"Die Menschen werden hier nicht weggesperrt, sondern betreut"

Justizminister Brandstetter besucht Stockholmer Haftanstalt.
Justizminister Brandstetter sah sich nach dem Skandal in Stein in Stockholm um: Schwedische Gardinen sind hier längst von gestern.

Handys, Kameras und Computer sind streng verboten. Auch Besucher im Ministerrang haben ihre elektronischen Lebensbegleiter abzugeben. Wolfgang Brandstetter lässt den peniblen Sicherheitscheck am Eingang zum Österaker Prison nördlich von Stockholm geduldig über sich ergehen.

Auch jeder Mitarbeiter hat diese Sicherheitskontrolle wie am Flughafen zu durchlaufen. Seither gibt es so gut wie keine Fälle von Drogen- oder Handy-Schmuggel in schwedischen Gefängnissen mehr. Die Haftanstalt hat nur Einzelzellen, die Türen stehen tagsüber offen. Am Kalender stehen täglich zumindest drei Stunden Weiterbildung, Unterricht oder Therapie.

Rein äußerlich herrscht in den einzelnen Gefängnistrakten eine Atmosphäre wie in einem Sanatorium. Am Eingang eine Betreuerin in einem verglasten Vorraum. Die Gefangenen gehen dem Besucher mit ausgestreckter Hand entgegen und können auch ohne Aufsicht mit dem Minister reden. In Österaker Prison, sagt der Direktor, regiert der Grundsatz: "Wir müssen unsere Insassen dort abholen, wo sie stehen."

Im Terminkalender stand schon lange eine Visite in Stockholm – die Teilnahme an einer Kinderrechte-Konferenz samt Begegnung mit Königin Silvia. Nach Bekanntwerden der skandalösen Zustände im "Maßnahmenvollzug" nutzt Brandstetter den Zwei-Tages-Trip nach Stockholm zu einem neugierigen Blick hinter die schwedische Gardinen von heute. Und vor allem: Wie geht das Musterland im Norden mit Häftlingen, die schwere psychische Beeinträchtigungen haben, um? 4000 Menschen sind derzeit in regulärer Haft, 1500 im "Maßnahmenvollzug".

Schweden hat bei etwa gleich vielen Einwohnern nicht einmal die Hälfte an Menschen in Haft wie Österreich, aber dafür mehr als drei Mal so viele verurteilte Straftäter in Kliniken untergebracht. Haftanstalten und streng bewachte Spezialkliniken für behandlungsbedürftige Gefangene sind streng voneinander getrennt – auch organisatorisch und finanziell. Für die einen kommt die Justiz, für die anderen das Gesundheitssystem auf. Schweden wendet pro Gefangenem etwa drei Mal so viel Geld für eine adäquate Behandlung auf.

Gravierend sind die Unterschiede auch im grundsätzlichen Zugang zu Schuld und Sühne: Schweden unterscheidet nicht zwischen schuldfähigen oder nur bedingt schuldfähigen Tätern. Alle, auch Täter mit psychischen Störungen, sind vor dem schwedischen Gesetz für ihr Tun voll verantwortlich. Jeder, der seine Strafe zu zwei Dritteln abgesessen hat, wird – sofern ihm gute Führung attestiert wird – entlassen. Eine weitere Anhaltung wegen "Gefährlichkeit für die Gesellschaft" kennt man nicht.

Nur 5 über 75

Wolfgang Brandstetter stellt im Gespräch mit den Vollzugsexperten unprätentiös, aber präzise seine Fragen. Eine Zahl kann er nach dem Skandal um den verwahrlosten 74-Jährigen in Krems-Stein anfangs nicht glauben. In ganz Schweden gibt es nur 5 Haftinsassen über 75.

Was hat der Justizminister von der Blitzvisite mitgenommen? "Ich fühle mich bestärkt in dem, was wir vorhaben: Wir müssen noch strikter die Trennung zwischen Gefangenen mit schweren psychischen Problemen und dem normalen Vollzug umsetzen." Besonders beeindruckt habe ihn beim Lokalaugenschein im 200-Mann-Gefängnis bei Stockholm das Betreuungsverhältnis (1:1 zwischen Insassen und Personal) und das Klima: "Die Menschen werden hier nicht weggesperrt, sondern betreut". Der Chef der Haftanstalt entlässt die Besucherdelegation mit dem Satz: "Ich akzeptiere nicht, dass auch nur einer meiner Mitarbeiter hier unfreundlich ist. Wir bemühen uns alle, den Insassen sehr empathisch entgegenzugehen und sie auf ihr Leben in Freiheit bestmöglich vorzubereiten."

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