Kurz: "EU-Lieferungen erfolgen nicht nach Bevölkerungsschlüssel"

Bundeskanzler Sebastian Kurz
Bundeskanzler Sebastian Kurz spricht von "Basar" innerhalb des Steering Boards. In Brüssel erklärt man eine möglich veränderte Verteilung ganz anders.

"Wir alle wissen, dass im Juni die EU Impfstoff für alle Mitgliedsstaaten bestellt hat", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz heute bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz. Der Impffortschritt der EU wurde von vielen beobachtet - auch von ihm. "In den letzten Wochen sind viele ins Staunen gekommen über den Impffortschritt von Dänemark und warum so wenig in Lettland geimpft wird", so Kurz. Anfangs dachte man, das habe mit der Impf-Geschwindigkeit zu tun. Doch das sei, so der Bundeskanzler, nicht der Fall.

"EU-Lieferungen erfolgen nicht nach Bevölkerungsschlüssel"

"Die Lieferungen erfolgen nicht nach Bevölkerungsschlüssel", so Kurz nach Analyse der Dashboards und Rücksprache mit anderen EU-Staaten. "Es entsteht das Bild, dass Malta drei Mal so viele Impfdosen bekommen würde als Bulgarien." Die Niederlande bekämen bis dahin das Doppelte von Kroatien.

Österreich liege aktuell noch im Mittelfeld, so Kurz. Rund 1,2 Millionen Dosen hat Österreich bisher erhalten. Malta sei der Ausreißer nach oben, Bulgarien der Ausreißer nach unten. "Wenn sich der Trend so fortsetzt, dann kommt es zu einer massiven Ungleichheit."

Es wurde "eindeutig im Widerspruch" zur Vereinbarung nach Bevölkerung geliefert, erneuert er den Vorwurf, der sich dezidiert nicht an EU-Präsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel richte, sondern an das Steering Board.

"Es muss", sagt Kurz, "herausgefunden werden, wer die Unterschriften im Steering Board geleistet hat", die für die ungerechte Verteilung verantwortlich sind. Es gebe eine Geheimhaltung innerhalb dieses Boards, die Kurz, wie andere Beobachter als "Basar" bezeichnet.

Österreich im Mittelfeld - "noch kein Schaden"

"Österreich hat noch keinen Schaden genommen", sagte Kurz. Es sei aber "eindeutig, dass manche Mitgliedsstaaten eindeutig zu viel, andere zu wenig" erhalten haben. Lettland oder Bulgarien würden dem gemäß bis in den Herbst brauchen, um ihre Bevölkerung impfen zu können. "Es widerspricht der Vereinbarung der Staats- und Regierungschefs vom 21. Jänner", kritisiert Kurz.

Viele der Regierungschefs waren selbst, nachdem Kurz mit ihnen Kontakt aufgenommen hatte, "sehr überrascht", so der Bundeskanzler weiter in seinen Ausführungen.

Dass einige Länder im Mai, andere erst im August geimpft werden, "das ist nicht gut für Europa". Sebastian Kurz will "Aufklärung, Transparenz" und geklärt wissen, wer unterschrieben hat.

Brüssel bleibt gelassen

In Brüssel reagierte die EU-Kommission, die mit den Pharmafirmen die Lieferverträge ausverhandelt hat, auf die Vorwürfe gelassen.

Parallelverhandlungen zwischen einzelnen EU-Staaten und den Pharmafirmen gebe es nicht.

Wohl aber gesteht die Kommission ein, dass die Lieferzahlen von Impfdosen von den ursprünglich geplanten abweichen könnten. Das aber hat vor allem mit Lieferschwierigkeiten etwa von Astra Zeneca zu tun. So  haben viele osteuropäische Staaten vor allem den billigeren Astra-Zeneca-Impfstoff bestellt und weniger von dem teuren Pfizer/Biontech oder Moderna.

Bulgarien hat deswegen derzeit weniger Impfstoffdosen als zunächst geplant. Malta wiederum, das überwiegend von Biontech/Pfizer bestellt hat, ist gut versorgt und kann zügig impfen. Andere Staaten wiederum stoppen vorerst Astra Zeneca-Lieferungen, andere Staaten springen ein. Dadurch ergibt sich - vorübergehend - ein anderer Verteilungsschlüssel als zunächst geplant.

Aus Kommissionskreisen hieß es dazu aber auch: "Die EU-Mitgliedstaaten können auch alle gemeinsam beschließen, ausnahmsweise von der Verteilung auf Basis der Bevölkerungsgröße abzuweichen. So erhalten Österreich, Slowakei und Tschechien mit Zustimmung aller EU-Mitgliedstaaten im März je 100.000 Dosen von BioNTech/Pfizer zusätzlich/frühzeitig, um Regionen, die von der Pandemie schwer betroffen sind, zu unterstützen." 

Wie die gemeinsam beschafften Impfstoffe national verimpft würden, liege nur in der Hand der Mitgliedstaaten und ihrer Verwaltung.

Ziel aber sei es, dass bis Ende des Sommers alle Erwachsenen in der EU geimpft seien, sagte ein Sprecher der EU-Behörde.

Gefragt nach dem Impfstoff von Astra Zeneca sagt Kurz: "Die Entscheidung wird von Experten getroffen. Am Ende der Überprüfung muss man das Ergebnis respektieren. Es gab keinen kausalen Zusammenhang, insofern vertraue ich auf die Expertinnen und Experten."

Jeder in der Bevölkerung müsse für sich die Entscheidung treffen, ob er sich impfen lassen will oder nicht. Erneut beteuerte Kurz, sich mit Astra Zeneca impfen zu lassen.

Kritik an Kurz' Aussagen kommt von der Oppostion.

Opposition kritisiert Kurz

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger konstatierte auf Twitter: "Leadership eine Katastrophe. Und jetzt? Ablenkung“. Neos-Klubobmann und Gesundheitssprecher Gerald Loacker fragte, warum der Sonderbeauftragte des Gesundheitsministeriums, Clemens Martin Auer, in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender der EU-Steuerungsgruppe ("Steering Board“) der ungleichen Verteilung überhaupt zustimmte. Loacker kritisierte außerdem, dass Kurz davon nichts wusste, wie dieser zuvor selbst vor Journalisten erklärte.

SPÖ ortet "völliges Chaos"

Auch die SPÖ kritisierte, dass in der Regierung "völliges Chaos“ herrsche. Kurz wisse „nicht einmal, was seine Spitzenbeamten in der EU ausverhandeln“, so Kucher in einer Aussendung. Sowohl Kucher als auch Loacker forderten Aufklärung, sollten sich die Vorwürfe als wahr erweisen. Gleichzeitig äußerten die beiden Nationalratsabgeordneten aber auch die Vermutung, dass Kurz mit den Vorwürfen von „diversen Korruptionsvorwürfen“ bzw. seinem eigenen „Versagen“ ablenken wolle.

Der FPÖ-EU-Parlamentarier Harald Vilimsky fragte auf Twitter: "Wann schmeißen Kurz/Anschober nach der 'Impfstoff Benachteiligung Österreichs' Ihren in der EU dafür zuständigen stellvertretenden Vorsitzenden des 'Gemeinsamen EU Impfstoffausschusses' hinaus?

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