"Muttikulti": Die Bedeutung von Müttern in der Integration

"Muttikulti": Die Bedeutung von Müttern in der Integration
In der Vergangenheit wurden sie vernachlässigt. Nun warnen Experten davor, denselben Fehler noch einmal zu machen.

Mütter, sagt Thomas Liebig, spielen eine zentrale Rolle im Integrationsprozess. Die zentrale Rolle sogar. Sie sind es, die nicht nur für sich selbst einen Weg in die Mehrheitsgesellschaft finden müssen – sie sind auch Vorbild für ihre Kinder. „Gerade im wichtigen Kleinkindalter sind sie viel intensiver in Kontakt mit den Kindern als die Väter“, sagt der OECD-Migrationsexperte. Integration müsste also primär über Mütter laufen. Da gibt es jedoch große Versäumnisse.

 

Mütter können Integrationsturbos sein – aber auch Integrationsbremsen. Töchter sind davon noch mehr betroffen als Söhne. Von Müttern hängt es insbesondere ab, ob die Mädchen später einmal erwerbstätig werden. Eine OECD-Studie belegt: 15-jährige Mädchen, deren Mütter arbeiten, sind später mit größerer Wahrscheinlichkeit selbst erwerbstätig.

Versäumnisse

"Muttikulti": Die Bedeutung von Müttern in der Integration

Lange wurde die Rolle der Mütter aber ignoriert. Das weiß auch Kenan Güngör. Der kurdisch-türkischstämmige Soziologe lebt seit 2007 in Wien, berät unter anderem staatliche Stellen in Integrationsfragen und betont, dass sich „Kinder nicht an dem orientieren, was die Eltern sagen, sondern daran, wie diese sich verhalten“. Wenn etwa Kinder sehen, dass in ihrer Umgebung die Frauen zu einem großen Teil nicht arbeiten: „Dann sehen sie das als ein normales Rollenmodell“, so Güngör.

In Österreich ist statistisch belegt: Migrantinnen aus Drittstaaten sind signifikant seltener erwerbstätig (siehe Grafiken). Bei türkischen Gastarbeitern sowie den Flüchtlingen aus dem Jugoslawienkrieg hat man die Mütter vergessen. Bis zum Jahr 2000 durften Frauen, die über den Familiennachzug ins Land kamen, überhaupt nur im Ausnahmefall arbeiten. Spätfolge: Dramatisch schlechtere Werte bei Kinderarmut, mehr Schulabbrüche und niedrigere Beschäftigungsquoten bei Migranten zweiter Generation.

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Positivbeispiele

Freilich gibt es Ausnahmen. Yeliz Kondul etwa, eine heute 32-jährige Tirolerin. Sie ist das Kind türkischer Gastarbeiter, hat ihr Jus-Studium abgeschlossen und eine Vollzeitstelle am Innsbrucker Finanzamt.

Nur ein Drittel der in Österreich geborenen Töchter von Zuwanderern übertrifft das Bildungsniveau des Vaters. Und nur knapp die Hälfte das der Mutter. Schlechte Zahlen, sogar für Österreich, wo Bildung ohnehin überwiegend Erbpacht ist.

 

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Yeliz Kondul hat aber Glück gehabt. Ihren Eltern war eine gute Ausbildung wichtig. Aber kann es eine Gesellschaft wollen, dass beruflicher Erfolg ihrer Kinder von Glück abhängt?

Die Rahmenbedingungen haben sich zwar durch den Ausbau der wichtigen frühkindlichen Betreuung verbessert. Experten warnen trotzdem davor, die Fehler der Vergangenheit mit den Geflüchteten der vergangenen Jahre zu wiederholen. „In dem Moment, als Frauen über den Familiennachzug gekommen sind, wurden die Integrationsmittel gekürzt. Das war ein schwerer Fehler“, sagt August Gächter vom Zentrum für Soziale Innovation. Gerade auf die Migrantinnen müsste man vielmehr „beharrlich zugehen“.

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Hemmschwellen

Das sieht auch Judith Kohlenberger, Forscherin an der WU, so. Frauen aus Syrien, Irak oder Afghanistan hätten oft höhere Bildungsabschlüsse als die Männer, teilweise aber noch nie gearbeitet. Der Wille, arbeiten zu gehen, sei vorhanden, die Angst aber groß. Es bräuchte mehr Angebote, um die Hemmschwellen zu überwinden. Die frauenspezifischen Kompetenzchecks des AMS wären ein richtiger Ansatz. Auch darüber hinaus gebe es Musterbeispiele (siehe Seite 4). Wichtig sei aber auch, „Integration längerfristig zu denken“.

Auch für Susanne Raab, Sektionschefin für Integration im Außenministerium, sind Mütter „zentrale Integrationsmotoren“. Sie begrüßt freiwillige Angebote, betont aber die Bedeutung verpflichtender Maßnahmen – damit alle Frauen „mit der Gesellschaft in Kontakt kommen“.

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