Kabinett Bierlein: Und plötzlich Minister

Kabinett Bierlein: Und plötzlich Minister
Mit Vorschusslorbeeren wurde die Expertenregierung bedacht. Nach zwei Wochen heißt es, sie agiere „zu defensiv“.

Geplant war eine Weitwanderung über vier Gipfel und entlang von drei Seen im Salzkammergut. Es kam anders, ganz anders: Abbruch schon nach der ersten Bergwanderung. Ein Anruf aus der Bundespräsidentschaftskanzlei ereilte Iris Rauskala (41). Sie schluckte kurz vor Nervosität. Drei Tage später war sie als (Übergangs-)Bildungsministerin angelobt.

„Als die ersten Spekulationen auftauchten, dass es eine reine Beamtenregierung werden könnte, hielt ich das Gerücht für einen Witz“, sagt Rauskala. Am Ende, dachte sich die Leiterin der Präsidialsektion im Bildungsministerium, werde „sicher wieder ein Experte von außen“ geholt. Da hatte sich die hohe Beamtin verspekuliert.

Der Perspektivenwechsel, nicht nur ressortintern orientiert zu sein, sondern auf die Außenwirkung des gesamten Ressorts zu achten, sei der größte Unterschied zur ihrer früheren Tätigkeit, gibt Rauskala zu.

Sehr schnell negative Erfahrungen mit der Außenwirkung machte der neue Verteidigungsminister Thomas Starlinger. Seine erste Amtshandlung – die Schließung der Sicherheitsschule in Wiener Neustadt – löste sogleich einen Proteststurm sowie die Drohung eines Misstrauensantrag seitens der FPÖ aus.

Ein Fingerschnippen seitens des Parlaments via Entschließungsantrag und ein Aufschrei von ÖVP-Bürgermeister Klaus Schneeberger genügte – und flugs war die Entscheidung revidiert.

Offizieller Auftrag fehlt

„Die Rolle der Übergangsregierung ist zu defensiv angelegt. Klar sind diese Minister nur indirekt durch den Bundespräsidenten legitimiert, und sie dürfen nichts parteipolitisches unternehmen, aber Alexander Van der Bellen hätte dem Kabinett Bierlein einen klaren Auftrag mitgeben können. Diese Kür hat man leider versäumt“, analysiert Polit-Experte Thomas Hofer.

Wie hätte so ein Auftrag ausschauen können? Die Folgen des Ibiza-Video-Skandals aufzuarbeiten, für Polit-Hygiene zu sorgen und ein neues Parteienfinanzierungsgesetz auf den Weg zu bringen, lautet Hofers Vorschlag. „Das hätte ich mir angeschaut, wenn Bierlein eine Gesetzesvorlage für das strengste Anti-Korruptionsgesetz in der EU bei der Parteienfinanzierung eingebracht hätte, ob sich eine der Parteien da traut, einen Misstrauensantrag einzubringen“, so Hofer. Nun wird die Reform der Parteienfinanzierung wieder unter den Parteien gedealt.

Währenddessen weicht die neue Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein den Medien, so gut es geht, aus, gibt sich sehr wortkarg im ersten TV-Interview. Die restlichen Minister schweigen mit wenigen Ausnahmen weiter. „Furcht scheint leider ein Element dieser Regierung zu sein“, sagt Hofer. Die Folge der stillen Regierung: eine Hochkonjunktur-Phase für das Parlament.

Populismuswettbewerb

Mehr als 30 Anträge wurden allein am vergangenen Donnerstag im Parlament eingebracht. Das hat auch die Bundeskanzlerin verwundert. Vermutlich mit 100 Millionen Euro haben die Anträge allein an zwei Tagen zusätzlich das Budget belastet. Für Thomas Hofer ist es ein „Populismuswettbewerb im Parlament“, der momentan stattfindet. Wenige Tage vor der Wahl, am 29. September, findet die letzte Plenarsitzung statt. „Da wird es noch viel schlimmer werden. Der Wahlkampf wird dann ins Parlament verlegt.“

Ganz anders sehen das die Abgeordneten selbst. Sogar jene der ÖVP-FPÖ-Regierungsparteien fühlen sich erstmals wie „echte Mandatare“, hört man im Parlament.

Die Fesseln, den Koalitionspakt umzusetzen zu müssen, konnten sie nun ablegen.

Urgesteine wie Peter Pilz sind jetzt fast hyperaktiv unterwegs. Er wittert seine Chance, in dieser Stimmung Allianzen für seine Agenden zu schmieden und den Verbleib im Parlament zu schaffen. Die Schließung des König Abdullahs-Zentrums dürfte nicht sein letzter Coup vor der Wahl bleiben.

Die Freiheit, von der die Abgeordneten nun schwärmen, existiert für Hofer jedoch nur bedingt. „Denn der Klubzwang wurde nicht aufgehoben, damit jeder Abgeordnete nach seinem Gewissen abstimmen kann.“ Also entscheidet wieder nur das parteipolitische Kalkül. Wenn man das freie Mandat wirklich stärken will, bräuchte es ein stärkeres Persönlichkeitswahlrecht, so Hofer.

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