Sophie Wotschke: "Postenschacher ist das Gegenteil von Bürgerservice"

Die neue Justizsprecherin der Neos, Sophie Wotschke, über ihre Kritik an ÖVP-Klubchef Wöginger, den „Deep State“ – und warum das Asylsystem überarbeitet gehört:
KURIER: Frau Abgeordnete, eine einfache Frage zum Einstieg: Welche justizpolitischen Schwerpunkte wollen Sie setzen?
Sophie Wotschke: Eines der zentralen Vorhaben ist die Bundesstaatsanwaltschaft, weil wir sehen, dass es eine klare Trennung zwischen Politik und Justiz braucht.
Kann man wirklich behaupten, Justiz und Politik seien in Österreich nicht getrennt?
Was die Staatsanwaltschaften angeht, gibt es derzeit keine saubere Trennung. Hier hat die Bundesministerin und damit eine Politikerin - das Weisungsrecht.
Die Bundesstaatsanwaltschaft gilt ja als vereinbart, allerdings scheint es sich an der Frage zu spießen, wer dort arbeiten darf. Die ÖVP ist der Ansicht, auch Hochschulprofessoren sollten Bundesstaatsanwälte werden dürfen. Sie auch?
Nein. Nur ausgebildete Richter und Staatsanwälte dürfen in Frage kommen, denn Staatsanwälte haben eine speziellere Ausbildung als Rechtsanwälte oder Professoren. Um einen Vergleich zu bedienen: Wir lassen ja auch keine Augenärzte Herzoperationen erledigen. Die Frage ist aber nicht nur, wer bestellt werden darf, sondern auch wie die Bestellung abläuft.
Und, wie soll sie ablaufen?
Das ist gerade in Verhandlung. Ich gehe aber davon aus, dass wir im ersten Quartal 2026 die Lösung präsentieren können.
Ihre Vorgängerin als Justizsprecherin, Stephanie Krisper, hat sinngemäß erklärt, die Neos hätten bei Justiz- und Menschenrechtsthemen ihre Grundlinie verlassen. Wie sehen Sie das?
Was das Thema Menschenrechte und Asyl betrifft, gilt aus Neos-Sicht weiterhin: Wir bekennen uns glasklar zum Recht auf Asyl. Gleichzeitig sehen wir, dass unsere Systeme in Österreich überlastet sind, und dass wir es seit Jahren nicht schaffen, die Leute, die keinen Aufenthaltstitel haben, zurückzuführen. Da müssen wir ansetzen.
Das klingt stark nach der Opposition, konkret nach der FPÖ.
Sie übersehen einen wesentlichen Unterschied: Wir wollen die Probleme lösen statt sie groß zu machen oder überhaupt welche zu erfinden. Das ist auch der Grund, warum wir in der Regierung sind und sich die FPÖ davor gedrückt hat: Wir lösen Probleme.

Haben wir zum Probleme-Lösen die richtigen Werkzeuge? Also: Sind Sie überzeugt, dass das Asylrecht oder die Menschenrechtskonvention für das Jahr 2025 noch tauglich sind?
Das Gesamtsystem kann nur funktionieren, wenn nicht alle Asylsuchenden nach Europa kommen. Das geht sich zahlenmäßig nicht aus. Es ist aus meiner Sicht nicht der Grundgedanke des Rechts auf Asyl, dass sich alle Menschen frei aussuchen können, in welches Land sie fliehen und wo ihnen die Sozialleistungen am besten gefallen.
Apropos Kritik: Sie waren die einzige Abgeordnete, die den Klubchef ihres Koalitionspartners August Wöginger öffentlich scharf kritisiert hat. Haben sich die anderen nicht getraut?
Für mich war klar, dass man hier etwas sagen muss, denn mir hat die breite kritische Auseinandersetzung mit der Causa gefehlt.
Hätten Sie nicht eigentlich die Justiz kritisieren müssen? Es lag ja am Gericht und an der Staatsanwaltschaft, Wöginger eine Diversion anzubieten. Dass er sie annimmt, kann man ihm kaum vorwerfen, oder?
Verantwortungsübernahme kann nicht bei der Türe des Gerichtssaales enden. Vor Gericht wird gesagt „Ich übernehme Verantwortung“. Und draußen heißt es dann: „Naja, war alles nicht so schlimm, das ist ja Bürgerservice.“ Postenschacher ist das Gegenteil von Bürgerservice. Das habe ich thematisiert.
Die Neos standen immer für den Kampf gegen Korruption und Postenschacher. Schadet den Pinken die Koalition schon?
Nein. Wir haben uns am stärksten zur Causa geäußert, viel deutlicher noch als die anderen Parteien. Die FPÖ zum Beispiel hat nichts gesagt, dabei ist sie sonst nur am Kritisieren. Aber vielleicht liegt das daran, dass Herbert Kickl im Innenministerium ähnlich agierte wie die ÖVP.
Aber wenn es so problematisch ist, wie Wöginger mit dem Prozess umgegangen ist, müsste man dann als Partei nicht aus der Koalition ausscheiden? Er ist immerhin zentraler Player der ÖVP.
Unsere Konsequenz ist, noch schärfer darauf zu achten, dass politische Personalentscheidungen einzig anhand von Kompetenz erfolgen.
…und um das zu kontrollieren, machen Sie dort und da Abstriche…
Wir haben keine Neos-Alleinregierung, sonst würde das Regierungsprogramm natürlich anders aussehen. Die Idee ist, dass wir als kleinster Koalitionspartner das Maximum unserer Ideen in der Regierung umsetzen. Die eingangs erwähnte Bundesstaatsanwaltschaft ist dafür ein gutes Beispiel. Ohne Neos würden wir hier vieles gar nicht diskutieren, geschweige denn machen.

Sie werden Fraktionsführerin der Neos im Pilnacek-U-Ausschuss. In der Öffentlichkeit entsteht bisweilen der Eindruck, ein Mord wurde verheimlicht. Ist das auch ihre Arbeitshypothese?
Ich tue mich sehr schwer damit, wenn Parteien mit vorgefertigten Meinungen und Erzählungen in den U-Ausschuss gehen. Es gibt zum Beispiel schon zwei Bücher, die sehr konträre Handlungsstränge skizzieren. Im Untersuchungsausschuss wird die Frage sein: Was stimmt? Wurde wirklich etwas vertuscht oder war es eine schlampige Arbeitsweise?
Und dennoch stellen politische Parteien und andere Akteure die Vermutung in den Raum, Justiz, Polizei und Politik hätten einen Mord vertuscht.
Die Untersuchung, ob Mord vorliegt, obliegt der Polizei Staatsanwaltschaft. Wir klären im U-Ausschuss die politische Verantwortung. Und hier gibt’s schon offene Fragen wie zum Beispiel, ob Beweismittel nicht oder zu spät gesichert wurden, und ob über Christian Pilnacek politischer Einfluss auf laufende Ermittlungsverfahren ausgeübt wurde.
Sollen die Sitzungen des U-Ausschusses live übertragen werden?
Wenn ein U-Ausschuss Transparenz bringen soll, dann ist es jedenfalls sinnvoll, die Sitzungen öffentlich zu übertragen. Man könnte auch zeitverzögerte Übertragungen machen, damit die Rechte von Personen gewahrt bleiben, die nicht in der Öffentlichkeit stehen und sich mit Aussagen möglicherweise angreifbar machen.
Was halten Sie von der FPÖ-These des „Deep State“ im Innenministerium?
Ich bezweifle, dass es der FPÖ um Aufklärung geht. Sie will vor allem ihr Narrativ bespielen, wonach der böse tiefe Staat Schuld hat, dass die FPÖ nicht in der Regierung ist.
Wir haben also kein Problem mit der Distanz zwischen Parteipolitik und Verwaltung?
Wir haben keinen Staat im Staat, also keinen Deep State. Die Verstrickung von Parteien und Verwaltung kann und muss man ungeachtet davon aber sicher thematisieren. Ich halte es beispielsweise für überlegenswert, Sektionschefs wieder auf Lebenszeit zu bestellen, damit nicht alle fünf Jahre Spitzenfunktionen in Ministerien politisch umgefärbt und besetzt werden.
Sie werden bei den Neos dem libertären Flügel zugeordnet. Würden Sie sich selbst auch in der Nähe von Javier Milei einordnen?
Ich halte nichts davon, Menschen in Schubladen einzuordnen. Ich bin überzeugt, dass wir weniger Steuern und Regularien und dafür mehr Unternehmergeist brauchen. Dazu ist es eine Kulturfrage, Österreich braucht eine andere Fehlerkultur, bei der man mehr auf das Ausprobieren setzt und nicht so große Angst vor dem Scheitern hat.

Wo ist da die Rolle des Staates?
Der Staat muss hier einen fairen Wettbewerb sicherstellen. Zudem muss eine soziale Absicherung für jene garantiert werden, die nicht können. Es darf aber nicht so hoch ausfallen, dass es finanziell kaum einen Unterschied macht, ob ich arbeiten gehe oder Sozialleistungen beziehe. Da haben wir in Österreich eine Schieflage.
Welche Länder machen das besser?
Wir können uns von der Schweiz einiges abschauen. Wenn man auf den Bundesländerföderalismus setzt, dann sollte man ihn ernst nehmen und die Länder wirklich selbstständig agieren lassen. Auch bei der Frage, wie hoch die Steuersätze sein sollen.
Welche Steuersätze schweben ihnen da vor, und: Wie würden Sie den Staat umbauen? Sollen die Bezirke abgeschafft werden?
Klar ist, dass Verwaltungseinheiten so groß gefasst sein müssen, dass sie Sinn ergeben. Die Länder sollen nicht nur Geld ausgeben, wo sie wollen, sondern dies auch vor den Bürgern rechtfertigen müssen.
Abschlussfrage: Wie lange bleiben Sie in der Politik?
Ich habe jetzt meine Rechtsanwaltsprüfung gemacht, damit habe ich einen sehr guten Plan B und kann jederzeit raus aus der Politik. Ich bleibe also, so lange ich einen Mehrwert leisten kann.
Die 27-Jährige trat 2017 den Junos, der Jugendorganisation der Neos, bei. 2021 war sie Junos-Spitzenkandidatin bei der ÖH-Wahl, seit 2022 ist sie Junos-Bundesvorsitzende. Wotschke schaffte bei der Nationalratswahl 2024 den Einzug ins Parlament. Für die Neos betreut sie die Themen Asyl, Jugend und Justiz – und ist Fraktionsführerin im kommenden Pilnacek-U-Ausschuss. Die Wienerin ist Juristin und hat die Anwaltsprüfung geschafft.
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