Konsensprinzip: "Er sagt, sie sagt – das Grundproblem bleibt"
Niemand muss ein Formular ausfüllen, bevor er Sex hat. Auch eine App dürfte nicht notwendig sein.
Eine „konkludente Zustimmung“ sollte reichen. Klingt schon wieder kompliziert, bedeutet im Grunde aber nur, dass jemand mit Worten, aktiver Beteiligung oder körpersprachlich zu erkennen gibt, dass er bzw. sie das will, was gerade passiert.
So würden zwei Praktiker – Petra Poschalko, Richterin am Wiener Straflandesgericht, und Präsident Friedrich Forsthuber – das sogenannte „Konsensprinzip“, das Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ) im Sexualstrafrecht einführen will, interpretieren.
Forsthuber muss im Gespräch mit dem KURIER aber „die Erwartungen bremsen“: Er glaubt nicht, dass die geplante Verschärfung zu so viel mehr Verurteilungen führen würde oder (auch eine Sorge, die kursiert) reihenweise unschuldige Männer angezeigt würden. Er betont aber: „Eine Sensibilisierung, mehr auf die Zustimmung des Partners zu achten, schadet sicher nicht.“
§ 201 Vergewaltigung
Jemand wird mit Gewalt, Entziehung der persönlichen Freiheit (etwa durch Festhalten) oder Drohung mit Gefahr für Leib und Leben zum Beischlaf oder „dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen“ genötigt. Strafrahmen: zwei bis zehn Jahre, schwere Fälle bis lebenslang.
§ 202 Geschlechtliche Nötigung
Umfasst sexuelle Handlungen ohne Penetration oder wenn jemand gezwungen wird, diese an sich selbst durchzuführen. Strafrahmen: sechs Monate bis fünf Jahre Haft.
§ 205 Sexueller Missbrauch einer wehrlosen od. psychisch beeinträchtigten Person
Jemand kann z. B. wegen einer Geisteskrankheit oder „tiefgehenden Bewusstseinsstörung“ die Lage nicht einschätzen, wird sexuell ausgenutzt. Ein bis zehn Jahre Haft.
§ 205a Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung
Jemand wird „gegen seinen Willen“, unter Ausnützung einer Zwangslage oder nach Einschüchterung zum Beischlaf oder einer gleichzusetzenden Handlung genötigt. Bis zu zwei Jahre Haft.
§ 218 Sexuelle Belästigung u. öffentliche geschlechtliche Handlungen
Geschlechtliche Handlungen, die ein „berechtigtes Ärgernis“ erregen oder andere in ihrer Würde verletzen („Pograbschen“). Seit September sind auch unerwünschte Genitalbilder umfasst (Dickpics).
Aussage gegen Aussage
Schon 2015, vor der Einführung des Tatbestands der „Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung“, wurde diskutiert, ob man diese Selbstbestimmung nun so definiert, dass jemand „Ja“ sagen muss, oder ob es reicht, wenn er bzw. sie nicht „Nein“ sagt. Die damals rot-schwarze Regierung entschied sich für den zweiten Weg: Strafbar macht man sich, wenn man „gegen den Willen“ einer Person den Beischlaf vornimmt. Das will Sporrer jetzt ändern.
Eine Beweislastumkehr bedeute das nicht, betonen Sporrer und auch die beiden Experten: Es verschiebe sich nur der Fokus: Derzeit muss das Opfer erklären, ob es ausreichend „Nein“ signalisiert hat, künftig soll der Täter erklären, warum er von einem „Ja“ ausgegangen ist.
Das Grundproblem, dass häufig Aussage gegen Aussage steht – „er sagt, sie sagt“ – bleibt. Wie geht man als Richterin vor? Poschalko fragt zum Beispiel, ob das Opfer eine Abwehrhaltung eingenommen habe; ob es sich weggedreht oder die Arme verschränkt, ob es geweint habe – all das sollten recht klare Signale sein.
Dass ein Opfer „erstarrt“, nicht in der Lage ist, sich verständlich zu machen, und ein Täter deshalb freigesprochen werden musste – das sei ihr noch nicht untergekommen, sagt Poschalko. Das Phänomen des „Freezing“ will die Justizministerin mit ihrer Gesetzesänderung ja erfassen.
In den meisten Fällen würden Beschuldigte freigesprochen, weil es eine große Grauzone gebe, sagt sie – gerade dann, wenn zwei Menschen intim werden, die einander noch nicht gut kennen. Stichwort Onlinedating. Vor Gericht zählt, ob ein Vorsatz vorlag. Die Frage lautet also: Was konnte der Täter wissen, was musste er merken? Viele junge Männer seien verunsichert, sagt die Richterin, und erinnert sich an einen Fall, in dem einer mit dem Handy mitgefilmt habe, um beweisen zu können, dass der Sex einvernehmlich war.
Bei der Beweiswürdigung vor Gericht spiele auch das Verhalten der Partner danach eine Rolle, ergänzt Forsthuber: Wurden noch glühende Liebes-SMS geschrieben, gab es weitere Treffen?
Anzeige vs. Verurteilung
2016, ein Jahr nach der Einführung, gab es 148 Anzeigen wegen „Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung“, 2020 waren es 235, 2024 schon 510. Das zeigt: Der neue Straftatbestand ist im Bewusstsein der Menschen bzw. Opfer angekommen. Beweisbar war am Ende aber nur ein kleiner Teil: Bei 123 Anklagen gab es 42 Verurteilungen (siehe Grafik).
Ähnlich groß ist die Schere seit jeher beim Tatbestand der Vergewaltigung. Bei 1.756 Anzeigen gab es im Vorjahr 322 Anklagen und 127 Verurteilungen. Heuer gab es mit Stand November schon 134 Verurteilungen. Möglich, dass dieser Anstieg ein Effekt der Gewaltambulanzen ist, die Ende 2023 als Pilotprojekte in Wien und Graz gestartet sind. Dort werden Spuren von Gewalt gesichert, damit sie vor Gericht verwertbar sind.
Vorbild Schweden
In Schweden hat man seit der Einführung des Konsensprinzips 2018 bei den Verurteilungen einen Anstieg von 75 Prozent festgestellt – was laut den Autoren einer Studie aber auf einen Mix an Maßnahmen zurückzuführen sei, zu dem auch die Erhöhung der Mittel für die Strafverfolgung gehören.
Zudem wurde in Schweden feinjustiert: Grundsätzlich gilt ein Sexualakt ohne erkennbare Zustimmung als Vergewaltigung, eingeführt wurde dann noch der Tatbestand der (wörtlich übersetzt) „unachtsamen Vergewaltigung“. Gemeint ist Fahrlässigkeit – wenn also ein Täter hätte erkennen müssen, dass die Zustimmung fehlt.
2019 wurde ein 27-Jähriger in Kombination mit anderen Taten zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, acht Monate davon fasste er wegen „oaktsam våldtäkt“ aus.
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