Lokalaugenschein auf Ibiza: Wo die blauen Träume platzten
An der Decke hängt ein Filmscheinwerfer im Retro-Design und leuchtet, fast wie zum Hohn, von der Küche aus in Richtung Couch. In der Holzvitrine findet sich hinter einer Glastür spärliche Urlaubslektüre, die Vormieter hier zurückgelassen haben. „Amigos en Ibiza“, „Freunde in Ibiza“, steht neben Noam Chomskys „How the world works“. Und unter zwei Päckchen unbenutzter Spielkarten fragt das Cover eines Romans „Can you keep a Secret?“
Kannst du ein Geheimnis bewahren?
Gaetano wartet außerhalb des Flughafens vor der Bar Costa. Er raucht, winkt und lächelt fröhlich. Das gehört zum Job. Wer bei Gaetano eine Finca um mehr als 1.000 Euro pro Nacht mietet, der erwartet sich ein fröhliches Lächeln wohl als Draufgabe. Zuletzt sind Gaetanos Preise stark gestiegen. 10.000 Euro kostet eine Woche in der Finca mittlerweile. Bis Juli ist sie ausgebucht. Wegen des „famous sofa“, des berühmten Sofas, wie er es nennt.
Er ist der Besitzer jener Villa auf der spanischen Ferieninsel Ibiza, in der im Sommer 2017 jene heimlichen Video-Aufnahmen entstanden, die zwei Jahre später die österreichische Bundesregierung sprengen und – mindestens – zwei Polit-Karrieren beenden sollten.
Gaetano ist in seinen Dreißigern und stammt aus Mailand. Seit einer Saison vermietet er die Finca, die 20 Minuten vom Flughafen entfernt auf halbem Weg zwischen Ibiza-Stadt und dem an der anderen Inselküste gelegenen Sant Antoni liegt.
Gemeinsam mit drei weiteren Italienern empfängt er am Flughafen seine Gäste. Nicht nur heute, sondern immer. Das gehört zum Job. Er und die anderen sehen dabei genauso aus, wie Italiener, die auf Ibiza teure Fincas vermieten, wohl gemeinhin auszusehen haben.
Gaetano hat sich eine Glatze rasiert und schon im Mai sonnengebräunt. Auf den linken Unterarm ist das italienische Wort „Resilienza“ tätowiert. Widerstandsfähigkeit. In Gesicht und Oberkörper trägt er Piercings. Funkelnde Diamantstecker.
Junge Männer wie ihn findet man hier zuhauf. Ibiza, das ist Jetset, Kreuzfahrttourismus und Schickimicki. Ibiza ist Thunfisch-Tatar, Champagner und – zu späterer Stunde – Vodka Red Bull. Und wer in einem der exklusiven Klubs ein „Special Dessert“ bestellt, erhält vom Kellner alles, was die langen Nächte noch ein bisschen länger und schillernder macht.
Der „Mythos Ibiza“ wird in Artikeln und Büchern beschworen, wenn von den endlosen Partys hier die Rede ist. Ibiza ist das Mallorca jener, die es sich leisten können.
Seit Jahren hält sich Ibiza als einzige Ferieninsel konstant unter den teuersten Urlaubsdestinationen der Welt. Wo sich in den 50er- und 60er-Jahren Hippies auf die Suche nach Freiheit machten, haben Promis – und solche, die es sein wollen – übernommen.
Fürst Rainier von Monaco entdeckte die Insel ebenso für sich wie der legendäre griechische Reeder Aristoteles Onassis. Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter schreibt auf seinem Anwesen inmitten von Olivenbäumen an seinen Büchern. Mick Jagger urlaubt hier. George Clooney. Und Heinz-Christian Strache.
Zahntechniker als Jetsetter
Auch Strache, und mit ihm eine ganze Partei, ist dem Mythos Ibiza erlegen. Der Zahntechniker und seine engen politischen Freunde als Jetsetter. Das hat der FPÖ gefallen, darüber hat man – zurück in Wien – auch gerne und allzu bereitwillig erzählt. Von Partys in Villen, deren Besitzer man kaum kannte, und nach denen man sich, mit einer geklauten Flasche Mineralwasser unter dem Arm, auf den Weg zurück in die eigene Unterkunft gemacht habe. Von sommerlichen Polit-Skandalen in der Heimat, die man mit den Zehen im Sand einfach ausgesessen habe, das Mobiltelefon auf leise gestellt. Bis diese eine Party kam, aus der man sich nicht davonstehlen konnte.
Seit das Video publik wurde, in dem der mittlerweile zurückgetretene FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und sein Begleiter und Freund Johann Gudenus einer vermeintlichen Oligarchen-Nichte und ihren Komplizen ins Netz gingen, ist es still geworden um all jene, die sonst so gerne Anekdoten erzählen.
Auch Gaetano will knapp eine Woche, nachdem seine Finca zum Schauplatz eines der größten politischen Skandale Österreichs geworden ist, nicht mehr erzählen. Seine Gäste hat er mittlerweile am Flughafen in einen schwarzen Jeep verfrachtet. Er selbst fährt in seinem alten, silberfarbenen Skoda voraus. Knapp eine Viertelstunde später biegt er auf eine Staubstraße ab, die an nur einigen Häusern vorbei zur Finca führt.
Ein rotes Auto parkt vor dem Anwesen. So sauber, wie es nur frisch gebuchte Mietwagen sind. Daneben ein junger Mann, der sich ratlos über das Eingangstor zu recken versucht. Gaetano hält an und gestikuliert. So können das nur Italiener. Das Gesicht des Jungen wird immer länger, pflichtschuldig händigt er eine Visitenkarte aus. Jetzt komme bald wieder die Polizei, wird Gaetano wenig später erzählen.
Der junge Mann ist einer jener vielen Reporter, die seit einer Woche hierher kommen, um – möglichst gratis – einen Blick auf die Finca zu erhaschen. Sie bringen Teleskopstangen für ihre Kameras mit oder lassen Drohnen über das Anwesen schweben. Zuletzt seien zwei Reporter sogar über das Tor geklettert und hätten einen Gast in der verglasten Außendusche erwischt. Wieder einmal kam die Polizei.
Vier bis fünf Mal täglich fährt sie mittlerweile vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Der Andrang ist groß, vor allem von deutschen Medien.
Gaetano erfuhr vergangenen Samstag um kurz nach 4 Uhr in der Früh, was sich in Österreich gerade abspielt. Da rief ihn der erste Journalist an. „Eine Verwechslung“, habe er sich zuerst gedacht. Er sollte sich irren.
Mittlerweile ist ein regelrechter Hype um die Finca entstanden. Dass ein österreichisches Boulevard-Medium nun gar einen zweitägigen Urlaub an seine Leser verlost, erfährt Geatano erst in diesem Moment. Eine italienische Zeitung berichtet über die Aktion. Ein Freund hat ihm den Link zum Artikel geschickt. Gaetano seufzt recht theatralisch.
„Kein Problem“, sagt er wenig später. Dennoch: Die Aufregung und der Rummel seien ihm nicht recht. „Wir wollen hier in Ruhe und Anonymität unsere Arbeit machen.“
Bis zu 2.000 Euro habe man ihm für ein Foto und ein Interview angeboten. „Aber ich gebe kein Interview“, sagt er, zündet sich noch eine Zigarette an – und erzählt dann irgendwie doch weiter, während er die Eingangstüre der Finca aufsperrt und die Alarmanlage deaktiviert.
Vertrautes Gefühl
Hinter der Türe liegt ein Raum, der einem unweigerlich vertraut vorkommt, ganz so, als sei man schon Dutzende Male darin gesessen. Und das, obwohl man ihn noch nie betreten hat. Das Wohnzimmer.
Eine graue Couch mit grauen und senfgelben Polstern. Ein Glastisch, auf dem nur Vodka und Red Bull fehlen, um die Szene zu perfektionieren. Ein roter Ledersessel, der nur im Video braun wirkt. Die Holzvitrine, in der sich Bücher mit Titeln aneinanderreihen, wie sie Claas Relotius in einer seiner erfundenen Spiegel-Reportagen nicht besser erdenken hätte können.
Gaetano und sein Begleiter komplettieren das Arrangement. Der eine lässt sich aufs Sofa fallen und streckt im besten Strache-Stil den Bauch heraus, der andere formt die Hände zur Waffe und imitiert Gudenus. Sie haben die Szene in den vergangenen Tagen wohl mehrfach vorgespielt.
Das Anwesen ist stattlich. „Architekten-Villa“ nennt es sich auf der Online-Plattform Airbnb, auf der es mittlerweile gemietet werden kann. Drei Schlafzimmer, drei Badezimmer; noch mehr davon im separaten Gästehaus. Im Garten führt eine Treppe vorbei an Nadelbäumen und Oleander zu einem Pool. Ein Solarium gibt es auch. „Ein Paradies“, wirbt Gaetano auf der Website.
Und doch, irgendetwas stört.
Vielleicht sind es die Raumerfrischer, die im Wohnzimmer ebenso stehen wie in der angrenzenden Küche und in den Schlafzimmern. Vielleicht ist es auch nur das Ikea-Geschirr in den Kästen. Oder es sind die Plastikliegen auf dem Dach der Finca, die man noch aus dem Caorle-Urlaub in der eigenen Kindheit kennt. Klar ist: Wer denkt, dass Oligarchen – oder ihre Nichten – so leben, hat definitiv noch nie einen Oligarchen gesehen.
Dass man so oft im Leben nur das sieht, was man auch sehen möchte, ist Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus an jenem Abend zum Verhängnis geworden. Der Traum vom Jetset, von russischen Oligarchen und von politischer Macht ist ausgerechnet auf jener Insel zerplatzt, die für die FPÖ über viele Jahre hinweg weit mehr als eine Urlaubsdestination war. Ibiza war Teil der politischen Folklore.
Jeden Sommer kam Strache hierher. Mit dabei waren nicht nur seine Mutter, die Kinder aus erster Ehe und zuletzt seine Frau Philippa. Hier traf sich die blaue Buberlpartie rund um Strache.
Vertreter der Wiener FPÖ zählten ebenso dazu wie der burgenländische (Noch-) Landeshauptmann-Stellvertreter Johann Tschürtz. Zwischen Vodka und Red Bull traf man Personalentscheidungen, besprach Wahlkampfstrategien und positionierte die Partei. Die Daheimgebliebenen informierte man nach der Rückkehr.
Wer dabei ist, ist Familie, signalisierte der Parteichef damit. Wer dabei ist, ist im Kreis des Vertrauens.
Über einen Freund gestolpert
Blindes Vertrauen ist „dem Chef“, wie Gudenus seinen Mentor nennt, nun zum Verhängnis geworden. Strache ist über ein Video gestolpert. Viel mehr noch ist er aber über Johann Gudenus gestolpert. Gudenus hat in Wien den Kontakt zu den Lockvögeln hergestellt, Gudenus hat das Treffen auf Ibiza eingefädelt.
Die inkriminierenden Äußerungen, die zum Polit-Aus der beiden geführt haben, die tätigt in dem Video zwar ausschließlich Strache. Die parteiinterne Geschichtsschreibung ist dennoch eine andere: Strache ist Opfer, Gudenus ist Täter. Wie ein Märtyrer wird Strache von seinen Parteifreunden im Abgang mit Anerkennung bedacht. Der in der Partei ohnehin nicht sonderlich wohlgelittene Gudenus geht leer aus. Er ist aus der Partei ausgetreten, seinen Namen nimmt niemand mehr in den Mund.
Für den Menschen hinter dem Politiker ist das bitter.
Zum blinden Vertrauen gesellte sich an jenem Abend die Unvorsicht. Der Griff nach der Macht lag damals, wenige Monate vor der Nationalratswahl 2017 und dem Einzug der FPÖ in die Regierung, nahe. Zu nahe. Anders ist nicht zu erklären, dass zwei erfahrene Spitzenpolitiker an einem Abend zwischen Ikea-Tellern und Plastik-Liegen über politische Praktiken philosophierten, von denen sie wussten, dass sie, sobald sie an die Öffentlichkeit gelangten, ihr Ende bedeuten.
Der Raum war nicht nur von den Lockvögeln heimlich verwanzt und mit Videokameras ausgestattet worden. Er war – und ist – mit Kameraüberwachung ausgestattet. „Hier, hier – und hier“, sagt Gaetano und deutet in die Ecken von Wohnraum und Küche, in denen Kameras montiert sind. Gut sichtbar.
Das Haus wird von der Firma Securitas überwacht, kündigt ein Schild am Eingangstor an. Die Videos, die die Kameras liefern, landen bei dem Sicherheitsunternehmen. Neun Tage lang werden sie dort gespeichert, bis sie gelöscht werden, sagt Gaetano. Auch ohne Oligarchenbesuch.
Im Fall Strache gaben die Zusatzkameras erst nach zwei Jahren ihr Wissen preis.
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