„Kein Grüß-Onkel, sondern ein massiver Player“

„Kein Grüß-Onkel,  sondern ein massiver Player“
Verfassungsexperte Ludwig Adamovich über Bundespräsident Alexander Van der Bellen und die Eleganz der Verfassung.

Es gab kaum einen Auftritt in den vergangenen 16 Krisentagen der Republik, bei dem Bundespräsident Alexander Van der Bellen trotz des politischen Neulands, das Österreich gerade betritt, nicht ins Schwärmen geriet. Nicht über die Politiker des Landes, sondern über die „Landkarte“, wie Van der Bellen die Verfassung nennt, die genau den richtigen Weg aus dem Chaos zeigt. „Gerade in Zeiten wie diesen zeigt sich die Eleganz, ja die Schönheit unserer österreichischen Bundesverfassung“, betonte er mehrmals. Wie das Navigationssystem für Notfälle vor 99 Jahren entstand und warum der Bundespräsident in der Verfassung eine Sonderstellung hat, erklärt der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Ludwig Adamovich.

„Kein Grüß-Onkel,  sondern ein massiver Player“

Ludwig Adamovich, ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofes

KURIER: Herr Adamovich, Bundespräsident Alexander Van der Bellen lobt die Eleganz der Verfassung. Zeigt die Verfassung im 99. Jahr ihres Bestehens, was sie kann?

Ludwig Adamovich: Die Verfassung kann einiges. Im Notfall oder Krisenfall zeigt sie klare Verhaltensregeln auf, über die es nichts zu diskutieren gibt. Das Parlament ist in dieser Situation nicht auf sich alleine gestellt. Was der Bundespräsident wohl auch meint, ist, dass die Verfassung in einer sehr schönen, klaren Sprache ohne Schwülstigkeit verfasst ist.

Würden Sie es als Krise bezeichnen?

Eine Staatskrise ist es nicht. Davon könnten wir sprechen, wenn die verfassungsrechtlichen Instrumente nicht mehr ausreichen. Das ist nicht der Fall. Aber es ist eine politische Krise, weil es ein massives Maß an gegenseitiger Feindseligkeit gibt. Das zeigt sich an der Abwahl des Kanzlers. Es gab einen wirksamen Misstrauensantrag gegen das Ministerkabinett. Früher hat man mit diesen Instrumenten maximal gedroht, sie aber nie umgesetzt.

Nach der letzten Bundespräsidentenwahl gab es die politischen Bestrebungen, den Bundespräsidenten mit weniger verfassungsrechtlichen Instrumentarien auszustatten. Ist dieses Bestreben nun vom Tisch?

Das denke ich schon. Denn im Normalbetrieb sieht man den Bundespräsidenten als eine Art Grüß-Onkel. Andere sagten sogar, den Bundespräsidenten brauchen wir gar nicht. Das wird man nicht mehr hören. Denn jetzt hat sich zum ersten Mal gezeigt, dass er kein Grüß-Onkel, sondern ein massiver Player ist. Das freut mich als Verfassungsrechtler. Denn die Einrichtung des Bundespräsidenten ist ein wichtiges Element der modern verstandenen Gewaltentrennung. Aber es ist momentan auch günstig, dass der Bundespräsident keiner der politischen Parteien verpflichtet ist.

Vater der Verfassung ist Hans Kelsen. Allerdings gehen diese Rechte, die der Bundespräsident im Krisenfall hat, nicht auf Kelsen zurück. Die kamen erst 1929 in die Verfassung. Warum?

Hans Kelsen hat 1920 ein parlamentarisches Regierungssystem verwirklicht. Er war ein liberaler Demokrat, dem jedes autoritäre Gebaren suspekt war. Er hat geahnt, dass das in die Katastrophe führt. Neun Jahre später gab es eine Novelle, die den innenpolitischen Konflikten geschuldet war. Der bürgerliche Block hat sich vor der Machtübernahme der Sozialisten gefürchtet. Die sozialistischen Wehrverbände sagten damals ganz offen: „Zuerst kommt der Sozialismus, dann die Demokratie“. Auch der Nationalsozialismus spielte – zwar noch nicht auf Bundesebene, aber in den Landtagen – schon eine große Rolle. Dazu kamen die rechtsradikalen Kräfte in Gestalt der Heimwehr, die mit einem Putsch drohten. Um diesen Putsch abzuwehren, kam es zur Verfassungsnovelle. Es wurde festgeschrieben, dass der Bundespräsident vom Volk gewählt wird, und seine Kompetenzen wurden ausgeweitet. Bis dahin wurde die Regierung vom Parlament gewählt. Ab 1929 ernennt sie der Bundespräsident.

Das Revolutionäre an Hans Kelsens Verfassung war die Einrichtung des Verfassungsgerichtshofes. Im EU-Mitgliedsland Polen wurde der Verfassungsgerichtshof ausgehebelt. Ist das auch in Österreich möglich?

Theoretisch ist es möglich. Praktisch denke ich nicht, dass es möglich ist. Eine Zeit lang hatte der Verfassungsgerichtshof einen Dornröschenschlaf in Österreich. Mittlerweile ist er ein politisches Instrumentarium. Durch die Einführung, dass ein Drittel der Nationalrats- und Bundesratsabgeordneten ein Gesetz anfechten können, wurden viele Gesetze, die der politischen Mehrheit wichtig waren, mit Erfolg angefochten. Dazu kommt die spektakuläre Aufhebung der Bundespräsidentenwahl. Das hat gezeigt, dass der Verfassungsgerichtshof auch ein wichtiger politischer Faktor ist.

In den vergangenen 17 Monaten hat Ex-Innenminister Herbert Kickl die Menschenrechtskonvention als überholt bezeichnet und meinte, dass das Recht der Politik zu folgen habe. Haben Sie hier keine Tendenzen dafür entdeckt?

Man hat gemerkt, dass sich ein Unwetter nähert. Ob die wirklich entscheidenden Schritte gesetzt worden wären, bezweifle ich, weil die Kontrollmechanismen hier zu stark sind. Aber es stimmt, dass die Stimmung in ihrer Summe sehr ungemütlich war. Rechtlich hat Kickl einige Experimente auf dem Gebiet des Fremdenrechtes durchgeführt und auch auf den Weg gebracht.

Die designierte neue Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein war bis zuletzt die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes – also die oberste Verfassungshüterin. Für einen Verfassungsexperten wie Sie ein Freudentag?

Die Bestellung freut mich für sie als Person. Was mich als Verfassungsrechtler freut, ist die Tatsache, dass der Bundespräsident und die künftige Bundeskanzlerin die Rolle so spielen, wie sie in der Verfassungsnovelle von 1929 vorgesehen ist. Erstmals haben Bundespräsident und Bundeskanzlerin die Regierungsbildung gemeinsam in der Hand. Noch nie gab es eine so intensive Zusammenarbeit. Normalerweise ist es so, dass der künftige Bundeskanzler bei einer Regierungsbildung gelegentlich vorbeikommt und den Bundespräsidenten informiert. Eingebunden in die Regierungsbildung ist er kaum.

Sie kennen Brigitte Bierlein sicherlich sehr gut. Was qualifiziert sie zur Bundeskanzlerin?

Ich schätze an ihr, dass sie ruhig und ausgeglichen ist. Trotz ihrer auffallenden Erscheinung hat sie niemals die Diva herausgekehrt, die sie hätte sein können. Brigitte Bierlein ist eine bescheidene Person, die mit Mitarbeitern immer sehr angenehm und konziliant umgegangen ist.

Es gibt Juristen, die an der Wahl von Brigitte Bierlein kritisieren, dass nun die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes zur Bundeskanzlerin wird. Laut Artikel 94 der Verfassung ist die Justiz von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt. Ist das kein Problem für Sie?

In diesem Fall geht es nicht um eine Rechtsfrage, sondern darum, eine Persönlichkeit zu finden. Frau Bierlein ist nicht Aspirantin für das Amt der Bundeskanzlerin, weil sie oberste Verfassungshüterin war, sondern weil sie eine imponierende Persönlichkeit ist.

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