Kern: Sobotka-Kritik ist "unerheblich"
In der Regierung fliegen weiter die Fetzen – und dennoch gibt es kein Regierungsmitglied, das offen ein Ende der Koalition oder Neuwahlen fordert.
Stein des Anstoßes ist – einmal mehr – ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka: Er hatte im KURIER SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern "Versagen als Kanzler" vorgeworfen und ein Veto gegen die Bildungsreform und die kalte Progression im Ministerrat in den Raum gestellt.
Und auch am Montag legte der ÖVP-Mann aus Niederösterreich nach: Seit einem Jahr würde von der SPÖ ein "Dauerwahlkampf geführt", er sehe, "dass wir permanent an der Arbeit behindert werden", so der Innenminister. Es gebe keine Regierungslinie in wesentlichen Punkten.
Auf die mehrmalige Nachfrage, ob die ÖVP deshalb die Regierungskoalition aufkündigen solle, gab er keine Antwort. Ob er Kanzler Kern solange provozieren wolle, bis Kern die Koalition aufkündigt? "Es liegt mir nichts an einer Provokation", sagt Sobotka.
"Fast täglich grüßt das Murmeltier", kommentierte das SPÖ-Regierungskoordinator Thomas Drozda in einem Tweet.
Der Kanzler reagierte zunächst via Ö1: "Ich denke, Vernunft wäre das, was wir brauchen." Werde diese Regierungszusammenarbeit von Einzelnen mutwillig zerstört – "aufgrund persönlicher" oder "egoistischer Interessen" – dann müsse allen bewusst sein, "dass man hier der Freiheitlichen Partei den roten Teppich in die nächste Regierung ausrollt. Und das muss jeder für sich verantworten, ob er das für richtig hält oder nicht".
Am Abend legte Kern auf Puls4 nach: "Es gibt einige, die nur ein sehr begrenztes Interesse an Erfolgen dieser Regierung haben."
Kern bekräftigte, dass es "zweifellos" einen "sehr gut funktionierenden Arbeitsprozess mit dem (ÖVP-)Vizekanzler " gebe. Der Bundeskanzler will sich mit den ständigen Angriffen des ÖVP-Innenministers nicht groß auseinandersetzen. Sobotkas Kritik sei "unerheblich".
Verhageltes Jubiläum
Kanzler Kern steht kurz vor seinem einjährigen Kanzler-Jubiläum, er wurde am 17. Mai 2016 angelobt.
Trotz anfänglicher Euphorie steckt der Koalitionskarren inzwischen fest: Aktuelle Regierungsbeschlüsse wie das Ende der Kalten Progression, eine höhere Forschungsprämie oder die "Aktion 20.000" von Sozialminister Alois Stöger (soll die Langzeitarbeitslosigkeit bei Über-50-Jährigen bekämpfen), müssten längst dem Ministerrat vorliegen.
Sobotka kritisiert die SPÖ und ihren Kanzler freilich nicht nur, er handelt auch danach: Weil er "permanent in Sicherheitsfragen blockiert" werde, will Sobotka die Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz in Begutachtung schicken, ohne das mit der SPÖ akkordiert zu haben. Inhaltlich geht es in Sobotkas Sicherheitspolizeigesetz um Neuerungen zur Videoüberwachung, zur Autokennzeichenerfassung sowie um Community-Policing.
Bei der Videoüberwachung soll die Herausgabe und die Verwendung von Daten, die Private gesammelt haben, auf freiwilliger Basis möglich werden. Damit soll auch für ÖBB oder Asfinag die unverzügliche Herausgabe von Videomaterial verpflichtend werden.
Die SPÖ reagierte prompt auf den Alleingang – und zwar mit einem Njet: Justizsprecher Hannes Jarolim erklärte, seine Partei werde nicht zustimmen. Sobotka solle Vorschläge vorlegen, über die man diskutieren könne. Man sei aber gewöhnt, dass Sobotka "meist im Gegenteil der Ausübung der Grundrechte handelt", zudem sei "auffällig und schade", dass dieser lieber "mit unsachlichen Vorschlägen öffentlich auffalle" als mit Lösungen.
Unterdessen verhandelten die Lehrer-Gewerkschafter im Bildungsministerium über die Bildungsreform. Die Regierungsverhandler hoffen auf eine Einigung bis Ende der Woche. Das dürfte schwierig werden. Der Grund: Der Unmut der Lehrer ist sehr groß.
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