Extremismus-Hotline: 136 Fanatiker in acht Monaten

Sophie Karmasin ist als erstes Regierungsmitgleid auf Instagram aktiv.
Karmasin bilanziert: Hohe Zahl im Vergleich zu Deutschland. Zehn Mal Verfassungsschutz informiert.

Das Mädchen, dessen Namen Sophie Karmasin nicht nennen darf, lebte vorübergehend in Istanbul. „Sie war auf Auslandssemester und die Mutter hat sich bei unserer Hotline gemeldet – die Tochter hatte Kontakt zu einem Austro-Dschihadisten und der wollte, dass sie nach Syrien aufbricht.“ Das Auslandssemester wurden abgebrochen, das Mädchen, von dem die Familienministerin gestern anonymisiert erzählte, ist heute in einem Wiener Gymnasium, die Familie in einer systemischen Therapie.
Insgesamt 663-mal wurde die „Beratungsstelle Extremismus“ in den vergangenen acht Monaten kontaktiert, 136 Fälle von religiös motiviertem Extremismus wurden dokumentiert.
Am Montag zog Familienministerin Karmasin eine erste Zwischenbilanz – und die fällt „zwiespältig aus“, wie sie befand. Denn im Vergleich zu Deutschland, wo eine vergleichbare Einrichtung in den vergangenen drei Jahren rund 1600 Anrufe dokumentierte, ist das zehn Mal kleinere Österreich mit 663 Anrufen in nur acht Monaten tendenziell stärker betroffen.
Die Ursache, warum sich junge Menschen dazu entschließen, in den vermeintlich heiligen Krieg zu ziehen, gibt es nicht.
„Wenn sich junge Menschen aufgrund ihres Migrationshintergrundes ausgegrenzt oder diskriminiert fühlen, dann kann das eine Rolle spielen“, sagt Verena Fabris, die Leiterin der Betreuungsstelle.
Mindestens ebenso wichtig seien aber Faktoren wie eine zerrüttete Familie oder das Fehlen beruflicher oder persönlicher Perspektiven. „Da gibt es Jugendliche, die verschicken 150 Bewerbungsschreiben und bekommen keine einzige Antwort. Und dann spricht sie jemand an und sagt zu ihnen: ‚Mach’ bei uns mit, da hast du eine Beschäftigung und kannst ein Held sein.‘“

Verfassungsschutz

Die Beratungsstelle Extremismus bietet weit mehr als eine Hotline (0800 2020 44). In der Regel versuchen die Betreuer, gemeinsam mit den Familien die Situation zu lösen und neue Perspektiven zu öffnen. Im Einzelfall bedeutet das auch, den Verfassungsschutz einzuschalten, beispielsweise um Minderjährige daran zu hindern, in die Türkei und damit nach Syrien auszureisen.
Auffallend ist die geringe Zahl an rechtsextremen Fällen, die bislang gemeldet wurden – nämlich nur vier in acht Monaten. Expertin Fabris erklärt das mit einer besonderen Sensibilität in Sachen Dschihadismus. „Hier gibt es sehr viel mehr Unwissen und Angst“. Aber auch mit einer höheren Toleranz gegenüber rechtsextremen Aussagen und Übergriffen in der Gesellschaft. „Der Rechtsextremismus ist offensichtlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“

Kommentare