Müssen die Corona-Förderungen rückabgewickelt werden?

Sterbehilfe, Kopftuchverbot, Homo-Ehe und zuletzt die GIS. Der Verfassungsgerichtshof hat in den vergangenen Jahren so einiges auf den Kopf gestellt – und die Regierung dazu gezwungen, neue Gesetze zu schaffen. Jetzt, im Frühsommer, stehen gleich mehrere brisante Themen auf einmal an.
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Hochnervös ist die Regierung dem Vernehmen nach vor einer recht kurzfristig einberufenen Verhandlung am kommenden Mittwoch: Zur Disposition steht die COFAG – eine Agentur, die 2020 gegründet wurde, um Unternehmen, die wegen der Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten gekommen sind, zu unterstützen.
Der VfGH hat im Herbst 2022 beschlossen, die COFAG bzw. das ABBAG-Gesetz, das die Errichtung der Agentur regelt, zu prüfen. Es geht um die Frage, ob der Staat tatsächlich Milliarden an Steuergeld in die Hände eines privaten Unternehmens legen darf. Die Opposition hatte damals heftig protestiert, weil die Kontrollrechte des Parlaments auf die Teilnahme in einem Beirat beschränkt sind. Die COFAG, die zuletzt auch vom Rechnungshof heftig kritisiert wurde, sei eine „Blackbox“.
Und auch Verfassungsrechtsexperte Andreas Janko von der Uni Linz sagt: „Es spricht einiges dafür, dass so etwas problematisch ist.“
Einfluss und Steuerung
Steuergeld per Bescheid zu vergeben, sei klassisch eine Aufgabe des Staates. In der Vergangenheit habe es sich in vielen Bereichen aber als praktikabel erwiesen, wenn dies an Dritte ausgelagert wird, erklärt Janko. Teils gebe es dafür eigene Gesetze, in denen die Einflusssphäre der zuständigen Minister klar determiniert sei – beispielsweise bei der Asfinag.
Die COFAG gehört zwar zu 100 Prozent dem Staat, unterliegt aber nicht unmittelbar Weisungen des Finanzministers. Und genau hier liegt das Problem: Wenn der Finanzminister nicht unmittelbar verantwortlich ist, dann kann er auch nicht vom Parlament zur Verantwortung gezogen werden – etwa durch parlamentarische Anfragen oder einen U-Ausschuss. „Der Weg der Einfluss- und Steuerungsmöglichkeit ist durchschnitten“, sagt Janko. Der Finanzminister könnte dem Parlament nur Auskunft geben, wie er die Anteile an der COFAG verwaltet, aber nicht, was in der COFAG passiert.
Bei der VfGH-Verhandlung werden Vertreter des Finanzministeriums und des Bundeskanzleramts erwartet. Im schlimmsten Fall könnten die Höchstrichter die COFAG insgesamt kippen und verfügen, dass die Hilfsgelder – immerhin 19 Milliarden Euro – rückabgewickelt werden müssen; im besten Fall gibt es nur kleinere Änderungen. Janko: „Ich wäre jedenfalls überrascht, wenn der VfGH gar nichts finden würde.“
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Asylberatung, Verhandlung am 19. Juni
Seit einer Reform von Türkis-Blau 2019 ist die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) mit der Rechtsberatung von Asylwerbern betraut. Zuvor waren es NGOs. Weil es mehrere Beschwerden von Asylwerbern gab, hat der VfGH selbst eine Prüfung eingeleitet. Die Frage ist: Agieren die Rechtsberater wirklich unabhängig und im Interesse ihrer Schützlinge? Der VfGH hat Bedenken, weil das Innenministerium „maßgeblichen Einfluss“ habe – dieses stellt immerhin den Geschäftsführer der BBU, während das Justizressort den Bereichsleiter stellt.
Handysicherstellung, Verhandlung am 22. Juni
Die Causa Schmid hat gezeigt: Alles, was jemand am Handy hat, kann in einem Strafakt (und in der Öffentlichkeit) landen. Ein Umstand, den die ÖVP heftig kritisiert und Einschränkungen fordert; die Grünen lehnen das ab. Jetzt könnte der VfGH Tatsachen schaffen: Die Höchstrichter beraten über den Antrag eines Kärntners, gegen den wegen Untreue ermittelt wird. Er bringt vor, dass eine Sicherstellung, die unter „geringsten Voraussetzungen“ durchgeführt werde, „unverhältnismäßig“ sei und gegen sein Recht auf Privatsphäre und Datenschutz verstoße.
Buwog-Causa, Beratungen laufen
Karl-Heinz Grasser und acht Mitangeklagte in der Buwog-Causa haben beantragt, die Verjährungshemmung aufzuheben. Die meisten Straftaten verjähren nach einer bestimmten Zeit, diese Frist ist aber gehemmt, während ermittelt wird. Grasser und Co. sagen, dass ihr „Recht auf ein faires Verfahren“ verletzt werde, weil die Behörden de facto beliebig lange ermitteln können. Die Buwog-Ermittlungen dauerten acht Jahre, die Schuldsprüche von 2020 sind noch nicht rechtskräftig. Gibt der VfGH Grasser recht, dann müsste die Regierung neue Verjährungsregeln schaffen.
ORF-Stiftungsrat, Beratungen im 1. Halbjahr
Die burgenländische Landesregierung hat eine Prüfung des ORF-Stiftungsrates beantragt. Der Verdacht: Die Bundes- und die Landesregierungen hätten maßgeblichen Einfluss auf die Bestellung, deshalb könne die „Unabhängigkeit des Rundfunks“, die in der Verfassung und im Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben ist, nicht gegeben sein. Auch die Publikumsräte könnten nicht ausreichend vor parteipolitischer Dominanz geschützt sein. Der VfGH hat zuletzt die Rundfunkgebühr (GIS) gekippt, weshalb die Regierung nun eine Haushaltsabgabe eingeführt hat.
Klimaklagen, Recht auf Leben
Mehrere Bürger sehen im Klimawandel eine Gefahr für ihr Leben. Aus Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gehe hervor, dass der Staat die Pflicht habe, Naturkatastrophen abzuwenden und gesundheitsgefährdenden Umweltbeeinträchtigungen entgegenzutreten. In einem anderen Antrag bringen zwölf Kinder vor, dass das Klimaschutzgesetz nicht geeignet sei, die Klimaziele zu erreichen und ihr Grundrecht auf Wahrung des Kindeswohles verletzt werde. Die Organisation Fridays for Future hat dazu einen offenen Brief an die Bundesregierung geschrieben.
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