Mahrer zu seinem Rücktritt: "Ich will mich selbst im Spiegel sehen können"

Harald Mahrer am 9.11. Er tritt als OeNB-Präsident zurück
Harald Mahrer tritt als Präsident der Wirtschaftskammer und Wirtschaftsbundchef zurück. Warum er jetzt geht, von wem er enttäuscht ist und was er künftig machen wird.

Am 3. November wird bekannt, dass die Wirtschaftskammer Österreich die Gehälter für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um 4,2 Prozent und damit weit über allen anderen anpassen will. Seither kommt die WKO nicht mehr aus den Schlagzeilen. WKO-Präsident Harald Mahrer erklärt sich und tritt am 10. November zunächst als Präsident der Oesterreichischen Nationalbank zurück, um sich "auf die Wirtschaft" zu konzentrieren. Heute, Donnerstag, gibt er via Video seinen Rücktritt von allen Funktionen bekannt. Dem KURIER hat er zuvor ein Interview gegeben.

KURIER: Es können sich alle gerne an mir abarbeiten", sagten Sie im KURIER-Interview vor einer Woche. Viele haben den Satz als Aufforderung verstanden. 

Harald Mahrer: Alle haben die Debatte der vergangenen Tage mitverfolgt: Wenn Sachargumente nicht mehr Gegenstand der öffentlichen und medialen Diskussion sind, sondern nur mehr persönliche Ressentiments und blanker Populismus, dann sehe ich in der Debatte keinen Mehrwert.

Auf manch‘ Beobachter wirkt die Wucht der Kritik wie eine konzertierte Aktion. 

Das will ich mir nicht vorstellen. 

Wo hat Ihr Ende den Anfang genommen? Bei den 4,2 Prozent Gehaltsplus für die 5.800 WKO-Mitarbeiter?

Unabhängig von der Schwierigkeit, österreichweit eine gemeinsame Position in dieser Sachfrage zu finden, lag das große Problem der letzten Woche darin, mit unserer redlichen Botschaft nicht durchgedrungen zu sein. Wir haben keine „Mogelpackung“ kommuniziert. Ich habe Ihnen im KURIER am selben Tag transparent erklärt,  was wir im Detail machen und Sie haben es abgedruckt, aber es hat im ganzen Land niemanden interessiert. 

Haben Sie mit Ihren zahlreichen Interviews, in denen Sie ständig Kritik an der Politik, der Regierung, der ÖVP geübt haben, den Bogen überspannt? Sie haben immer zu Sparsamkeit aufgerufen und sich selbst zweistellige Erhöhungen zugebilligt. Das passt nicht zusammen, das musste schiefgehen.

Wir waren in der eigenen, internen Diskussion sicher zu langsam, aber es ist nicht so, dass nicht mit allen Entscheidungsträgern diskutiert wurde. Und ja, was man von anderen einfordert oder aufzeigt, muss man selbst auch tun. Und ja, es gibt eine Reformnotwendigkeit für die WKO wie auch für die Republik. Dazu bekenne ich mich. Ich bin der Meinung: Die Zukunft in diesem Land wird nur besser, wenn man gemeinsam für Veränderungen sorgt.

Harald Mahrer

Sie werden nicht länger Teil dieser Veränderung als Wirtschaftskammerpräsident sein?

Nachdem sich die Debatte auf ein Spielfeld verlagert hat, auf dem ich keine Möglichkeit mehr sehe, verantwortungsvolle und positive Beiträge für die Zukunft zu leisten,  lege ich meine Funktionen als Wirtschaftsbundchef und als Präsident der Wirtschaftskammer zurück. Ich werde dafür Sorge tragen, dass es für die künftigen Spitzen des WB und der WKO zeitnah eine geordnete Übergabe gibt. 

Wann ist diese Entscheidung in Ihnen gereift? Was heißt „zeitnah“?

Wir haben am 26. und 27. November jeweils Gremiensitzungen. Das ist der ideale Zeitpunkt, um alle relevanten Entscheidungen zu treffen.

Gibt es für beide Positionen schon geeignete Kandidaten?

All das wird in den Gremien und zeitnah entschieden werden.

Nationalbank

Sie haben am Montag das Amt als Präsident der Oesterreichischen Nationalbank mit einem Bezug von 88.000 Euro jährlich zurückgelegt. Haben Sie den falschen Posten aufgegeben?

Ich wollte ein klares Zeichen setzen. 

Haben Sie überlegt, pro bono – also ohne Gage  – OeNB-Präsident zu bleiben?

Exakt, ich hatte überlegt, OeNB-Präsident zu bleiben und auf den Bezug zu verzichten, aber das hätte alle Kolleginnen und Kollegen in ähnlichen Funktionen ebenfalls vor die Frage gestellt. Ich will nicht, dass diese Funktionen mit viel Verantwortung und teils persönlicher Haftung entwertet werden. Es hätte wieder eine Neid- und eine Entwertungsdebatte nach sich gezogen und dazu werde ich keinen Beitrag leisten. 

Um Sie zu verstehen und zu verstehen, was passiert ist: Sie haben einige Fehler eingestanden. War es ein Fehler, nicht aktiv die bis zu 60-prozentige Erhöhungen der Entschädigungen für WKO-Landespräsidenten zu kommunizieren?

Ich kann nur sagen, dass das in der Verantwortung der einzelnen Präsidentinnen und Präsidenten liegt. Von allen Fraktionen wurde eine Systemumstellung beschlossen. Für das individuelle Handeln ist jeder eigenverantwortlich. 

Die Landespräsidentinnen von Oberösterreich und Tirol, Doris Hummer und Barbara Thaler, erhalten um 41 respektive 49 Prozent mehr Entschädigung. Diese haben Ihnen noch am Sonntag das Vertrauen ausgesprochen und 48 Stunden später Ihren Rücktritt gefordert. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Jeder muss sich in der Frage selbst erklären. 

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner

Können Sie das Verhalten der ÖVP-Landeshauptleute Johanna Mikl-Leitner und Thomas Stelzer nachvollziehen, die Ihnen öffentlich ausgerichtet haben, Sie wüssten, was jetzt zu tun sei und damit Ihren Rücktritt meinten?

Es ist keine sachliche Diskussion mehr, sondern eine politische Debatte geworden in der – wie oft in Österreich – viele eine Meinung haben, ohne Fakten zu kennen und sich vorschnell an Diskussionen beteiligen. 

Während ÖVP-Klubchef August Wöginger sich vor Gericht verantworten musste und bereits vor der Diversion seitens der ÖVP die Mauer gemacht wurde, ebbte die Diskussion bei nicht ab. Liegt das an Ihrer Persönlichkeit oder an Ihren Positionen?

Ich habe eine bestimmte Erziehung genossen, eine gewisse Wertehaltung. In meinen bisherigen Aufgaben, egal ob politisch oder interessenspolitisch, habe ich nicht nur politische Freiheit und Leistungskraft oder Eigentum als zukunftsweisende Werte betont, sondern auch den Wert der Verantwortung. Das bedeutet auch, sich zu verantworten – für unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft, unsere Demokratie. Diese, meine Wertehaltung, mögen manche nicht teilen, aber ich halte sie für grundlegend und richtig.

Harald Mahrer

Mahrer bei Kinopremiere

Mir geht es um das Bild, das Sie in der Öffentlichkeit gegeben oder abgeben haben. Mit Sonnenbrille und Smoking bei der Mission Impossible-Premiere, mit Magnumflaschen in einer Vinothek, mit Andreas Treichl in der Opernballloge. Sie gelten als exaltiert auf der einen Seite und als fordernder bis schwieriger Chef auf der anderen Seite. Haben Sie sich durch Ihr Verhalten Feinde gemacht und Ihre nunmehrige Fallhöhe selbst zu verantworten?

Ich bin ein Mensch mit Ecken und Kanten. Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind natürlich auch Projektionsfläche für vieles. Nicht alles muss allen gefallen. Es war nie mein Maßstab, einen Beliebtheitspreis zu gewinnen. Mein Maßstab war immer, das Beste in meinen Funktionen für unsere Betriebe und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Familien zu tun. 

Sie haben ein „Machtwort“ gesprochen vor einer Woche. Hat man mit Ihnen ein „Machtwort“ gesprochen seitens der WKO, der ÖVP, des Kanzlers – sei es telefonisch oder unter vier Augen?

Nein. Meinen Rücktritt von allen Funktionen habe ich in reiner Privatautonomie getroffen. Ich will mich selbst im Spiegel sehen können. Deshalb sage ich noch einmal: Wem Verantwortung wichtig ist, der muss sich vor sich selbst verantworten können. Und das tue ich hiermit. Ich setze diesen Schritt ruhigen Gewissens, weil ich weiß, dass er für mich, meine Familie und mein mit Leidenschaft arbeitendes Umfeld der richtige Schritt ist. Genau dieses Team hat Anfang des Jahres bei den Regierungsverhandlungen mitgewirkt – zum Teil offen, zum Teil im Hintergrund –, um eine demokratisch ausgerichtete Regierung für ein weltoffenes Österreich zu schaffen.

Wenn Sie vom Spielfeld gehen: Gehen Sie für immer vom politischen Parkett?

Ich werde mich immer als Interessensvertreter der Wirtschaft verstehen, als Brückenbauer. Ich werde immer ein Mensch sein, dem der Austausch und das Miteinander wichtig ist, weil es mir eine Freude macht, für dieses Land und dessen Zukunft zu arbeiten.

Gibt es jemandem von dem Sie besonders enttäuscht sind? Andere sind gerade sehr von Ihnen enttäuscht, macht es den Eindruck.

Jeder ist für sein Handeln verantwortlich. Eine ganze Reihe von Menschen muss ihr jetziges Handeln vor sich und anderen rechtfertigen. Darauf habe ich keinen Einfluss.

Sie haben einen „Frontalschaden“ verursacht, wie Mikl-Leitner sagt. Wird nicht nur die WKO, sondern auch die ÖVP nun mittelfristig Schaden nehmen?

Ich habe mit viel Leidenschaft, Herzblut und aus tiefer Überzeugung immer meine Positionen vertreten – ob in der Politik, in der Wirtschaft, in der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft oder der Kunst und Kultur. Das wissen alle, die mit mir in den letzten Jahrzehnten zu tun hatten. Mein Wirkungskreis war immer weit größer als der der Partei – und wird es auch weiterhin sein. 

Bleiben Sie Mitglied der ÖVP?

Ja. 

Was wird von Ihnen in der Kammer bleiben?

Bilanz müssen andere ziehen. Ich habe 7,5 Jahre mit großartigen Mitarbeitern und engagierten Funktionären sowohl im Inland als auch im Ausland viele erfolgreiche Projekte umgesetzt. Es war mir eine Freude und mein Dank gilt allen Mitarbeitern und Funktionären.

Wer auch immer Ihre Posten übernehmen wird: Die Kammer will sich reformieren, Rufe nach einem Aus der „Zwangsmitgliedschaft“ sind verdammt laut. Wird das passieren?

Die Selbstverwaltung ist ein Herzstück der Sozialpartnerschaft und die Sozialpartnerschaft ist eine tragende Säule der Demokratie. Sie war in jeder Krisensituation der Zweiten Republik der stabilisierende Faktor. 

Mit der Kritik an der WKO werden nun auch die Arbeiterkammer und die Gewerkschaft infrage gestellt wie die Sozialpartnerschaft selbst …

Wir brauchen eine ehrliche, transparente Diskussion über die Sozialpartnerschaft und ihren hohen Wert für Österreich. Dazu muss eine aufgeklärte, liberale Demokratie in der Lage sein, dazu müssen jeder und jede, auch die Medien, ihren Beitrag leisten. Wenn ich noch einen Wunsch äußern darf, dann diesen: Nach der populistischen Diskussion, die jetzt gerade abläuft, sich dessen bewusst zu werden, was die Sozialpartnerschaft alles leistet. Sie sorgt für sozialen Frieden, trotz aller Unterschiedlichkeit; und sie sorgt dafür, dass wir unsere Konflikte nicht mit Steinen und Fäusten auf der Straße austragen. 

Sie verlieren alsbald 28.500 Euro brutto pro Monat. Was werden Sie tun, womit wollen Sie Geld verdienen?

Ich werde wieder mehr unternehmerisch tätig sein und nicht von der öffentlichen Bildfläche verschwinden. Harald Mahrer wird es auch weiterhin geben. 

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