Noch ehe Nehammer gestern an den schwingenden Fahnen und roten Teppichen des Ratsgebäudes vorbei zum Sitzungssaal eilte, ließ er aufhorchen: Bulgarien brauche einen Zaun, ließ Nehammer wissen. Einen besseren und wirksameren Zaun, als ihn das Land derzeit an der Grenze zur Türkei habe. Was sich zunächst anhörte, als wolle ein Regierungschef einem anderen europäischen Land vorschreiben, wie es seine Grenzen zu schützen habe, klang dann eher nach einem Unterstützungsangebot.
„Der bulgarische Präsident führt selbst an, dass es notwendig ist, den Zaun gegenüber der Türkei zu verstärken“, sagte der Kanzler. Sofia brauche dafür zwei Milliarden Euro. „Zäune sind nichts Neues“, fuhr Nehammer fort, „aber bisher wurden die Nationalstaaten alleine gelassen. Die EU-Kommission gibt die Gelder nicht frei.“
Tatsächlich lehnt die Behörde in Brüssel die Finanzierung von Grenzwällen ab. Nur Kosten für Videoüberwachung und andere Infrastruktur an der EU-Außengrenze wurden übernommen – zu tief sitzen bei vielen Europäern noch immer die düsteren Erinnerungen an den Eisernen Vorhang gegenüber Osteuropa oder an die Berliner Mauer. Grenzwälle wollte man in Europa eigentlich nie wieder errichtet sehen.
Doch die Migration nach Europa hat alles verändert. Österreich hat heuer an die 75.000 Migranten registriert – zu viel aus Sicht der Regierung in Wien, als dass sie ihre Zustimmung zur Schengenerweiterung geben wollte. „Das ganze System funktioniert nicht“, lautete der Vorwurf. Kroatien erhielt dennoch grünes Licht. Rumänien und Bulgarien reagierten äußerst verärgert.
Die Präsidenten beider Staaten planten ihrerseits die österreichische Blockade beim Gipfel anzusprechen. Dass Bulgarien den Grenzschutz nicht ausreichend erfülle, wollte sich Staatschef Rumen Radew nicht nachsagen lassen. Österreichs Schengen-Veto sei „innenpolitisch motiviert“, sagte er und gab sich „überzeugt, dass der Großteil der Migranten nicht über Bulgarien gekommen ist“.
Wenig erfreut über Österreichs Blockade äußerte sich auch Rumäniens Präsident Klaus Johannis. Doch deswegen österreichische Produkte zu boykottieren oder Österreich vor dem EuGH zu klagen, lehnte er entschieden ab. Er hoffe vielmehr, dass grünes Licht für den Schengenbeitritt im Sommer oder spätestens im Herbst komme.
Große Differenzen prägten gestern aber auch viele der eigentlichen Gipfelthemen. Beim Streit über einen einheitlichen europäischen Gaspreisdeckel verwiesen die EU-Staats- und Regierungschefs lieber gleich auf das Treffen der Energieminister am Montag. Und bei einer anstehenden nächsten Sanktionsrunde gegen Russland prallten einmal mehr die Hardliner wie Polen mit den eher konzilianteren Staaten wie Deutschland oder Frankreich aufeinander.
EU-Kandidatenstatus für Bosnien
Einig aber waren sich die 27 EU-Granden dann aber doch in einem Punkt: Die Ukraine muss weiter unterstützt werden – militärisch, finanziell und humanitär.
Und Bosnien-Herzegowina erhielt den Status eines EU-Beitrittskandidatenlandes. Eine entsprechende Empfehlung hatten am Dienstag bereits die Europaminister der EU-Staaten abgegeben.
Bereits im Juni hatten die EU-Staaten nach einer Empfehlung der Kommission die Ukraine und Moldau offiziell zu Kandidaten für den EU-Beitritt ernannt. Beitrittsverhandlungen sollen aber erst nach der Erfüllung von Reformauflagen beginnen. Dieses Vorgehen soll es nun auch für das rund 3,3 Millionen Einwohner zählende Balkanland Bosnien-Herzegowina geben.
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