"Müssen gegen den österreichischen Schlendrian vorgehen"

Leitet das Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO): Christoph Badelt
WIFO-Chef Christoph Badelt begrüßt die Arbeitszeit-Pläne von ÖVP und FPÖ und schlägt vor, das rote Prestigeprojekt Beschäftigungsbonus bald abzudrehen.

KURIER: Herr Badelt, wie stehen Sie zur Ansage von ÖVP und FPÖ, den 12-Stunden-Tag künftig zu ermöglichen?

Christoph Badelt: Ich stehe dem positiv gegenüber und bin sehr froh, dass hier offenbar doch Bewegung in die Sache kommt. Denn die mangelnde Flexibilität bei der Arbeitszeit ist einer der Hauptnachteile für den Standort. Ich bedaure es aber, dass sich die Sozialpartner nicht darauf geeinigt haben – denn es wäre in so einer Frage besser, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich einigen, als wenn es die Regierung dekretiert.

Müssen wir deshalb in Zukunft mehr und länger arbeiten?

Nein, das wird nicht passieren. Die Normalarbeitszeit soll ja bleiben. Derzeit sind die Gesetze so, dass sie nicht immer einhaltbar sind. Das ist genau der österreichische Schlendrian, gegen den wir auftreten müssen.

Wie äußert sich dieser?

Es wäre wichtig, etwa bei Ruhezeiten das möglich zu machen, was in der Praxis häufig passieren muss. Da werden oft im Einvernehmen beider Seiten Gesetze gebrochen. Das ist einer der Hauptgründe, warum ich für eine Reform in diesem Bereich bin. Außerdem sollte man die Regelung, was erlaubt ist und was nicht, von der Frage trennen, wie die ökonomische Kompensation aussieht.

Sie meinen damit, dass nicht zwingend länger gearbeitet wird, nur weil es erlaubt ist?

Genau.

Ist man in den Stunden elf und zwölf weniger produktiv?

Je länger man arbeitet, desto größer sind die Ermüdungserscheinungen. Es wäre also weder aus gesundheitlichen noch aus betriebswirtschaftlichen Gründen vernünftig, die zwölf Stunden zur Norm zu machen. Das will ein vernünftiger Arbeitgeber auch nicht. Wir stellen zudem fest, dass die Wochenarbeitszeit in den vergangenen Jahren im Schnitt zurückgegangen ist – ohne gesetzliche Arbeitszeitverkürzung. Das gilt auch für Vollzeitbeschäftigte. Soll die Billa-Verkäuferin 12 Stunden an der Kassa sitzen?

Das sollte nicht die Regel sein und wäre nicht gesund.

Führt die Stoßrichtung, mehr auf Betriebsebene zu regeln, zur Arbeitnehmer-Schwächung?

Na ja, es liefe auf eine Schwächung zentraler Gewerkschaften hinaus. Auf Betriebsebene werden aber oft bessere Lösungen getroffen.

Wie finden Sie die wirtschaftspolitischen Ankündigungen von Türkis-Blau bis jetzt?

Die wirklichen Schlüsselfragen sind die, in denen es ums Geld geht – und da liegt noch nichts auf dem Tisch. Die Vorschläge zu einem Bürokratieabbau gehen in eine positive Richtung. Der Alltag wird zeigen, was wirklich daraus wird. Vielleicht gehen in dieser neuen politischen Konstellation Dinge, die bisher nicht gegangen sind.

ÖVP und FPÖ wollen den zwei Milliarden Euro teuren Beschäftigungsbonus, ein Prestigeprojekt der SPÖ, kippen. Wie finden Sie dieses Vorhaben?

Der Beschäftigungsbonus hat den Sinn, neue Beschäftigung zu schaffen und Lohnnebenkosten zu senken. Das ist beides an sich sinnvoll – aber der Zeitpunkt für die Maßnahme ist nicht günstig.

Warum nicht?

Weil viele Jobs im derzeitigen Aufschwung ohnehin geschaffen worden wären. Dazu kommt, dass die Senkung der Lohnnebenkosten sehr bürokratisch abläuft, da müssen immer einzelne Anträge gestellt werden.

Ein Drittel dieser Mittel ist bereits vergeben – kann man das Projekt jetzt noch stoppen?

Anträge, die gestellt wurden, sollten auch abgearbeitet werden. Sonst macht sich die Politik unglaubwürdig. Ab einem gewissen Stichtag könnte die Maßnahme aber beendet werden. Bis dahin muss man auch Geld auszahlen. Wenn man rasch handelt, kann man noch sparen.

Und die – auch teure – "Aktion 20.000" für ältere Arbeitslose?

Da sehe ich die Sache anders. Diese Aktion spricht ein Problem an, das wir auch in der Hochkonjunktur haben: ältere Langzeitarbeitslose.

Sie sollte also weitergehen?

Ja, ich würde der Aktion gerne die Chance geben, sich zu bewähren. Das sollte man ausprobieren und sehen, ob sie wirkt. Das geht aber auch mit weniger als 20.000 Arbeitsplätzen – also könnte man die Aktion jedenfalls verkleinern, wie AMS-Chef Johannes Kopf es vorschlug.

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