Katzian: Für Arbeit, gegen Grundeinkommen

GPA-Chef Katzian über Zulauf für Rechts: „Es ist Zorn und teilweise Verzweiflung, Abstiegsangst und auch Angst um die Zukunft der Kinder“
Der Gewerkschafter Wolfgang Katzian argumentiert für bessere Verteilung von Arbeit und Vermögen.

KURIER: Herr Katzian, es vergeht kein Tag, an dem wir nicht über neue Prognosen berichten, wie schnell Arbeitsplätze verloren gehen werden. Deloitte meint, 50 Prozent der Arbeitsplätze in den nächsten 20 Jahren. Wie lautet die Antwort der Gewerkschaften?

Katzian: Ja, ich kenne die Studien und Untersuchungen amerikanischer und deutscher Universitäten. 40 bis 60 Prozent der Arbeitsplätze fallen weg, und keiner weiß, wie viele neue entstehen. Es geht also darum, wie wir den Sozialstaat absichern und die Arbeit verteilen. Und wir müssen die Kaufkraft sichern. Natürlich werden wir eine Diskussion über die Wertschöpfungsabgabe führen müssen. Die Gewinner der Digitalisierung werden einen Beitrag leisten müssen.

Hinter Ihnen ist ein Schild, das für die 35-Stunden-Woche wirbt.

Es ist auch eine Lineal d'rauf, das den Weg zeigt, von wo wir kommen mit der 48 Stunden Woche – und wohin die Reise geht, der 35er ist da nur ein möglicher Zwischenschritt. Es geht um die Verteilung der Arbeit, aber dabei nicht nur um die Wochenarbeitszeit.

Und jene, für die es gar keine Arbeit mehr gibt. Soll es für sie das bedingungslose Grundeinkommen geben?

Wir werden dafür kämpfen, dass alle, die eine Arbeit wollen, auch eine bekommen, da werden wir um eine Arbeitszeitverkürzung nicht herumkommen.

Sie sind also gegen das Grundeinkommen?

So wie es bisher diskutiert wurde, kann ich es mir nicht vorstellen.

Viele einfache Jobs wird es gar nicht mehr geben, die Spezialisierung wird eine viel bessere Ausbildung erfordern.

Wir prüfen in allen Branchen der Gewerkschaft der Privatangestellten, welche Auswirkung die Digitalisierung hat. Da geht es auch um neue Geschäftsmodelle in Folge der Digitalisierung. Es fallen auch viele Jobs im mittleren Angestelltenbereich weg. Auch im medizinischen Bereich, zum Beispiel in der Diagnostik.

Wir werden also nur mit noch mehr Spitzenkräften überleben?

Ja, das beginnt bei den Kindern, und für alle wird lebenslanges Lernen notwendig sein. Ich möchte auch nicht eine Gesellschaft haben, wo wir alle technischen Geräte bedienen können, aber wir menschliche Wracks werden. Ich wünsche mir, dass gerade, was in den sozialen Medien geschrieben wird, auch hinterfragt wird. Jeder muss verstehen, was ein Algorithmus ist. Jeder muss lernen, selbst zu programmieren.

Es wird auch Menschen geben, die die künftigen Herausforderungen der Arbeitswelt nicht schaffen werden.

Dafür werden wir alle älter, das schafft neue Aufgaben. Soziale Dienste wie die Pflege oder die Betreuung alter Menschen werden eine große Herausforderung und müssen auch finanziert werden. Wobei auch hier die richtige Ausbildung eine Rolle spielt.

Und wer wird den Pflegeaufwand finanzieren?

Ja genau. Hier frage ich: Wie verteilen wir die Gewinne? Und welchen Beitrag leisten die großen Vermögen.

Steuern erhöhen wird nicht gehen...

Es geht um die Verteilungsfrage – und um die Art der Steuern. Grundbesitz und Erbschaften gehören höher besteuert.

Sie wollen auch eine Vermögenssteuer?

Ja, wie diese aussieht, muss man noch diskutieren, aber die Verteilung muss gerechter werden. Das ist doch ein Grund für den Aufstieg der Rechtspopulisten. Die Leute sagen: Es geht besser, aber bei mir kommt nichts an. Das geht auch in die Mittelschicht hinein.

Dann frage ich den Sozialdemokraten: Früher sind diejenigen, die sich benachteiligt gefühlt haben, zu den Linken gegangen, heute gehen sie zu den Rechten.

Ja, das ist eine gute Frage. Wir brauchen mehr Verteilungsgerechtigkeit. Und dazu eine digitale Dividende, also diejenigen, die davon profitieren, müssen auch dafür bezahlen, dass wir die Verwerfungen der Digitalisierung bezahlen können.

Aber gerade in unserem Bereich – in den Medien – ziehen US-Konzerne Gelder ab, zahlen aber kaum Steuern.

Wenn Europa nicht in der Lage ist zu sagen, dass hier gemachte Gewinne auch hier versteuert werden und hier zu Investitionen führen, dann können wir ohnehin abtreten.

Aber Herr Katzian, eine Frage haben Sie noch nicht beantwortet: Warum vertrauen die Enttäuschten eher den Rechten als den Linken?

Ich bin nicht sicher, dass sie vertrauen. Es gibt aber ein Glaubwürdigkeitsproblem der aktuellen Politik. Als Kind haben mir meine Eltern so wie viele andere auch gesagt: Lern etwas, dann wirst du es besser haben. Und dieser Satz stimmt leider nicht mehr. Viele junge Leute mit Topausbildung hanteln sich von einem Praktikum zum nächsten, sind dadurch nicht in der Lage, sich eine Existenz aufzubauen.

Aber haben wir nicht auch da ein Verteilungsproblem? Gerade in staatsnahen Unternehmen verdienen die Älteren noch gut und haben sichere Pensionen, die Jüngeren nicht mehr.

Ja, auch innerhalb der ArbeitnehmerInnen gibt es Ungleichheiten ...

... die von der Gewerkschaft mitbeschlossen wurden.

Nicht überall sind die Gewerkschaften am Tisch. Aber wir haben bei den Kollektivverträgen großen Wert darauf gelegt, dass die Einstiegsgehälter höher werden, und die Lohnkurve flacher wird.

Wird es in zehn Jahren noch Kollektivverträge geben?

Auf jeden Fall, aber wie diese aussehen, kann heute niemand sagen, vielleicht entstehen neue Formen. Aber es wird ganz sicher auch in der digitalen Welt Spielregeln brauchen.

Ein Start-up in Wien muss mit einen Start-up in Lissabon oder San Francisco konkurrieren können.

Ja, aber da werden hoffentlich auch in den anderen Ländern Spielregeln gelten und soziale Sicherheit eine Rolle spielen.

Nochmals die Frage: Warum die Rechten mehr Vertrauen bekommen?

Es ist Zorn und teilweise Verzweiflung, Abstiegsangst und auch Angst um die Zukunft der Kinder. Es haben ja auch die Medien an Glaubwürdigkeit verloren.

Deswegen nennen wir Quellen und geben auch zu, wenn uns ein Fehler passiert. Aber genügen Fakten in einer emotionalisierten Zeit?

Nach der US-Wahl hat es geheißen, das war eine Wahl gegen das System. Das System in Österreich ist eine Demokratie, das impliziert Rechtsstaat, Presse- und Gewerkschaftsfreiheit und vieles mehr. Dafür haben unsere Vorfahren unter Einsatz ihres Lebens gekämpft. Aber ich sehe auch, dass diese Argumente nicht reichen. Dazu kommt, dass sich viele Leute weigern, lange Artikel zu lesen. Das Problem mit Facebook ist, dass viele sich mit einigen Sätzen schon informiert fühlen und nicht hinterfragen, wer da was geschrieben hat – und in wessen Interesse.

Was ist aber jetzt die emotionale Nachricht Ihrer Gewerkschaft?

97 Prozent der Arbeitnehmer in Österreich haben einen Kollektivvertrag, der Einkommen und Arbeitsbedingungen regelt. Wir engagieren uns für die Sicherung der Pensionen und im Gesundheitssystem. Urlaubsrecht, Arbeitszeitgesetz und Arbeitnehmerschutz gibt es nur, wenn wir Gewerkschaften haben. Jetzt geht es um die neue Arbeitswelt. Wir sind seit 100 Jahren auf einem sehr guten Weg – und werden es auch in den nächsten 100 Jahren sein.

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