Treffens war? Der Schweizer Bundespräsident wollte zeigen, dass sich Außenpolitik überall im Land abspielt – nicht nur in Genf und Bern.
Und die Stadt hat einen Bezug zu Österreich, wie Nehammer den mitreisenden Journalisten beim Hinflug erzählt: Im 14. Jahrhundert wurde sie von den Habsburgern regiert. Niklaus Tuth – später als Held verehrt – soll in der Schlacht 1386 das Zofinger Banner (rot-weiß-rot-weiß) hinuntergeschluckt haben, damit es die feindlichen Eidgenossen nicht in die Finger bekommen. Er starb. Die Fahne fand man in seinem Magen.
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