Rot-Kreuz-Präsident: "Österreich kann nicht sagen: Das geht uns nichts an"

Schöpfer, Opriesnig, Juen
Rotes Kreuz appelliert, mehr in Krisenvorsorge zu investieren, niederschwellige Angebote für psychische Hilfe und beim Impfen anzubieten.

Rot Kreuz-Präsident Gerald SchöpferMichael Opriesnig, Generalsekretär des Roten Kreuzes und Barbara Juen (Psychosoziale Dienste, ÖRK) ziehen Bilanz über die Corona-Pandemie, künftige Krisen und Afghanistan.

Afghanistan: Rotes Kreuz kritisiert Regierung

"Wir sind mehr als eine Blaulicht-Organisation, wir sind mehr als eine Blutspende-Organisation", beginnt Präsident Schöpfer, um damit auf die Situation in Afghanistan aufmerksam zu machen. "Wir wollen unsere Grundsätze nicht aus dem Auge verlieren." Damit meint Schöpfer nicht nur die Solidarität, sondern explizit die Neutralität.

Rot-Kreuz-Präsident: "Österreich kann nicht sagen: Das geht uns nichts an"

ÖRK-Präsident Schöpfer

36 mobile Gesundheitsteams in Afghanistan

In Afghanistan betreibt das ÖRK in Kooperation mit anderen Organisationen Gesundheitszentren, in denen jährlich 200.000 Menschen operiert und notversorgt werden. 36 mobile Gesundheitsteams seien zudem in entlegenen Teilen des Landes unterwegs. In Österreich unterstützt das Rote Kreuz bei der Suche nach Angehörigen und berät bei der Familienzusammenführung. Im ersten Halbjahr 2021 wurden mehr als 150 afghanische Familien bei der Familienzusammenführung nach dem Asylgesetz beraten. Seit Beginn der jetzigen Krise sei der Bedarf stark gestiegen: Pro Tag zählt das ÖRK 100 Anfragen von Betroffenen.

ÖRK-Präsident Gerald Schöpfer

Im Zuge der Corona-Pandemie hat das ÖRK, wie Schöpfer anführt, 15 Millionen Tests bewerkstelligt, 3 Millionen Einsatzfahrten absolviert, 330.000 Blutkonserven zur Verfügung gestellt. 72.000 Menschen sind für das ÖRK ehrenamtlich tätig. 

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Für Impfung und mehr niederschwellige Angebote

"Spalten und hetzen hat Österreich noch nie weitergebracht", so der ÖRK-Präsident. "Wir brauchen eine konstruktive Debatte über Verantwortung. Wir empfehlen, dass sich alle, die es tun können, sich impfen zu lassen." Um mehr zu schaffen, "brauchen wir mehr Mut statt Wut." Barbara Juen appelliert im Zuge der Impf-Debatte, mehr zuzuhören und toleranter zu werden. "Wir sollten bedenken, dass die Menschen, die derzeit noch zögern, sich impfen zu lassen verschiedene Gründe dafür haben"

  • Manche haben kein Vertrauen in die Politik oder in die Expertinnen, sie brauchen Vertrauenspersonen aus ihren Communities als Vorbilder.
  • Manche sehen das Risiko der Impfung höher als das Risiko der Corona Erkrankung. Sie brauchen diesbezüglich bessere vertrauenswürdige Information.
  • Manche haben zu viel Information und sind verunsichert. Sie brauchen Personen ihres Vertrauens, die sie durch den Informationsdschungel leiten, die aber zuerst geduldig zuhören und erfassen, wo genau die Ängste liegen.
  • Manchen ist die Schwelle eine Impfung zu erhalten immer noch zu hoch, sie brauchen Impfungen an gut erreichbaren Orten.
  • Manchen ist noch zu wenig bewusst, dass die Impfung dazu dient, andere zu schützen, vor allem die Kinder, die sich nicht impfen lassen können und, dass die Impfung wirksam ist, die Pandemie zu beenden. Sie brauchen diesbezüglich bessere Informationen

"Wenn die Infektionszahlen ins Unermessliche steigen, wird es wieder Lockdown geben"

Weil Kinder unter 12 Jahren noch nicht geimpft werden können bzw. dürfen, müssen "besonders Kinder geschützt werden". Jetzt über Impf-Pflicht zu sprechen, das sei kontraproduktiv, so Juen. Denn noch sei der Plafonds an möglichen Impfungen noch nicht erreicht. "Wenn die Infektionszahlen wieder ins Unermessliche steigen, dann wird es wieder einen Lockdown geben", sagt Juen auf Nachfrage.

Opriesnig: "Impfkampagne über den Sommer eingeschlafen"

Im Juli wurde die Impf-Kampagne vom Roten Kreuz wieder an die Bundesregierung abgegeben. Derweil sei die Kampagne eingeschlafen -"Aus meiner Sicht hätte man den Sommer besser nutzen können", so ÖRK-Generalsekretär Opriesnig, der sich für mehr und breitere Werbung sowie "glaubwürdige Testimonials" ausspricht. Nichts halten Juen wie Opriesnig davon, die Tests nicht mehr kostenlos anzubieten. "Die Testbereitschaft muss erhalten bleiben. Alles andere ist eine schlechte Strategie", so Juen und: "Als geimpfte Person will ich natürlich Vorteile spüren." 

Der Auftrag des ÖRK sei es, "das Leben von Menschen in Not zu verbessern“. Die Pandemie habe den Hilfsbedarf leider erhöht. Ein Beispiel sei "die Individuelle Spontanhilfe, die Menschen in akuten finanziellen Notlagen unterstützt und erreicht, dass Delogierungen verhindert werden, und der Strom oder die Heizung wieder eingeschaltet wird."

Schöpfer erwähnt in diesem Zusammenhang steigende Antragszahlen sowie die Team Österreich Tafeln, wo jede Woche 5.900 Freiwillige schon abgelaufene aber noch tadellos genießbare Lebensmittel ausgeben. 

Einen besonderen Stellenwert will das ÖRK der Katastrophenvorsorge einräumen. Generalsekretär Opriesnig weiß ob aktueller Studien: "Wir sind nicht optimal aufgestellt, um angemessen auf große öffentliche Gesundheitskrisen reagieren zu können."

Um bei Hochwasser, Stromausfall, Erdbeben oder in Situationen wie einer Quarantäne oder Grippe sicher und vorbereitet zu sein, hat das ÖRK auch einen eigenen Rucksack mit dem Notwendigsten zusammengestellt. Notwendiges für 14 Tage, da man nicht aus dem Haus kann - um Lebensmittel, Wasser, Hausapotheke oder wichtige Dokumente parat zu haben. 

Rot-Kreuz-Präsident: "Österreich kann nicht sagen: Das geht uns nichts an"

Schöpfer stellt Rucksack zur Krisenvorsorge vor

Als größter Pflegedienstleister in Österreich - 30.000 Menschen werden im mobilen Bereich der Pflege durch das ÖRK betreut - spricht sich Opriesnig dezidiert für mehr Geschwindigkeit und Mittel bei der Pflegereform aus. 

Barbara Juen spricht die psychischen wie psychosozialen Belastungen - insbesondere seit Beginn der Pandemie aus. Das Angebot müsse größer und "niederschwelliger" werden, so Juen. Die Ö3-Kummernummer und die WhatsApp-Beratung time4friends sei nur eine Möglichkeit. 

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