Moskau und Kiew werfen einander erneut AKW-Beschuss vor

AKW-Ruine wird von gigantischem Beton-Sarkophag bedeckt
Erst am vergangenen Freitag hatten sich Moskau und Kiew gegenseitig für den Beschuss von Europas größtem Atomkraftwerk verantwortlich gemacht.

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage haben einander Moskau und Kiew gegenseitig den Beschuss des südukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja vorgeworfen. Die ukrainische Armee habe in der Nacht zum Sonntag eine Rakete auf das AKW-Gelände abgefeuert, meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax. Die ukrainische Atombehörde Enerhoatom hingegen beschuldigte die Russen, das unter ihrer Kontrolle stehende Gelände selbst beschossen zu haben.

Bei dem Angriff wurden demnach ein Lager für abgebrannten Kernbrennstoff getroffen sowie Sensoren zur Strahlenmessung beschädigt. Enerhoatom berichtete zudem, kurz vor der Explosion hätten sich Hunderte Mitglieder der russischen Besatzung in Bunkern versteckt. Die Angaben beider Seiten ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Erst am vergangenen Freitag hatten sich Moskau und Kiew gegenseitig für den Beschuss von Europas größtem Atomkraftwerk verantwortlich gemacht. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) drängte daraufhin erneut auf Zugang zu der Anlage, die die Russen im Zuge des seit fast einem halben Jahr andauernden Kriegs besetzt haben. Der jüngste Angriff unterstreiche "die sehr reale Gefahr einer nuklearen Katastrophe, die die öffentliche Gesundheit und die Umwelt in der Ukraine und darüber hinaus bedrohen könnte", sagte IAEA-Chef Rafael Grossi am Samstag.

Die ukrainische Armee gerät im östlichen Gebiet Donezk unterdessen zunehmend unter Druck - hat vorerst aber eigenen Angaben zufolge alle Vorstöße der Russen abgewehrt. Seit der Eroberung der Nachbarregion Luhansk konzentrieren die Russen ihre Angriffe im Donbass auf Donezk, wo sie bisher rund 60 Prozent des Territoriums erobert haben. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bat vor diesem Hintergrund um neue westliche Waffen und bedankte sich zugleich für die bisher gelieferten.

"Jeder Angriff auf die Munitionsdepots des Feindes, auf seine Kommandoposten und auf Ansammlungen russischer Technik rettet unser aller Leben, das Leben der ukrainischen Soldaten und Zivilisten", sagte er. In der vergangenen Woche habe die ukrainische Armee "starke Ergebnisse" bei der Zerstörung russischer Kriegslogistik erzielt.

Es seien russische Offensiven in Richtung der Städte Slowjansk, Bachmut und Awdijiwka zurückgeschlagen worden, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Abendbericht mit. Insbesondere um Bachmut toben seit Tagen heftige Kämpfe. Die Kleinstadt gilt als ein Eckpfeiler des Verteidigungssystems rund um den letzten von Ukrainern gehaltenen Ballungsraum im Donbass. Sollten Bachmut und andere kleinere Orte fallen, wäre der Weg für Russlands Truppen weitgehend frei in Richtung der Großstädte Slowjansk und Kramatorsk.

Rund 42.200 "russische Angreifer" habe die ukrainische Armee vom 24. Februar bis zum 7. August "ausgeschaltet", geht aus einem auf Facebook veröffentlichten Bericht des Generalstabs der Streitkräfte der Ukraine hervor. Zerstört worden seien demnach unter anderem 1.805 "feindliche" Panzer, 4.055 gepanzerte Mannschaftswagen, 958 Artilleriesysteme, 132 Flugabwehrsysteme, 223 Flugzeuge und 191 Hubschrauber.

Unterdessen ist im südukrainischen Gebiet Cherson Angaben der russischen Besatzungsverwaltung zufolge eines ihrer Mitglieder nach einem Anschlag gestorben. Der stellvertretende Leiter der von den Russen in der Stadt Nowa Kachowka eingesetzten Verwaltung, Witalij Gura, sei seinen Verletzungen erlegen, schrieb die prorussische Politikerin Jekaterina Gubarewa auf Telegram. Auch die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti meldete Guras Tod. Demnach soll er früher am Tag in der Nähe seines Hauses von Unbekannten mit einer Schusswaffe angegriffen worden sein.

Infolge des seit rund fünfeinhalb Monaten andauernden Angriffskriegs gegen die Ukraine haben russische Truppen in der Südukraine mehrere Gebiete erobert und dort eigene Verwaltungen installiert. Insbesondere in Cherson gab es seitdem wiederholt Proteste aus der Bevölkerung gegen die neuen Besatzungsmacht. Immer wieder berichteten russische und prorussische Medien auch von Anschlägen.

Angaben des ukrainischen Generalstabs zufolge verlegt Russland auch weiter Kriegstechnik ins benachbarte Belarus. Unter anderem im Grenzbereich zum westukrainischen Gebiet Wolhynien würden auf belarussischem Gebiet zusätzliche Kräfte und Ausrüstung zur Luftverteidigung stationiert, teilte der Generalstab in Kiew am Sonntag mit. Unabhängig überprüfen ließ sich das bisher nicht.

Die frühere Sowjetrepublik Belarus ist zwar nie offiziell mit in Russlands Krieg eingestiegen. Der autoritäre Machthaber Alexander Lukaschenko hat aber bereits kurz nach Beginn der Invasion Ende Februar eingeräumt, dass von belarussischem Staatsgebiet russische Raketen in Richtung Ukraine abgefeuert wurden. Lukaschenko gilt als enger Partner von Kremlchef Wladimir Putin. Ins Ausland geflohene belarussische Oppositionelle beschuldigen Lukaschenkos Machtapparat der Kollaboration.

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