"Navi für das Gesundheitssystem": Was kann die Hotline 1450?

Kaum wo sonst treten die Auswüchse des heimischen Föderalismus derart augenscheinlich zutage wie im Gesundheitswesen. Das beginnt schon bei der intensiv beworbenen Hotline 1450, die künftig zum zentralen Eingangsportal ins Gesundheitswesen werden soll. Mittels kostenloser Beratung rund um die Uhr sollen Menschen mit gesundheitlichen Beschwerden dorthin gelotst werden, wo sie am besten versorgt werden können.
Aktuell lassen sich kurioserweise je nach Bundesland völlig unterschiedliche Services über die Hotline in Anspruch nehmen: In Wien etwa kann man via 1450 bereits Termine für Primärversorgungseinheiten buchen. Die Kollegen in den steirischen Callcentern dürfen hingegen Patienten Ambulanzen zuweisen.
Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) will 1450, wie berichtet, nun bundesweit vereinheitlichen und zu einem „Gesundheits-Navi“ für Österreich ausbauen (mehr dazu am Ende des Textes).
Boom während Corona
Besonders tief verankert im Bewusstsein der Bevölkerung ist die Hotline derzeit noch nicht. In Wien etwa, wo wie in NÖ und Vorarlberg 2017 ein Pilotprojekt startete, langten im Vorjahr knapp 300.000 Anrufe ein, die von den 120 Mitarbeitern bearbeitet werden.
„Bei der Nutzung besteht sicher noch Luft nach oben“, sagt David Reif, Leiter von 1450 Wien, das über den städtischen Fonds Soziales Wien organisiert wird. Deutlich mehr waren es in der Corona-Zeit, als Testungen und Impfungen über die Hotline abgewickelt wurden. Damals zählte man in Wien pro Tag 65.000 Anrufe.
Davon ist man inzwischen wieder weit entfernt. Das Gros der aktuellen Anrufer würde sich laut Reif mit gesundheitlichen Beschwerden aller Art melden. Am häufigsten sind Erbrechen, Schwindel, Bauchschmerzen und grippale Symptome.

David Reif, 1450-Chef in Wien.
Terminvermittlung
Zunächst landet der Anrufer in einem klassischen Callcenter, wo seine Daten erfasst werden. Hier werden auch die 1450-Services abgewickelt, die über die Gesundheitsberatung im engeren Sinn hinausgehen: Von der Vermittlung von Impfterminen bis zum Wunschkrankenhaus für Geburten.
Ein weiteres Wiener Projekt ist „oncare“: Für Patienten mit einer Krebsverdachtsdiagnose wird via 1450 ein Termin in der passenden Fachambulanz organisiert.
Für die Bewertung akuter medizinischer Probleme steht hingegen ein Team aus rund 50 speziell geschulten diplomierten Pflegekräften an der Hotline zur Verfügung.
Je nach Dringlichkeit empfiehlt es eine Selbstversorgung oder den Besuch eines niedergelassenen Arztes. Bei Bedarf wird ein Mediziner des Ärztefunkdiensts zum Patienten geschickt.
Notfalleinsatz
Nicht selten wird aber nach dem Anruf auch ein Notfalleinsatz ausgelöst. Im Vorjahr wurden mehr als 4.000 Notfälle direkt an die Wiener Berufsrettung weitergeleitet.
Umgekehrt werden Patienten mit harmloseren Beschwerden, die 144 gewählt haben, an 1450 weitergeleitet, schildert Reif.
All das soll den Zweck erfüllen, dass Patienten an der für sie richtigen Stelle versorgt werden. Dass sie beispielsweise nicht wie bisher mit banalen Beschwerden Spitalsambulanzen aufsuchen und dort teure Ressourcen blockieren. Laut Reif würde das auch gelingen: „Nach unseren Evaluierungen folgen rund 70 Prozent der Anrufer den Empfehlungen der Mitarbeiter innerhalb des angeratenen Zeitraums.“
„Digital vor ambulant vor stationär“, lautet das Mantra der heimischen Gesundheitspolitik, wenn es um eine optimale Lenkung der Patientenströme geht. Die digitalen Angebote stecken freilich auch bei 1450 Wien noch in den Kinderschuhen. Auf der Website findet man aktuell erst allgemeine Gesundheitstipps von Erster Hilfe bei Hitze oder Zeckenbissen bis hin zu einer Checkliste für die Reiseapotheke.
Für viele Klienten gibt es für das telefonische Gespräch aber ohnehin keine Alternative. Vor allem für jene, die immer wieder anrufen, weil sie schlichtweg einsam sind und soziale Hilfe benötigen. Auch sie werden an die zuständigen Stellen weitergeleitet.
Aktuell liegt die Kompetenz für die Gesundheitshotline 1450 bei den Ländern. Was zur Folge hat, dass über ein Basis-Angebot (die telefonische Beratung) hinaus je nach Bundesland völlig unterschiedliche Leistungen angeboten werden.
Nach einer aktuell noch laufenden Bestandsaufnahme und Evaluierung will die Bundesregierung österreichweit einheitliche Mindeststandards entwickeln. „Diese sollen sicherstellen, dass alle Menschen – unabhängig von ihrem Wohnort – denselben verlässlichen Zugang zu 1450 erhalten. Rund um die Uhr und kostenlos“, sagt ein Sprecher von Gesundheitsstaatssekretärin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) zum KURIER. Darüber hinaus ist ein schrittweiser Ausbau der Leistungen geplant: von digitalen Rückrufsystemen bis hin zur Videoberatung von Patienten.
Viele der inhaltlichen Details sind noch offen. Eines ist aber jetzt schon fix: Eine für den gesamten Bund zuständige Stelle, bei der alle Anrufe landen, wird es auch künftig nicht geben. Vielmehr bleiben die Länder-Callcenter bestehen. „Das ist wichtig, weil dort die regionalen Gegebenheiten am besten bekannt sind“, sagt der Sprecher. Insbesondere in der Millionenstadt Wien werden an die Hotline völlig andere Anforderungen gestellt als in ländlichen Regionen.
In den Bundesländern steht man den Plänen der Regierung durchaus wohlwollend gegenüber: „Es ist höchste Zeit, dass die Labor-Phase beendet wird und 1450 sich als zentrales Element im Gesundheitssystem etabliert“, sagt Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) zum KURIER.
Was für ihn aber nicht infrage kommt: Dass Wien im Zuge der Vereinheitlichung Teile des dortigen vergleichsweise breiten Angebots (etwa Vermittlung des Wunsch-Spitals bei Geburten) wieder aufgeben muss.
Trotz der positiven Grundstimmung zwischen Bund und Ländern bei diesem Projekt stehen schwierige Verhandlungen mit der Sozialversicherung an. Vor allem um die Finanzierung von 1450 nach der bundesweiten Vereinheitlichung.
Aktuell erfolgt sie im Wesentlichen durch die Länder. In Wien lägen die jährlichen Kosten bei rund 9,5 Millionen Euro, rechnet Hacker vor. Nur einen kleinen Teil übernehme der Bund. „Künftig wird man die Kosten anders aufteilen müssen“, sagt er.
Seitens der Regierung gibt man sich dazu noch bedeckt: „Ob künftig mehr Verantwortung oder auch Geld vom Bund kommt, wird gerade diskutiert“, sagt der Sprecher der Staatssekretärin. „Klar ist aber jetzt schon: Damit 1450 in allen Bundesländern gleich gut funktioniert, braucht es eine solide Finanzierung und klare Zuständigkeiten.“
Geht es nach dem Wunsch der Ländervertreter, könnte sich folgende Einigung abzeichnen: Das vereinheitlichte Basis-Angebot von 1450 wird künftig der Bund bezahlen, die länderspezifisch unterschiedlichen Zusatz-Services die Länder.
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