Generalmajor: "Österreich befindet sich bereits im Kriegszustand"

Russian president attends Navy Day celebrations in St. Petersburg
Der oberste Risiko-Forscher des Bundesheeres erklärt, warum Österreich schon jetzt im kriegsähnlichen Zustand ist und welche Gefahr Smartphones für die mentale Gesundheit der Jugend darstellen.

Er ist Leiter der Direktion Verteidigungspolitik und Internationale Beziehungen und erstellt jedes Jahr das „Risikobild“, in dem sich alle Gefahren finden, denen sich Österreich stellen muss. Am Tresen der Milchbar, dem innenpolitischen Podcast des KURIER, spricht Generalmajor Ronald Vartok darüber, wie realistisch ein Angriff Russlands auf das Baltikum ist, wie viele Soldaten Österreich braucht, um ernstgenommen zu werden – und was Wladimir Putin und Donald Trump wollen.

Es gibt Stimmen, die sagen das Österreich und Europa sich im Kriegszustand befinden. Er auch?

Vartok bejaht – und zwar deshalb, „weil es sich in der Ukraine nicht nur um die klassische militärische Konfrontation zweier Staaten handelt, sondern weil es längst um eine hybride Kriegsführung geht, die in die Tiefe Europas wirkt“. Mit „Tiefe“ ist gemeint, dass Moskau zwei Ziele verfolgt: „Das eine ist, die Instabilität von EU-Mitgliedsstaaten zu erreichen.“ Das Zweite: „Dass der Zusammenhalt der EU-Mitgliedsstaaten geschwächt wird.“ Vartok erinnert an das Grundprinzip der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der EU. Hier gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Deshalb liege Putin nichts daran, dass es zu einem zweiten Brexit komme. „Er hat einen viel größeren Vorteil, wenn er EU-Staaten auf seine Seite ziehen kann, die Entscheidungen verzögern oder verunmöglichen. Es gibt bereits zwei solche Staaten: Ungarn und die Slowakei.“

Ist es möglich zu wissen, was Wladimir Putin vorhat?

Vartok hat hier eine klare Antwort: „Die Ambition Putins ist, dass Russland wieder als Weltmacht wahrgenommen wird.“ Nach dem Vorbild der Jalta-Konferenz 1945, bei der auf der Krim Europas Sicherheitsstruktur neu geregelt wurde, wolle Moskau nun erneut die Welt neu ordnen. „Putin will auf der Weltbühne als gleichwertige Akteur wie die USA und China wahrgenommen werden.“

Generalmajor Ronald Vartok

Analysten warnen, dass Russland das Baltikum angreifen könnte. Ist das realistisch?

„Die Bedrohungsvariante, dass Putin das Baltikum angreift, ist leider nicht vom Tisch zu wischen“, sagt Vartok. „Analysen der nordischen Staaten schätzen, dass diese Gefahr ab 2028/29 extrem groß wird. In dem Fall würden zwei Dinge passieren. „Die NATO löst ihre Beistandsverpflichtung aus.“ Parallel dazu würde wohl die Beistandsverpflichtung innerhalb der EU ausgelöst. „Sie bedeutet nicht, dass österreichische Truppen zwingend in das Baltikum geschickt werden“, so Vartok. Es gäbe andere Möglichkeiten zu unterstützen – etwa, indem Österreich erlaubt, dass Truppen über heimisches Staatsgebiet schnell verschoben werden. In diesem Szenario könnte es zu einem verstärkten hybriden Angriff auf Österreich kommen – und zwar deshalb, weil der Aggressor Russland mit allen Mitteln (Propaganda im Netz, etc.) versuchen könnte, Österreich dazu zu bringen, die irische Klausel zu ziehen. Die Klausel sieht vor, dass neutrale EU-Länder ihre Beistandspflicht auch durch nicht-militärische Maßnahmen erfüllen können. Und genau das wäre im Interesse von Russland.

Was ist eigentlich „hybride Kriegsführung“ – und warum ist sie auch für Österreich so gefährlich?

„Hier geht es um Maßnahmen gegen einen Staat, die nicht nur militärischer Natur sind“, erklärt Vartok. Österreich sei de facto im Kriegszustand, weil es im Cyberbereich täglich Attacken gibt. Dazu gehören Maßnahmen wie Desinformationskampagnen in sozialen Medien, um die Gesellschaft zu spalten. Eine weitere „hybride“ Maßnahme ist die Migration: Sie kann von Staaten bewusst eingesetzt werden, um Regionen oder Länder unter Druck zu setzen. Vartok: „Putin hat illegale Migranten in seinen Vasallenstaat Belarus gebracht, damit diese an die Tür der EU klopfen.“ Finnland habe deshalb die Grenzen zum Osten geschlossen.

Hat die erratische Außenpolitik von Donald Trump System?

„Nach dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine war absehbar, dass Trump nicht mehr bereit ist, die europäischen Staaten wie bisher zu unterstützen.“ Trump habe immer darauf hingewiesen, dass die USA bislang für die Sicherheit Europas gezahlt hätten. „Und so erratisch er oftmals agiert, ist hier eine gewisse Logik erkennbar.“ Der Krieg in Europa sei für den US-Präsidenten „ein Ärgernis“ (Vartok), denn er passiert gleichzeitig mit anderen Herausforderungen: In den USA müsse Trump die Migrationsproblematik gegenüber Mexiko lösen, international habe er mit China einen großen Herausforderer – und gleichzeitig den Flächenbrand im Nahen und Mittleren Osten, wo die USA Israel weiter unterstützen. Daher habe Trump den Europäern gesagt, „Der Krieg in Europa ist jetzt eure Angelegenheit“.

Ist Österreich stark aufgestellt, ist es widerstandsfähig?

„Wir sind auf einem guten Weg“, antwortet Vartok. Die Resilienz-Steigerung sei in Angriff genommen, es gehe aber nicht nur um die militärische Landesverteidigung, sondern auch um geistige, zivile und wirtschaftliche. Und: psychische Resilienz sei wichtig. Bei Letzterer sieht Vartok Herausforderungen – vor allem bei den jüngeren Alterskohorten. „Man muss sich überlegen, was bedeutet das, wenn ich drei Tage lang kein Handy zur Verfügung habe?“ Laut Studien würde ein Blackout-Szenario vor allem die jüngere Bevölkerung diesbezüglich „schwer treffen“, sprich: mitnehmen.

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US-Präsident Donald Trump während Militärparade

Heißt das, die jungen Menschen sind nicht belastbar?

„Die Problematik der körperlichen Leistungsfähigkeit hat es immer gegeben“, sagt Vartok. Tatsächlich steigt die Zahl der körperlichen Einschränkungen bei der Stellung. Auffallend ist die zunehmende Fettleibigkeit. Für Vartok ist diese gar nicht das größte Problem. Körperliches Training könne Defizite beheben. „Die jungen Rekruten, die bei uns einrücken, werden langsam an den Beruf des Soldaten herangeführt. Das bedeutet: Sie werden schrittweise an die körperlichen Herausforderungen gewöhnt.“ Problematischer seien die zunehmenden mentalen Störungen. Sie könnten durch das Bundesheer nicht behoben werden. „Die Zahl derer, die aus mentalen Gründen nicht (für den Grundwehrdienst, Anm.) infrage kommen, liegt im zweistelligen Prozentbereich.“

Wie viele Soldaten benötigt Österreich, um militärisch ernst genommen zu werden?

Vartok glaubt, dass es jedenfalls mehr sein müssen als derzeit. „Es gibt aktuell einen Mobilmachungsrahmen von 55.000 Soldaten. Und ohne den militärischen Planern vorausgreifen zu wollen, glaube ich, dass diese Zahl nicht ausreicht und dass wir den Mobilmachungsrahmen in die Höhe schreiben müssen.“ Im Kalten Krieg habe man 200.000 Mann veranschlagt, kurzfristig sogar 300.000 – Letzteres nur in der Theorie. „Denn der Rahmen ist nie erreicht worden.“

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