Karl Renner: Ein „Schilfrohr im Wind“

ARCHIVAUFNAHME KARL RENNER 1945
Seine Befürwortung des "Anschlusses" macht eine der prominentesten Persönlichkeiten der österreichischen Sozialdemokratie zu einer kontroversen Figur.

Mit seiner Anpassungsfähigkeit gilt Karl Renner  Historikern als Spiegelbild der österreichischen Gesellschaft.„Der richtige Mann 1918 und 1945, aber der falsche Mann 1938“ (Zeithistoriker Oliver Rathkolb), ein „Schilfrohr im Wind“ (Bruno Kreisky). Wenig schmeichelhaft fallen die Urteile über einen der bedeutendsten österreichischen Politiker des 20. Jahrhunderts aus: Karl Renner.

Geboren 1870 in Mähren in ärmsten Verhältnissen, schließt sich der studierte Jurist der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei an und macht sich als Parteitheoretiker wie in der praktischen Funktionärsarbeit verdient. 

Am 30. Oktober 1918 wird er von der provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich zum Staatskanzler gewählt; er ist damit die Schlüsselfigur bei der Gründung der Republik. Wie viele Zeitgenossen tritt er damals für einen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich ein, was jedoch durch dem Vertrag von Saint-Germain 1919 verwehrt bleibt.

Befürworter des Anschlusses

Umstritten ist er jedoch vor allem wegen seiner Rolle im Jahr 1938: In einem Interview mit dem Neuen Wiener Tagblatt spricht er sich für den „Anschluss“ aus. „Obschon nicht mit jenen Methoden, zu denen ich mich bekenne, errungen, ist der Anschluss nunmehr doch vollzogen, ist geschichtliche Tatsache, und diese betrachte ich als wahrhafte Genugtuung für die Demütigungen von 1918 und 1919“, betont er. Ein Anschluss an ein nationalsozialistisches Deutschland sei damals unter den Sozialdemokraten eine Minderheitenposition gewesen, so Rathkolb. Kein zweiter Spitzenfunktionäre hätte sich zu solchen Äußerungen hinreißen lassen. Für Rathkolb sei Renner damit zu seinen deutschnationalen Wurzeln zurückgekehrt. Noch perfider sei aber seine Forderung nach Zerschlagung der demokratischen Tschechoslowakei in einer damals unveröffentlichten Broschüre.

Dennoch wird Renner 1945 erster Staatskanzler und biedert sich laut Rathkolb Stalin und den Westalliierten gleichermaßen an.  „Er ist zu flexibel und elastisch, um  als politische Herzeigefigur gelten zu können“, urteilt der Zeithistoriker.  „Doch damit ist er auch irgendwie ein Spiegelbild der österreichischen Gesellschaft.“ 

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