Kocher: "Es drohen ein paar Jahre ,nur Corona‘"
Der Corona-Lockdown Mitte März hat innerhalb weniger Tage einen noch nie da gewesenen wirtschaftlichen "Teufelskreislauf nach unten" ausgelöst. Mittlerweile sei der "Höhepunkt der Krise überwunden", und die "positive Spirale nach oben" habe sich zu drehen begonnen. Das sagt Wirtschaftsforscher Martin Kocher im Gespräch mit dem KURIER.
Der Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS) in Wien wurde vor kurzem neuer Präsident des Fiskalrates, ein Beratungsgremium der Bundesregierung. In dieser Funktion muss Kocher die Entwicklung der Staatsfinanzen im Auge behalten. Er sagt: "Bleiben der Wirtschaftseinbruch und die Milliarden-Hilfen der Bundesregierung ein einmaliges Ereignis, dann kann man das Schuldenproblem mit großer Ausgabendisziplin in den nächsten Jahren lösen. Im Idealfall braucht es kein großes Sparpaket und keine Steuererhöhungen."
Ob dieser Idealfall eintrete, hänge vom künftigen Wirtschaftswachstum ab und ob es 2021 tatsächlich wieder in die Gegend von plus vier bis sechs Prozent drehe. "Die Gefahr ist momentan, dass die Optimisten nicht die Oberhand behalten und aus der V-Rezession eine langwierigere U- oder gar L-Rezession wird. Dass wir also eine lähmende Seitwärtsbewegung erleben, statt eine rasche Erholung."
Enorme Unsicherheit
In jedem Fall werde es für die Politik in der kommenden Phase sehr schwierig, nach der Corona-Akutphase die richtigen Schritte für den Übergang zur alten-neuen Normalität zu setzen. Momentan sei die Unsicherheit über die Corona-Entwicklung noch enorm, wie sich etwa bei den Schulschließungen in Oberösterreich gezeigt habe.
Kocher: "Alle, Bürger wie Unternehmen, müssen wissen, dass wir kleine lokale Ausbrüche der Krankheit im Griff haben, und dürfen nicht gleich in Panik verfallen. Dazu müssten wir aber noch viel mehr und schneller testen. Da muss es rasch Fortschritte geben."
Die Hypothek für die Zukunft bleibe die hohe Arbeitslosigkeit. "Es braucht ein Corona-Kurzarbeit-Nachfolgemodell, das wird auch schon verhandelt. Ziel ist, dass möglichst wenige Menschen aus der Kurzarbeit in die Arbeitslosigkeit kommen."
Bei allen Prognosen der Wirtschaftsforscher, die ohnehin vom stärksten Wirtschaftseinbruch und dem höchsten Defizit seit Ende des Zweiten Weltkrieges ausgehen, wird unterstellt, dass es zu keiner zweiten Corona-Welle kommt. Kann diese verhindert werden, müsste im Herbst auch der Konsum wieder voll anspringen, glaubt Kocher. "Sinkt die Unsicherheit, erlebt der Konsum automatisch ein Comeback. Der Staat hat dafür sehr viel Geld ausgegeben."
Reformstillstand
Die "große Gefahr" sei freilich, dass sich die momentan erhoffte Erholung "sehr in die Länge zieht" und die Politik nötige Reformen – von der Pflege bis zum Klima – nicht und nicht angehen kann. Kocher: "Es drohen ein paar Jahre ,nur Corona‘. Es wird politisch auf jeden Fall schwieriger als nach der Finanzkrise."
Dafür sorge allein schon die Belastung aus der demografischen Entwicklung. Die Alterung der Bevölkerung werde in den kommenden Jahren Mehrausgaben in den Bereichen Pflege, Pensionen und Gesundheit nötig machen. Das belaste den Budgetkurs zusätzlich. "Dieses Jahr ist also aus Budgetsicht gar nicht das größte Problem. Das größte Problem wäre, wenn wir nicht mehr zu einem nachhaltigen Budgetkurs zurückfinden. Die Krise darf kein Dauerzustand werden", sagt der neue Schuldenwächter.
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