Verteidigungsministerin Tanner: "Erst heute haben wir einen Angriff abgewehrt"

Klaudia Tanner
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner über unmoralische Gegengeschäfte, tägliche Server-Angriffe auf Österreich - und die Aufregung um ihre Red-Bull-Ohrringe.

Klaudia Tanner ist das derzeit längst dienende Regierungsmitglied - sie ist seit 2020 Verteidigungsministerin. 

KURIER: Vorab eine Frage zur Justiz: Sie haben sich kritisch zum Freispruch im Fall Anna geäußert. Warum?

Klaudia Tanner: Ich finde es absolut verfehlt, bei diesem Fall zur Tagesordnung überzugehen. Die Tat allein macht mich zornig, wir sprechen von einer 12-Jährigen und damit von einem Kind. Kinder sind das Schützenswerteste überhaupt. Ich bin mit der Justizministerin bereits im Austausch. 

Weil Sie Gesetzeslücken sehen? 

Möglicherweise, aber ich will meiner Minister-Kollegin nichts ausrichten. Nur so viel: Wir sprechen von zehn männlichen Jugendlichen, ein Großteil davon mit Migrationshintergrund. Und es kann niemand annehmen, dass eine 12-Jährige gerne Sex mit zehn Männern hat. Punkt. 

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SPÖ-Justizministerin Anna Sporrer

Ein ganz anderes emotionales Thema waren Ihre Red Bull-Ohrringe. Bereuen Sie, sie getragen zu haben?

Ich stehe zu meinem Schmuck. Die erwähnten Ohrringe waren ein Geschenk, das mir eine Freundin vor 15 Jahren gemacht hat, sie bedeuten mir persönlich viel. Hinzu kommt, dass ich bei dem erwähnten Foto drei Dinge getragen habe, die an die Partner der Airpower erinnern: Die Ohrringe, das grüne Herz der Steiermark – und das Hoheitszeichen unseres Bundesheeres. Die Ohrringe waren, wenn Sie so wollen, Ausdruck der Freude darüber, dass die Airpower wieder stattfindet. Ich sehe keinen Grund, mich zu Partnern des Bundesheeres nicht zu bekennen. 

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BUNDESHEER: AIRPOWER 2024

Zum Militärischen: Mittlerweile vergeht kein Tag, an dem nicht Drohnen in den Luftraum eines EU-Staates eindringen und dort für Chaos sorgen. Sie haben kürzlich gesagt, wir müssen bei Skyshield aufs Tempo drücken. Tatsächlich wird dieses Abwehrsystem erst in vielen Jahren aktiv sein. Haben wir so viel Zeit? 

Unsere Luftabwehr ist in Schichten organisiert. Wir haben schon jetzt Möglichkeiten, Drohnen abzufangen. Mit Flugzeugen, mit Hubschraubern, und wir haben das Skyranger-System geordert, das die Drohnenabwehr massiv verbessert. Aber ich gebe zu: Wir haben hier noch Aufholbedarf – wie viele andere EU-Staaten. Diejenigen, die nichts Gutes wollen, sind uns – noch - ein Stück weit voraus. 

Apropos klar benennen: Warum sagt niemand, dass die Drohnen, die in Norwegen oder Dänemark unterwegs sind, aus Russland kommen? 

Weil es nicht zu 100 Prozent sicher ist. Wir können derzeit nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, woher die Drohnen stammen. Falsche Zuordnungen würden zu einer weiteren Eskalation führen. 

Vertreter des Bundesheeres berichten von täglichen Server-Angriffen auf Österreich. Ist Ihnen bang?

Angst ist nie ein guter Ratgeber. Was die Online-Attacken angeht, sind wir gut aufgestellt. Erst heute Morgen haben wir einen Angriff abgewehrt. Wir bieten in diesem Bereich 60 Experten pro Jahr aus. Das ist einer der vielen Vorteile der Wehrpflicht: Wir können gezielt unter den Grundwehrdienern suchen und deren Talente herausfiltern. 

Bleiben wir bei den Grundwehrdienern: Steigt die Bereitschaft bei jungen Menschen, sich für die Verteidigung des Landes stark zu machen?

Wir sehen insbesondere bei den Anwärtern für Kader-Funktionen eine Verdoppelung. Im Vorjahr waren es 650 Kaderanwärter, die ihre Ausbildung begonnen haben. Heuer sind es 1.230 Soldaten, davon 366 im Einjährig-Freiwillig-Jahr, die ihre Laufbahn zum Offizier oder Unteroffizier als Berufs – oder Milizsoldat starten. Das Interesse ist also groß, bei uns zu bleiben und zusätzliche Ausbildungen zu machen. Auch bei der Zahl der Offiziere gibt es eine Steigerungsrate, ebenso bei der Heeresunteroffiziersakademie. Man kann es nicht oft genug sagen: Die Neutralität will verteidigt werden – und zwar mit der Waffe in der Hand. Nicht zufällig sagen das Soldaten in der Gelöbnisformel. 

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Angelobung in Karlstetten

Sie haben eine Kommission eingesetzt, die sich mit der Dauer des Grundwehrdienstes beschäftigt. Wird er verlängert?

Es geht nicht allein um die Dauer des Grundwehrdienstes, sondern um verschiedene Optionen, wie es weitergehen soll. Bis Jahresende werden drei Vorschläge ausgearbeitet. Entscheidend ist aber etwas anderes, nämlich: Wie gehen wir die geistige Landesverteidigung an. 

Sie meinen die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft? 

Ich meine die umfassende Landesverteidigung. Die Aufgabe, die Gesellschaft resilienter zu machen, ist kein Sprint sondern ein Marathon. Es geht nicht allein um das militärische Nachrüsten, sondern um allgemeine Vorsorge. Das reicht von Vorräten, die man zu Hause anlegt, bis hin zur wirtschaftlichen Landesverteidigung. Aber wir sind auf dem richtigen Weg und ich halte es für wichtig, dass wir hier schon in den Schulen beginnen. Unterm Strich geht es darum, dass wir uns als Gesellschaft bewusstwerden: Was sind die Werte, die wir haben und verteidigen wollen. Das muss in jedem Unternehmen und in jeder Familie besprochen werden und klar sein. 

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Außenministerin Beate Meinl-Reisinger und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner

Europa und Österreich rüsten auf. Sie haben im Sommer die große heimische Wertschöpfung bei Rüstungsprojekten gelobt. Stellen wir jetzt auf Rüstungswirtschaft um? 

Ich spreche vom Nachrüsten, nicht vom Aufrüsten, denn wir haben in Österreich großen Aufholbedarf. Tatsächlich liegen bei allen Beschaffungen die Mittel, die in österreichische Unternehmen fließen, bei 60 Prozent. Das beste Beispiel ist der Radpanzer Pandur. An seiner Produktion sind über 200 österreichische Unternehmen beteiligt. 

In der Rüstungsindustrie ist man ein wenig verwundert über das Tempo, das Österreich bei Industriekooperationen an den Tag legt. 2022 haben Sie den Aufbauplan 2032 präsentiert, erst drei Jahre später setzen Verteidigungs- und Wirtschaftsministerium eine entsprechende Taskforce ein. Schiebt man sich da gegenseitig die Verantwortung zu? 

Ich bin nicht dafür bekannt, Verantwortung abzuschieben. Bei Beschaffungen geht es um sehr viel Steuergeld, dementsprechend transparent müssen die Vorgänge sein. Ich denke, der ein oder andere, der sich beschwert, tut dies deshalb, weil er bei dem ein oder anderen Geschäft nicht zum Zug gekommen ist. 

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Sind Gegengeschäfte unmoralisch?

Einer meiner Vorgänger hat sie verboten, aber ich sehe Industriekooperationen nüchtern und differenziert. Sie sind sinnvoll, wenn sie in Österreich Wertschöpfung ermöglichen. Wenn österreichische Unternehmen beispielsweise den Pandur lackieren oder die Fahrzeugwanne erzeugen, so sind das Arbeitsplätze, die in Österreich gehalten werden können. Wesentlich ist, dass Beschaffungsvorgänge transparent und nachvollziehbar erledigt werden. Das haben wir durch viele Prüf-Instanzen wie den Rechnungshof oder einschlägige Kommissionen sichergestellt. 

Welche Rolle spielt KI in ihrem Ministerium?

Man muss damit umgehen, darf die Augen nicht verschließen. KI kann sehr viel Positives bringen - etwa im Verwaltungsbereich. Parallel dazu stellen sich im Militärischen viele ethische Fragen – etwa, wenn es um autonome Waffensysteme geht. Wir sind hier in der EU und in Österreich sehr eindeutig. Künstliche Intelligenz kann bei Waffensystemen unterstützen und analytisch helfen. Die Letzt-Entscheidung muss aber beim Militär bleiben. Auf Drohnen umgemünzt bedeutet das zum Beispiel: Drohnen können mit der Hilfe von KI navigieren und fliegen. Die Entscheidung über einen Angriff muss aber immer beim Menschen bleiben.

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