Länger arbeiten, aber wohin mit den Kindern
Das Timing war zumindest ungewöhnlich: Ausgerechnet einen Tag bevor im Parlament der 12-Stunden-Tag beschlossen werden soll, brach zwischen Bund und Ländern eine Debatte los, die dieses Ansinnen, vorsichtig ausgedrückt, konterkariert.
Denn während ÖVP-Familienministerin Juliane Bogner-Strauß im Parlament erklärte, dass man bei den Betreuungsquoten der 3- bis 6-Jährigen in Österreich schon ausgezeichnet unterwegs sei, ist man in den Bundesländern mit der Ressortchefin leicht unzufrieden – und zwar über alle Parteigrenzen hinweg.
Der Grund: 2018 laufen drei Verträge zwischen Bund und Ländern aus (15A-Vereinbarungen), die Geld für den Ausbau der Kinderbetreuung vorsehen. Doch während man bislang 140 Millionen Euro bekam, sind im Budget vorerst nur 90 Millionen verbucht. „Die Ankündigung zu sparen ist eine völlig falsche Maßnahme“, ärgert sich die Salzburger Landesrätin Andrea Klambauer (Neos) im KURIER-Gespräch.
Angesichts der Tatsache, dass man weiter in die Qualität der Kinderbetreuung investieren müsse und auch wolle (tägliche Öffnungszeiten ausweiten, weniger Schließtage über das Jahr gerechnet) und es in manchen Bundesländern in absoluten Zahlen bald mehr Kindergartenkinder gäbe, sei es schwer vorstellbar, dass Länder und Gemeinden 2019 mit gleich viel oder weniger Budget auskommen könnten. Klambauer: „Die Gemeinden müssen in den nächsten Wochen das Kindergartenjahr planen. Das können sie aber nur, wenn sie wissen, ob der Bund ihnen das Geld dafür auch zur Verfügung stellt.“
Klambauer reiht sich mit ihrer Kritik in die Liste mehrerer ÖVP-geführter Länder ein. „Der Bund hat sich zu einem qualitätsvollen Ausbau des Kinderbetreuungsangebots bekannt. Jetzt muss er auch die dafür nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen“, hieß es etwa im Büro der oö. Landesrätin Christine Haberlander.
FPÖ bremst
Warum die Bundesregierung gleichzeitig mit der Umsetzung des 12-Stunden-Tages die Mittel für die Kinderbetreuung zurückfährt, darüber will man kein abschließendes Urteil abgeben. „Klar ist“, sagt die Salzburger Landesrätin Klambauer, „dass die FPÖ beim Ausbau der Kinderbetreuung bremst. Mittlerweile gibt es auch in Salzburg Gemeinden, in denen Frauen Prämien ausbezahlt bekommen, wenn sie zu Hause bei den Kindern bleiben. Die FPÖ begrüßt das.“
Gehören die beiden Dinge tatsächlich zusammen? Ermöglicht Türkis-Blau den 12-Stunden-Tag bei gleichzeitigem Rückbau der Kinderbetreuung?
Im Familienministerium weist man das vorsichtig zurück und ist um Beruhigung bemüht. „Wir wissen um den Zeitdruck, den die Gemeinden haben“, sagt ein Sprecher. Die Verzögerung bei den Verhandlungen sei der Tatsache geschuldet, dass man die drei Bund-Länder-Verträge zu einem fusionieren und die Kriterien, nach denen das Geld ausbezahlt wird, erst definieren muss.
Nicht ganz dazu passt, dass heute, Mittwoch, auch das „Bildungsinvestitionsgesetz“ auf den Weg gebracht wurde. Dieses regelt den Ausbau der ganztätigen Schulen – und wird diesen nun wohl oder übel verzögern.
Zur Erinnerung: Als Christian Kern 2016 SPÖ und Kanzleramt übernahm, versprach er eine Dreiviertelmilliarde Euro für den Ausbau der Ganztagsschulen. Damit sollte die Betreuungsquote der Schüler von damals rund 20 Prozent bis 2025 auf 40 Prozent verdoppelt werden.
Bildungsminister Heinz Faßmann hat diesen Plan nun geändert. Die Mittel werden jetzt bis 2032 „gestreckt“; und sie werden auch später als ursprünglich geplant ausbezahlt. Ein Grund dafür ist laut Ministerium, dass die Mittel für den Schulausbau nur schleppend von den Landesregierungen, die mitzahlen müssen, abgerufen werden.
Insbesondere in der SPÖ will man das so nicht glauben. „Zusammen mit dem Stopp für den Ausbau der Kindergärten ist das die Bankrotterklärung der Familienpartei ÖVP“, sagt Faßmanns Vorgängerin Sonja Hammerschmid. Den Zwölfstundentag zu beschließen und gleichzeitig Geld für den Ausbau der Kinderbetreuung zu streichen sei „eine Verhöhnung der berufstätigen Eltern und besonders der Alleinerzieherinnen.“
Gewerkschaft: „Arbeiter wollen Kinder auch sehen“
„Die Arbeiter wollen ihre Kinder auch sehen und Zeit mit ihnen verbringen.“ Erich Nagel, Landessekretär der Produktionsgewerkschaft Vorarlberg, äußert starke Bedenken gegen den türkis-blauen 12-Stunden-Tag. In Vorarlberg seien die Angebote zur betrieblichen Kinderbetreuung sehr bescheiden, die Arbeitnehmer in den meisten Fällen auf sich selbst gestellt.
Es gibt zwar große Unternehmen, wie etwa die Voestalpine oder Magna Steyr, die einen betriebseigenen Kindergarten zur Verfügung stellen – Usus ist das in
Österreich jedoch nicht.
Klaus Willi, Betriebsratsvorsitzender bei Hydro Extrusion (Aluminiumunternehmen), befürchtet, dass die neue Regelung die Mütter im Betrieb am härtesten treffen würde. Nach den Betriebsversammlungen zur neuen Regelung sei eine Mitarbeiterin an ihn herangetreten: „Wenn das so kommt kann ich mir einen anderen Job suchen.“
Der Betriebsrat hat sich jedoch mit der Geschäftsleitung abgestimmt: Diese entwarnt, ein Zwölf-Stunden-Tag sei in diesem Betrieb nicht geplant.
„Fataler Rückschritt“Wolfgang Knes, Betriebsratsvorsitzender des Papierherstellers Mondi und Nationalratsabgeordneter der SPÖ, hält die neue Regelung für einen „fatalen Rückschritt“. Die Regierung fahre „mit der Dampfwalze über Arbeitnehmer drüber“.
Einen Betriebskindergarten gebe es bei Mondi nur in der Zentrale in Wien, die Arbeiter in den Ländern haben diese Möglichkeit nicht. „Wer wird auf die Kinder schauen? Die Einrichtungen sind nicht da, und dann wird da auch noch gekürzt“, spielt er auf die Sparpläne der Familienministerin an.
In anderen Betrieben verändert sich die Lage kaum: Im Tiroler Seilbahnunternehmen Silvretta Montafon etwa ist der Zwölf-Stunden-Tag durch eine Ausnahmeregelung im Kollektivvertrag längst Realität – Betriebskindergarten gibt es keinen. Typisch für die Branche: Dort arbeiten vor allem Männer, und das saisonal.
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