Matthias Strolz: "Kurz ist archetypisch Populist"

Matthias Strolz: "Kurz ist archetypisch Populist"
Der Gründer der Neos, Matthias Strolz, sagt der Politik Adieu. Europas Demokratien sieht er derzeit in ernster Gefahr.

Am Mittwoch wird Matthias Strolz seinen letzten Arbeitstag im Parlament haben. Die Parteiführung hat er an Beate Meinl-Reisinger übergeben.

KURIER: Haben Sie Ihrer Nachfolgerin Beate Meinl-Reisinger eigentlich Tipps gegeben?

Matthias Strolz: Natürlich sind wir im guten Austausch. Sie hat etwa meine Mappe mit den Monatsvorlagen übernommen, wo ich Themen, die mir wichtig sind, auf Vorrat gehalten habe. Wir hatten diese Woche eine intensive Diskussion, wie sie Nachhaltigkeit stärker akzentuieren will, etwa mit einer innovationsfreundlichen CO2-Steuer. Und sie arbeitet mit anderen Parteichefs an einer Allianz mit Emmanuel Macron.

Mit Frankreichs Präsident?

Ja, denn es geht darum, ob proeuropäische Kräfte in einer Allianz der Liberalen erstmals die Nummer zwei in Europa werden können. Das wäre für das Machtgefüge auf dem Kontinent ein zentraler Game-Changer.

Zweiter hinter der EU-Volkspartei oder den Nationalisten?

Es wäre fatal, wenn die Nationalisten, die Salvinis und Orbáns, gewinnen. Die EU-Wahl wird eine entscheidende Weichenstellung, die – wenn es so ausgeht – auch in jeden Winkel Österreichs vordringen und spürbar sein wird. Das ist keine virtuelle Wahl weit weg in Brüssel. Diese Wahl wird Lebensläufe entscheiden, und wenn die Nationalisten gewinnen, dann setzen sie uns einen Scheitel auf, den wir uns nicht wünschen.

Wie in Ungarn, meinen Sie?

Dort werden 60 Prozent des Landes nur noch von staatlich gelenkten Medien bespielt. Zivilgesellschaftliche Vereine müssen Sondersteuern zahlen und bekommen regelmäßig Besuch von der Staatspolizei. Unis werden drangsaliert, auch österreichische Firmen müssen Schutzgeld zahlen. Das ist die große Weichenstellung in der EU. Es wird sich die Frage stellen, ob illiberale, gelenkte Demokratien EU-Mitglied sein können – und da bin ich mir heute nicht mehr sicher, wie die Mehrheiten aussehen.

Sie denken, die Menschen stört das gar nicht mehr?

Weil es sich für viele auch in gelenkten Demokratien ganz gut leben lässt. Nur, dass man dort urplötzlich auch im Gefängnis sitzen kann, ohne zu wissen, warum. Wir hatten lange die Illusion, dass wir in Europa – außer an den Rändern – keinen Krieg mehr haben können, aber der Krieg, der kann sich wieder hereinfressen von der Peripherie. Wir stehen als Europa längst in einem Feuerring.

Was meinen Sie damit?

Beginnend mit Libyen, wo es keine funktionierenden Strukturen mehr gibt, über Algerien und Ägypten, die immer instabiler werden, bis zum Nahen Osten, der so nervös ist wie schon lange nicht mehr. Syrien ist ein großes Totenhaus, die Türkei wandelt sich zu einem faschistischen Staat, in der Ukraine haben wir einen schwelenden Bürgerkrieg. Putin macht ständig unmoralische Angebote und wird weiter versuchen, die EU zu spalten. Freundschaftsverträge mit Regierungsparteien hat er ja bereits – mit der italienischen Lega und der FPÖ. Dann der Brexit, das Vereinte Königreich kann in fünf Jahren auseinandergefallen sein. Wir sind in einer volatilen Situation.

Und in Österreich sehen Sie die Demokratie auch gefährdet, weil es kaum mehr eine politische Auseinandersetzung gibt? Wollen die Österreicher nicht weniger Streit in der Politik?

Demokratien brauchen den Streit, mehr als die Inszenierung. Wenn es aktuell mehr um Inszenierung und Polarisierung geht, sagen Politiker wie Orbán: Das Volk will es so. Und ja, wir sind alle schuld, die Politiker, die Medien, die Sozialen Medien, die Bürger. Wir brauchen aber den intellektuell redlichen Streit, der sich immer um die Frage dreht: Was ist die bessere Idee im Sinne des Gemeinwohls? Das erlebe ich selten im Parlament. Nie kommt eine der beiden Regierungsparteien zu uns und fragt: Wie können wir das Gesetz besser machen? Die Regierung, wie ein hermetisch geschlossener Kreis. Nur die polithandwerkliche Inszenierung ist höchst eindrucksvoll.

Wie sehen Sie den Professionalisierungsgrad der Regierung?

Inszenierung: Sehr gut, Message-Controll: Sehr gut, Inhalt: Da bin ich befangen – Nicht genügend, natürlich. Ein Sebastian Kurz, der vor drei Jahren noch befunden hat, dass wir unbedingt eine Pensionsreform brauchen, hat das jetzt plötzlich vergessen. Warum? Weil er den Mut nicht hat. Kurz macht immer nur zwei Dinge. Entweder Inhalte, wo er mindestens 70 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung hat, oder Dinge, die seiner Machtmechanik guttun. Meistens fällt beides zusammen.

Ist das nicht die Definition von Populismus?

Ja, Kurz ist auch archetypisch Populist. Bei Wikipedia müsste beim Populismus-Eintrag sein Bild erscheinen. Sein Bild müsste auch erscheinen bei der Postdemokratie von Collin Crouch. Die große Kunst des Sebastian Kurz ist – damit hat er hat auch den ganzen Wahlkampf bestritten –, dass er nie Lösungen gebracht hat, sondern die Probleme immer so referiert hat, wie die Mehrheit vor den Fernsehgeräten sie sieht. Und dann klopft sich die Bevölkerung auf die Schenkel und sagt: Er hat recht. Aber es fehlen die Lösungen. Ich finde das nicht seriös, ich kenne ja diese Kommunikationsregeln.

Wären Sie auch populistischer, wären Sie dann nicht erfolgreicher gewesen?

Neos wird auch ab und zu reißerisch. Meine Parlamentsreden waren auch nicht frei von Inszenierung. Ich will nicht den ersten Stein werfen, ohne mich auch selbst zu bespiegeln. Aber ich bin jedenfalls nicht so hemmungslos, ich lüge nicht. Da muss ich auch in Kauf nehmen, dass ich nicht so erfolgreich bin.

Ihr Herzensthema ist die Bildungspolitik, Sie wollten aber nicht Bildungsminister in dieser Regierung werden. Sind wir dennoch auf dem richtigen Weg?

Die bildungspolitischen Lösungen, die ich gerne sehen würde, sind mit dieser Regierung nicht umsetzbar. ÖVP und FPÖ machen keine Bildungspolitik mit Sachverstand – den Bildungsminister Faßmann nehme ich mit seinem Bemühen aus. Der Regierung geht es vor allem um „Law and Order“-Reflexe. Es kommen keine weitreichenden Lösungen, weil das Interesse viel zu groß ist, dass die Probleme groß bleiben. Das ist Teil ihres politischen Geschäftsmodells.

Sie sagen, die Regierung verstärkt die Probleme an den Schulen statt sie zu lösen?

Sie nimmt die wachsenden Probleme in Kauf. Ein Beispiel: Wir waren aufgeschlossen in der Kopftuch-Debatte, wollten gemeinsam ein Integrationspaket für die Schulen schnüren. Wir können von London lernen, die Stadt hat dieselben Probleme gehabt und ist jetzt auf einem guten Weg. Diese Angebote interessieren diese Regierung nicht. Kurz hat damals keine drei Stunden gebraucht, um uns medial auszurichten, dass er dafür nicht zur Verfügung steht. Es bringt mehr Stimmen, auf dem Problem herumzureiten. Wir konnten uns im Parlament nicht mal darauf einigen, die Parteibuchwirtschaft in der Schule zurückzudrängen.

Was wären denn Ihre Lösungen für Brennpunktschulen?

Zusatzbudgets, wo sie auch schulautonom entscheiden können, Qualitätsbegleitung durch die Politik und die Wissenschaft. Du wirst an jedem Standort unterschiedliche Ressourcen haben, leicht unterschiedliche Probleme haben und dem gemäße Lösungen brauchen.

Am Mittwoch gehen Sie – Schließen Sie aus, je in die Politik zurückzukommen?

Ich habe diesbezüglich keinen Plan. Ich kokettiere nicht mit einer Rückkehr, weil ich keinen Plan habe, was ich, der ich 45 bin, mit 55 mache. Sicher ist nur, dass ich ein Leben lang ein politischer Mensch sein werde.

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