Ur-Grüner Kaspanaze Simma: "Auto ist ein Betonklotz am Bein“
Er sitzt in seiner holzvertäfelten Stube, reibt die Kaffeebohnen selbst, auch Kaffeemaschine benötigt er keine. Ein Auto hat er nie besessen. Kein Traktor, sondern ein Pferd erledigt die Arbeiten auf dem 120 Jahre alten Bauernhof des Kaspanaze Simma im Bregenzerwald.Der 65-Jährige ist die vielleicht letzte noch lebende Galionsfigur der Grünen. Anfang der 80er wurde der rauschebärtige Bauer aus Vorarlberg als Aufmüpfiger bekannt. Durch einen Zufall wurde er Spitzenkandidat auf der ALÖ-Liste (Alternative Liste Österreich), den späteren Grünen, für die Landtagswahlen 1984. 13 Prozent erreichte der Querdenker damals auf Anhieb. Damit war der erste Einzug einer politischen Öko-Bewegung in einen österreichischen Landtag geschafft. Doch der politische Alltag war nicht Seins. Ende der 90er Jahre verließ Simma die Politik.
Seither lebt er auf seinem Bauernhof mit Frau Lucia und ihren fünf Kindern seine Idealvorstellung eines richtigen Lebens.
Und dieses Modell ist durchaus ein radikal anderes: Simma betreibt eine Subsistenzwirtschaft (Selbstversorger). Natur, Eigenarbeit und Geldwirtschaft müssen in Balance sein, lautet sein Credo. „Wächst nur die Geldschicht, erodieren die anderen“, sagt Simma. Welche Chancen gibt der Bauer, der gerne beim Melken philosophiert, der türkis-grünen Bundesregierung?
KURIER: Herr Simma, sehen Sie Risiken bei diesem türkis-grünen Experiment für die Grünen?
Kaspanaze Simma: Ich war über die Kompromissfähigkeit der ÖVP durchaus überrascht. Ich denke, das hat auch mit der jüngeren Generation in der ÖVP zu tun, die hier zu den Gedanken der Grünen eher einen Zugang findet. Diesen Zugang gab es früher in der ÖVP nicht – mit Ausnahme von Josef Riegler (1987 bis 1991 Minister und ÖVP-Vizekanzler). Die ökosoziale Idee stammt ja von ihm. Ich sehe keine großen Risiken bei der Koalition. Aus meiner Sicht war es wichtig, diese Koalition zu versuchen.
In der Migrationsfrage existieren doch unterschiedliche Zugänge. Warum sehen Sie keine Risiken?
Meine Hoffnung ist, dass ein gegenseitiger Lernprozess durch die Zusammenarbeit passiert. Bei der ÖVP mehr in Richtung ökosoziales Wirtschaften – und zwar in einem sehr weiten und längerfristigen Sinn. Es sollte eine intensive intellektuelle Auseinandersetzung vor allem in der Wirtschaftswachstumsfrage geben. Das ist ein Schlüssel, ob die ökosoziale Politik zustande kommt oder nicht. Die Frage der Zuwanderung halte ich für ein vielschichtiges Thema. Wir haben seit Jahren zu wenig Arbeitskräfte. Wir könnten unsere alten Menschen nicht mehr pflegen und unsere Messen nicht mehr lesen, wenn wir nicht Menschen hätten, die interessanterweise aus subsistenzstärkeren Gesellschaften kommen und mehr Lebenskraft als wir haben, um diese Aufgaben zu übernehmen. Der Industrialismus hat eine Menge Vorurteile gegenüber anderen Kulturen in die Welt gesetzt, die sich so nicht halten werden lassen.
Sie leben ohne Auto, ohne Traktor, verzichten auf Maschinen. Warum?
Hier hat mich der Philosoph Ivan Illich geprägt. Er hat bereits 1973 vorgerechnet, dass der Mensch mit dem Auto nach Einbezug wirklich aller Kosten nicht schneller ist als zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Wie kommt man auf das Ergebnis? Bei dieser Rechnung gehört nicht nur die Arbeitszeit, die man aufwendet, um das Auto zu bezahlen, miteinberechnet, sondern auch die Arbeitszeit, die man aufwendet, um die Versicherung, die Erhaltung, das Benzin und die Parkstrafen zu finanzieren, sowie die Zeit, die man auf der Fahrt zur Arbeit von A nach B aufwendet. Da habe ich erkannt, dass viele Technologien auf den ersten Blick Zeit und Geld sparen, diese Ersparnis sich dann aber in Luft auflöst, sobald man eine Vollkostenrechnung anstellt. Das Argument für den Kauf von Maschinen war die Erleichterung von Arbeit, aber mir kam es eher vor wie eine bloße Erleichterung von Geld.
Mobilität und Digitalisierung bestimmen unsere Gesellschaft. Das Auto steht für Freiheit. Ein Verzicht wäre ein massiver Umbau der Lebensgestaltung. Ist Ihr Denken da nicht zu radikal?
Für mich wäre ein Auto ein Betonklotz am Bein. Aber es geht nicht um die Frage: Auto oder kein Auto, sondern um das richtige Maß. Technik soll ein Hilfsmittel sein, aber nicht das Primäre. Laut Statistik fahren wir pro Kopf und Tag rund 64 Kilometer. Was würde passieren, wenn wir uns gesellschaftlich darauf verständigen würden – und damit wäre ich wieder bei der Koalition –, diese Kilometeranzahl von 64 auf 45 Kilometer pro Tag zu reduzieren? Ich bin überzeugt, dass jeder von uns einige Autofahrten findet, die unnötig sind. Das würde nicht nur Emissionen einsparen, dadurch würden wir auch mehr Lebenszeit und -kraft gewinnen. Dafür braucht es den politischen Diskurs, sonst gelingt das Umdenken nicht. Deswegen ist es wichtig, dass die Grünen in der Regierung sind.
Die Ökologisierung des Steuersystems passiert doch, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren, nicht um den Fortschritt und das Wirtschaftswachstum aufzuhalten, heißt es.
CO" ist ja ein Ausdruck dieser Fehlentwicklung. Die fossilen Energieträger zu reduzieren, ist richtig. Aber es wäre zu kurz gegriffen, wenn wir denken, dass wir diese Energiemenge durch erneuerbare Energie ersetzen können. Da werden auch wir unseren persönlichen Energierverbrauchslevel reduzieren müssen. Denn hier ist die kritische Schwelle schon überschritten. Aus meiner Sicht gibt es noch andere Gründe, warum wir umsteuern sollten: Arbeit sollte in meinen Augen mehr in Verbindung mit Hand, Fuß, Kopf und Herz passieren. Daraus ergibt sich wirtschaftlich gute Arbeit. Wenn man zunehmend mit Technologien und Maschinen arbeitet, gehen Potenziale wie Sozialkontakte, das Gemeinschaftsgefühl und auch das Naturerlebnis verloren. Es geht aber auch um ein besseres Klima des Zusammenlebens, der Aussprache, des Wertschätzens.
Die Grünen regieren in Europa stets mit Sozialdemokraten. Was spricht aus Ihrer Sicht für ein Regieren mit Konservativen ?Ich glaube, dass die ÖVP aus ihrer Geschichte heraus, eine Menge Potenzial hätte. Die Linke ist ja eigentlich ein Kind der Industrialisierung. Sie hat dieses Verständnis, dass man selber im Leben etwas bewirken und verändern kann, nicht stark verankert. Ihre Stärke ist das strukturelle und gesellschaftliche Denken. Die Grünen sind für mich ideologisch aus beiden Quellen gespeist. Sie haben die Fähigkeit, die strukturelle Seite von Problemen zu erkennen, und besitzen auch die Überzeugung, die eher auf der konservativen, liberalen Seite angesiedelt ist, dass man sich selber helfen kann. Die Mischung dieser beiden Kräfte sind für mich unabdingbar, wenn man gestalten will. Deswegen könnte die türkis-grüne Koalition ein Zukunftsmodell werden.
Sie sehen Sebastian Kurz nicht als machtbewussten Populisten, was ihm viele Linke vorwerfen?
Nein, das wäre mir zu kurz gegriffen: Er hat ein erstaunliches politisches Talent und Gespür. Auch wenn ich hin und wieder nach den langfristigen Inhalten bei Kurz suche. Wichtig wäre, dass die Parteien zwei oder drei Personen in politischen Funktionen den Raum geben, um sich auf Ziele zu konzentrieren, die über den politischen Alltag hinausreichen. Denn das Entwickeln eines längerfristigen politischen Prozesses braucht Zeit. Das Modell der ökosozialen Steuerreform haben wir Grünen in Vorarlberg schon 1994 entworfen. Es hat jetzt eine Generation gedauert, bis es offenbar in Umsetzung kommen soll.
Wie wird die ökosoziale Wirtschaft unser Leben verändern?
Das wird kein Leben in Knappheit sein, sondern wir werden uns auf ganz überraschende Weise zu einer vielfältigen und zu einer Welt mit mehr Fülle entwickeln.
Zur Person:
Ein Bauer als grüner Philosoph: Kaspanaze Simma (65).
Sein Vater starb, als er elf Jahre alt war. Die Mutter beharrte darauf, dass ihr Sohn den Hof weiterführt. 1970 übernahm er widerwillig den Betrieb. Simma wollte nicht sein „Leben nur mit Jauche verbringen“, sagt er. Deswegen begann er, sich mit Wirtschaft und Philosophie zu beschäftigen. Mit seinen visionären Vorstellungen landete er bei der ALÖ und schaffte 1984 den Einzug in den Vorarlberger Landtag. Auch an der Besetzung der Hainburger Au nahm er teil. Ende der Neunziger scheiterte er am heutigen Vorarlberger Landesrat Johannes Rauch, den Parteivorsitz zu übernehmen. Auf der Liste zur Nationalratswahl 1999 konnte er sich nicht gegen Peter Pilz durchsetzen und verließ die Politik. „Zwei Jahre habe ich damals gebraucht, um wieder Boden unter den Füßen zu bekommen.“
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