IV-Präsident: "Finanziell ist es um Österreich katastrophal bestellt"

IV Präsident Georg Knill
Georg Knill über die "Pauschalausreden“ von Finanzminister Markus Marterbauer, warum Harald Mahrer ein "politisches Schwergewicht“ war und Sisyphos-Arbeit.

Zu Beginn des Jahres sagt Georg Knill im KURIER-Interview, 2025 sei „als verlorenes Jahr abzuschreiben“. Ob es dabei geblieben ist, warum Europa der Innovationskontinent ist und was dem Kapitalmarkt-Image geschadet hat. 

KURIER: Beginnen wir mit dem Positiven. Die Regierung will Mitte Jänner die Industriestrategie präsentieren. Kommt sie rechtzeitig?

Georg Knill: Avisiert war die Strategie für das Jahresende. Ich werde jetzt nicht auf ein paar Wochen herumreiten. Wichtig ist die Substanz der Industriestrategie. Noch fehlen die politischen Ansagen und Aussagen, damit wir eine klare Orientierung bekommen – vor allem, was das Kapitel Energie betrifft und mit Blick auf die Vorhaben hinsichtlich des Industriestrompreises in Deutschland. 

IV-Präsident Georg Knill

Laut Wirtschaftsministerium gibt es das Industriestrom-Konzept, doch das Finanzministerium sei säumig. 

Die Pauschalausrede von SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer bei vielen Themen ist, dass es keinen finanziellen Spielraum gibt. Vielleicht sollte man einmal in die Strukturen eingreifen, um diesen Spielraum zu schaffen, weil wir uns sonst im Stillstand einzementieren.

Georg Knill  und Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer

Georg Knill  und Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer

Zurück zur Strategie. 

Das SAG, das Stromkostenausgleichsgesetz, das für 2025 und 2026 mit jeweils 75 Millionen Euro budgetiert, ist wesentlich. Aber wir brauchen mehr klare Ansagen bis 2030! Genau so, wie wir den Industriestrom von 5 Cent pro Kilowattstunde brauchen, wenn Deutschland seine Vorhaben wie angekündigt umsetzt. Das wäre ein Drittel von dem, was die Industrie derzeit zahlt. Wesentlich ist auch die Forschungsprämie, die von 14 auf 15 Prozent steigen soll und so etwas wie ein Abschreibungsturbo, um notwendige Investitionen wieder anzukurbeln.

Die Dreierkoalition hat 113 Entbürokratisierungsmaßnahmen beschlossen. Sind Sie zufrieden?

Es waren 600 Maßnahmen am Tisch und die 113 jetzt sind ein guter, wichtiger und richtiger Auftakt zu einer besseren und in Summe weniger Regulierung. Von Brüssel kommen aber immer wieder große Steine dazu, die uns in den Weg gelegt werden und in Österreich geben wir aufgrund der Übererfüllung der Regularien – Stichwort Gold Plating – immer neue kleine Steine dazu. Deregulierung ist eine Sisyphos-Arbeit.

Kanzler: Christian Stocker und Friedrich Merz

In Brüssel wurde gerade das Verbrenner-Aus aufgeweicht, um eine klare Haltung bei Mercosur oder den US-Zöllen wird permanent gerungen. Ist die EU entscheidungsschwach oder sind die Umstände zu schwierig?

Ursula von der Leyen ist auf dem Weg vom Green Deal zum Clean Industrial Deal zurückgerudert. Wir haben schon zu Beginn Pragmatismus eingefordert und haben dabei nie die Ziele infrage gestellt, sondern das Wie. Der Korrekturweg, den von der Leyen jetzt bestreitet, ist notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Die Vorreiterrolle, die Europa beim Green Deal einnehmen wollte, wird von niemandem kopiert. Das sollte zu denken geben.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen

 Knickt Von der Leyen ein oder beweist sie Leadership?

„Willkommen in der Realität trifft“ es eher. Was Europa kann, das ist regulieren. Was Europa nicht kann, das ist Macht. Dieses Manko an Macht spürt Europa gegenüber China und den USA, weil wir es nicht schaffen, unser Gewicht in die geopolitische Waagschale zu werfen. Die EU ist mit ihrem Binnenmarkt eine Handelsmacht, spielt ihr Potenzial aber nicht aus. 

Europas Potenzial ist was?

Europa ist der Innovationskontinent. 

Donald Trump und Xi Jinping

Dem halte ich entgegen: Die USA ist führend in der KI und AI, China im Bereich der Elektromobilität, wenn auch staatlich subventioniert und Europa hat was vorzuweisen?

Die angesprochenen Technologien haben ihren Ursprung in Europa. Wir sind hier nur nicht imstande, die Idee und Innovation in den Markt zu bringen und zu skalieren. Dafür fehlen uns die Finanzierungsinstrumente. Wir haben wunderbare wirtschaftliche Systeme zu Beginn der Technologie, doch verkauft und vermarktet werden sie dann in den USA, die sich die Rosinen herauspicken. Enrico Letta und Mario Draghi haben in ihren Berichten die Schwächen des EU-Binnen- und Kapitalmarktes beschrieben. Wir hätten ausreichend privates Kapital, schaffen es aber nicht, hier zu investieren. Mehrere Milliarden Euro werden jährlich in Amerika in Technologie investiert, die aus der EU stammt. 

Wer soll hier investieren, wenn es stets heißt, die Lohnstückkosten sind zu hoch, die Energie zu teuer?

Leider haben die hohen Kosten vielen Unternehmen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit geschadet. Das führt zu Mitarbeiterabbau und Insolvenzen. So gesehen findet ein ungewollter Strukturwandel statt. Das ist die Deindustrialisierung, die wir täglich sehen, die aber gerne verschwiegen wird. 

4 Prozent Inflation, 400.000 Arbeitslose, 0,5 Prozent Wirtschaftswachstum. Welche Zahl macht Ihnen am meisten Kopfzerbrechen?

Die Zahl, die Sie nicht genannt haben: die Staatsausgabenquote von über 55 Prozent. Wir sind in Österreich in keinem marktwirtschaftlichen, sondern in einem sozialistischen Land. Mehr als die Hälfte der Ausgaben verkonsumiert der Staat. Damit sind wir 7 Prozent über dem EU-Schnitt und geben somit 30 Milliarden Euro pro Jahr mehr aus als der Durchschnitt. Diese Dynamik haben weder der Finanzminister noch die Länder im Griff. 

Wo sieht der IV-Präsident Einsparungspotenzial?

Schauen Sie sich die Schränke und Ordner voll mit Reformpapieren an! Was fehlt in Teilen dieser Regierung ist der Umsetzungswille gepaart mit dem nötigen Mut. Die Koalition erzählt nicht, wie es um dieses Land bestellt ist. 

Wie ist es denn um Österreich bestellt?

Finanziell katastrophal. Ein Staatsdefizit spürt die Bevölkerung nicht unmittelbar, aber es lähmt und verunmöglicht Investitionen für Gestaltungsräume. Wir hören doch täglich, weil das Defizit so hoch ist, können wir dieses und jenes nicht tun. 

Ist es der fehlende Mut der Regierung oder dem Umstand geschuldet, dass drei Parteien einen Kompromiss finden müssen?

Es war von Anfang an klar, dass diese Koalition viele Kompromisse schließen wird. Ziel war es, Herbert Kickl zu verhindern.  Das ist gelungen. Der Regierung ist aber noch nicht gelungen zu erzählen, was sie bis 2029 mit dem Land vorhaben. 

Andreas Babler, Christian Stocker, Beate Meinl-Reisinger

„Das Richtige tun für Österreich“ steht auf dem Regierungsprogramm.

Erkennen Sie da schon was? Derzeit spiegeln sich nur Ideologien wider. Wenn der Finanzminister sagt, eine hohe Staatsausgabenquote störe ihn gar nicht, dann macht mich das höchst nervös als Unternehmer. Und wenn ich ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian zuhöre, der glaubt, eine Vermögenssteuer würde alle Probleme lösen, dann muss man klar sagen: Das ist eine Mär. 

Auf der anderen Seite hat Kanzler Christian Stocker 500 Millionen Euro von Verbund, ÖBAG und BIG lukriert für die Allgemeinheit. 

Die Verbund-Sonderdividende war ein massiver Eingriff in den Kapitalmarkt. Wahrscheinlich ist der Schaden am Kapitalmarkt weit höher als die Dividende selbst. Wenn ich am selben Abend vom Finanzminister höre, die Eigenkapitalquote sei hoch genug dafür, dann wundere ich mich! Auch wenn der Verbund zu 51 Prozent dem Staat gehört, habe ich ein anderes Verständnis vom Wirtschaften. Das hat dem Unternehmen und dem Kapitalmarkt-Image Österreichs geschadet. 

Harald Mahrer  legt sein Amt als OeNB-Präsident zurück, wenig später alle Ämter

Ein wirtschaftliches Vis à Vis gibt es für Sie seit wenigen Wochen nicht mehr. Ist die WKO seit dem Abgang von WKO-Präsident Harald Mahrer geschwächt?

Harald Mahrer war im positiven Sinne ein politisches Schwergewicht, weil er das System sehr gut verstanden hat. Mit seinem Abgang haben wir klar artikuliert, was unsere Erwartungshaltung an die Wirtschaftskammer ist: Wir brauchen eine starke Interessensvertretung der Wirtschaft nach außen und eine schlanke, effiziente Vertretung nach innen. Stark gegenüber der Politik und der Sozialpartnerschaft. Das ist auch der Kurs, der von der amtsführenden Vizepräsidentin Martha Schultz – soweit ich das überblicken kann – eingeschlagen wurde. 

Wann rechnen Sie mit Ergebnissen?

Erste Ergebnisse werden wohl erst mit dem Wirtschaftsparlament im Herbst beschlossen und 2027 wirksam werden können. Von den strukturellen Dingen, die dem aufgeblähten Apparat ganz abgesehen…

… insofern ist die IV fein raus, weil sie keine Kammerumlage und Mitgliedsbeiträge haben!

Wir als Funktionäre arbeiten in der IV ehrenamtlich – insofern könnte man das Ein oder Andere von uns übernehmen. 

Was haben Sie sich bei dem Gehaltsplus von 4,2 Prozent und den erhöhten Funktionsentschädigungen gedacht?

Ich war nicht involviert, aber natürlich gab es einen Diskurs in der Kammer dazu. Es war ein Zusammentreffen vieler Unzufriedenheiten, die das Fass zum Überlaufen gebracht haben im dritten Jahr der Rezession. 

Was darf 2026 tunlichst nicht passieren, was muss unbedingt passieren?

Die Regierung muss die Bevölkerung darauf vorbereiten, dass wir in den kommenden vier Jahren einen harten Sanierungskurs fahren müssen. Sanierungskurs heißt strukturelle Reformen. Und die Reformvorschläge dazu liegen seit Jahren am Tisch. Ich muss die größten Budgetpositionen ansehen. Es ist das Pensionssystem, das Gesundheitssystem und der Föderalismus. Dann können Sie noch die Bildung dazu nehmen, den Faktor 9 für die Bundesländer, und, und, und… 

Stelzer, Ludwig, Mikl-Leitner, Wallner

… sehen Sie einen Industriezweig, der neu dazu kommen oder den es nicht mehr geben wird?

Schauen Sie nach Deutschland und zur chemischen Industrie, die zum Teil verlagert wurde. Wir werden damit abhängig von anderen Ländern auch jenen außerhalb der EU. Man lässt zu, dass wesentliche Branchen abwandern und nicht wiederkommen werden. Wir müssen uns die Resilienzfrage stellen. Wie abhängig sind wir von anderen und wie können wir Autarkie auch mit Freihandelsabkommen stärken. 

Sie denken an Mercosur!

Hier hat Österreich in dem Prozess eine klassische Trittbrettfahrer-Mentalität an den Tag gelegt. Im Wissen, dass Österreich ein Exportland ist, 60 Prozent der Wertschöpfung auf Export basieren. ÖVP und SPÖ haben sich auf die Entscheidung der Vorgänger-Regierung ausgeredet – in der Hoffnung, dass andere Länder eine qualifizierte Mehrheit zusammenbringen. Nun hat die österreichische Bundesregierung durch die, wenn auch bedauerliche Verschiebung, eine neue Chance bekommen, Verantwortung zu zeigen und ihre Haltung zu überdenken. Wir sind im positiven Sinne von Handelspartnerschaften abhängig. CETA, das Freihandelsabkommen mit Kanada, haben wir vor sechs Jahren abgeschlossen und hat sich irgendetwas zum Negativen verändert? Die Exportquoten sind um 70 Prozent gestiegen. Und ich muss in diesem Zusammenhang wieder auf die SPÖ, ÖGB und AK zu sprechen kommen und ihnen zutiefst widersprechen. Mercosur wird Arbeitsplätze schaffen und keine vernichten. Ich weiß nicht, woran sich diese Partei orientiert – am Wohlstand des Landes scheinbar nicht. 

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