Andrea Ammon: Es wird Sie überraschen, aber: Wir haben im Prinzip dieselbe Surveillance, also Überwachung, die wir während der Pandemie aufgesetzt haben. Geändert haben sich „nur“ die Infektionszahlen der Mitgliedsstaaten, es treten deutlich weniger Fälle auf – auch, weil viel weniger getestet und sequenziert wird. Trotz allem sind wir aber nicht untätig, denn: Corona wird bleiben. Noch wissen wir nicht, ob es ein Muster geben wird wie bei der Influenza. Aber wir arbeiten mit den Mitgliedsstaaten an einer Surveillance, um den Überblick zu behalten.
Mit dem zeitlichen Abstand zur Intensivphase der Krise: Was waren für Sie die wichtigsten Erkenntnisse aus der Pandemie? Haben wir aus dem Ereignis gelernt, die Hausaufgaben gemacht?
Ich denke, wir sind noch dabei, die Hausaufgaben zu machen. Ein wichtiger Punkt ist, dass wir in jedem Land einzeln analysieren, was passiert ist, denn: Diese Analyse ist sehr individuell und kann nicht für ganz Europa gelten.
Sie meinen, die Pandemie ist jedem Land völlig unterschiedlich abgelaufen?
Absolut. Die Situationen waren höchst unterschiedlich, und es sind in den Ländern auch unterschiedliche Gebiete betroffen gewesen. Wir haben mittlerweile Anfragen von Mitgliedsstaaten, die uns bitten, mit uns die einzelnen Bereiche durchzugehen, also: Wie ist es mit den Schulen gelaufen, wie war es in diesem und jenem Sektor. Was man jedenfalls sagen kann: Die Kommunikation ist in einer Pandemie ein sehr wichtiger Punkt.
Das war ja auch in Österreich Thema: Sollen eher Politiker reden – oder doch Experten. Was sagen Sie: Gibt es einen „Königsweg“?
Ich bezweifle das, denn es hängt vom gesellschaftlichen Kontext in jedem Land ab. In Schweden beispielsweise ist die Zustimmung zur Regierung sehr hoch. Da ist es hilfreich, wenn Politiker kommunizieren. In Schweden ist auch die Glaubwürdigkeit von Institutionen hoch. In anderen Ländern beobachten wir das Gegenteil, weswegen man da nicht sagen kann: „Das ist der einzig gangbare Weg.“ Es gilt herauszufinden, wem vertrauen die Menschen. Und auch wenn es für das Ego von Wissenschaftern oder Politikern nicht gut ist: Manchmal hat ein Fußballstar mehr Erfolg, wenn er das Gleiche sagt wie Wissenschafter oder Politiker. Das muss man akzeptieren und im Interesse der Sache den Weg und die Kommunikationskanäle nehmen, die am besten funktionieren. Allerdings setzt das voraus, dass Kommunikations- und Sozialwissenschaftler oder Verhaltensforscher in den Krisenkomitees dabei sind.
Hat Sie überrascht, wie schnell die Glaubwürdigkeit von Institutionen ins Wanken gerät?
Es gibt ja den Spruch, dass die Wahrheit noch die Schuhe anzieht, wenn das Gerücht schon aus der Stadt galoppiert. In Krisen können immer Dinge geschehen, die die Glaubwürdigkeit von Personen oder Institutionen schnell erschüttern. Wenn die ausgegebenen Botschaften nicht konsistent sind und Kontroversen öffentlich ausgetragen werden, verstärkt das die Skepsis. Das ist jetzt kein Plädoyer dafür, Dinge unter den Teppich zu kehren. Aber die Art und Weise, wie man mit Kontroversen umgeht, macht viel aus.
Was hat eigentlich gut funktioniert in der Pandemie?
Das Königsbeispiel ist die Verteilung der Impfstoffe. Hier gab es ein europäisches Gleichgewicht. Als die Impfstoffe zugelassen waren, hat jeder Mitgliedsstaat proportional zur Größe Impfstoffe bekommen. Natürlich gab es zu Beginn weniger, als wir gehofft haben, die Produktion musste anlaufen. Aber es war festgelegt, wie viel jeder Staat bekommt, und die Kleinen hatten proportional genauso viel wie die Großen.
Österreich galt oder gilt als Test-Weltmeister. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Wir haben das natürlich beobachtet. Es gab ja Länder wie Luxemburg, die jede Woche einen bestimmten Prozentsatz der Bevölkerung getestet haben – und zwar nicht nur die Einwohner, sondern auch alle, die ins Land gependelt sind. Das Problem war im Endeffekt, dass den Daten sehr unterschiedliche Test-Regime zugrunde lagen – und dass sie deshalb auch schwer zu vergleichen sind.
In Impf- bzw. EU-skeptischen Kreisen existiert die Befürchtung, dass neue Verträge der EU oder WHO dazu führen, dass die Nationalstaaten bei Pandemien weniger Spielraum bekommen und Macht abgeben. Stimmt das?
Ich kann dazu nur sagen, dass sich im Moment an der Kompetenzverteilung in der EU gar nichts geändert hat.
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