Nehammer fordert EU-Milliarden für bulgarischen Zaun zur Türkei

Grenzzaun in Bulgarien zur Türkei
Wenn Europas Staats- und Regierungschefs zu ihren Gipfeltreffen nach Brüssel reisen, kommt jeder mit seinen eigenen Sorgen. So befürchtet Deutschlands Kanzler Olaf Scholz schwindende Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, kritisiert Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die amerikanische Überdominanz, will Italiens Premierministerin Giorgia Meloni den Seenotrettern im Mittelmeer Einhalt gebieten und Österreichs Kanzler Karl Nehammer über Migration reden. Einmal mehr, denn spätestens seit Österreichs Veto gegen den Schengenbeitritt Bulgariens und Rumäniens sind österreichische Politiker in Brüssel fast nur noch zum Thema Migration zu hören.
Und so setzte Nehammer gegen den anfänglichen Widerstand von Gipfel-Zeremonienmeister Charles Michel durch: Auch beim Gipfel wolle er das Thema ansprechen, obwohl auf dem mit reichlich viel Krisenthemen bestückte Gesprächsprogramm der EU-Regierungschefs zunächst dafür gar keine Zeit eingeplant war.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) beim Gipfel in Brüssel
EU-Außengrenzen
Seit 2015, als mehr als eine Million Flüchtlinge in der EU ankamen, haben viele Staaten wie etwa Ungarn Grenzzäune errichtet. Fast 2.050 Kilometer Zäune und Mauern umgeben seither die EU – teils meterhoch und ausgestattet mit Kameras, Bewegungsmeldern und Stacheldraht. Die Allerneuesten sind jene von Polen und Litauen an der Grenze zu Belarus
Wer zahlt dafür?
Die Staaten müssen selbst zahlen. Brüssel lehnt es nach wie vor ab, Geld für Mauern, Zäune und Stacheldraht zu überweisen. Nur für Infrastruktur gibt es finanzielle Unterstützung
234 Kilometer
lang ist der gesicherte Stacheldrahtwall Bulgariens an der Grenze zur Türkei. Die Grenze zum südlichen Nachbarn beträgt 513 Kilometer
Zwei Milliarden Euro
Noch ehe Nehammer gestern an den schwingenden Fahnen und roten Teppichen des Ratsgebäudes vorbei zum Sitzungssaal eilte, ließ er aufhorchen: Bulgarien brauche einen Zaun, ließ Nehammer wissen. Einen besseren und wirksameren Zaun, als ihn das Land derzeit an der Grenze zur Türkei habe. Was sich zunächst anhörte, als wolle ein Regierungschef einem anderen europäischen Land vorschreiben, wie es seine Grenzen zu schützen habe, klang dann eher nach einem Unterstützungsangebot.
„Der bulgarische Präsident führt selbst an, dass es notwendig ist, den Zaun gegenüber der Türkei zu verstärken“, sagte der Kanzler. Sofia brauche dafür zwei Milliarden Euro. „Zäune sind nichts Neues“, fuhr Nehammer fort, „aber bisher wurden die Nationalstaaten alleine gelassen. Die EU-Kommission gibt die Gelder nicht frei.“
Tatsächlich lehnt die Behörde in Brüssel die Finanzierung von Grenzwällen ab. Nur Kosten für Videoüberwachung und andere Infrastruktur an der EU-Außengrenze wurden übernommen – zu tief sitzen bei vielen Europäern noch immer die düsteren Erinnerungen an den Eisernen Vorhang gegenüber Osteuropa oder an die Berliner Mauer. Grenzwälle wollte man in Europa eigentlich nie wieder errichtet sehen.
Doch die Migration nach Europa hat alles verändert. Österreich hat heuer an die 75.000 Migranten registriert – zu viel aus Sicht der Regierung in Wien, als dass sie ihre Zustimmung zur Schengenerweiterung geben wollte. „Das ganze System funktioniert nicht“, lautete der Vorwurf. Kroatien erhielt dennoch grünes Licht. Rumänien und Bulgarien reagierten äußerst verärgert.
Schengen-Blockade
Die Präsidenten beider Staaten planten ihrerseits die österreichische Blockade beim Gipfel anzusprechen. Dass Bulgarien den Grenzschutz nicht ausreichend erfülle, wollte sich Staatschef Rumen Radew nicht nachsagen lassen. Österreichs Schengen-Veto sei „innenpolitisch motiviert“, sagte er und gab sich „überzeugt, dass der Großteil der Migranten nicht über Bulgarien gekommen ist“.

Bulgariens Präsident Rumen Radew
Wenig erfreut über Österreichs Blockade äußerte sich auch Rumäniens Präsident Klaus Johannis. Doch deswegen österreichische Produkte zu boykottieren oder Österreich vor dem EuGH zu klagen, lehnte er entschieden ab. Er hoffe vielmehr, dass grünes Licht für den Schengenbeitritt im Sommer oder spätestens im Herbst komme.
Große Differenzen prägten gestern aber auch viele der eigentlichen Gipfelthemen. Beim Streit über einen einheitlichen europäischen Gaspreisdeckel verwiesen die EU-Staats- und Regierungschefs lieber gleich auf das Treffen der Energieminister am Montag. Und bei einer anstehenden nächsten Sanktionsrunde gegen Russland prallten einmal mehr die Hardliner wie Polen mit den eher konzilianteren Staaten wie Deutschland oder Frankreich aufeinander.
EU-Kandidatenstatus für Bosnien
Einig aber waren sich die 27 EU-Granden dann aber doch in einem Punkt: Die Ukraine muss weiter unterstützt werden – militärisch, finanziell und humanitär.
Und Bosnien-Herzegowina erhielt den Status eines EU-Beitrittskandidatenlandes. Eine entsprechende Empfehlung hatten am Dienstag bereits die Europaminister der EU-Staaten abgegeben.
Bereits im Juni hatten die EU-Staaten nach einer Empfehlung der Kommission die Ukraine und Moldau offiziell zu Kandidaten für den EU-Beitritt ernannt. Beitrittsverhandlungen sollen aber erst nach der Erfüllung von Reformauflagen beginnen. Dieses Vorgehen soll es nun auch für das rund 3,3 Millionen Einwohner zählende Balkanland Bosnien-Herzegowina geben.
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