Wenn die eigene Familie die Integration verhindert

Gerade das Kopftuch macht Muslimas oft zur Zielscheibe von Hass.
Eine 28-jährige Türkin erzählt, wie sie ihr Mann und seine Eltern bei ihren Integrationsbemühungen behindern: "Ich soll zu Hause kochen und putzen."
Von Uwe Mauch

"Ich wollte Lehrerin werden", sagt Melek traurig. "Aber dafür ist es jetzt zu spät." Die 28-jährige Frau sitzt im Büro der Nachbarinnen in Wien-Meidling. Hier traut sie sich, offen über ihre intimsten Probleme zu reden. Die Nachbarinnen bemühen sich seit einigen Jahren um die Integration von Migrantinnen. Oft stoßen sie dabei auf schwer überwindbare Hindernisse.

Melek, ihr Familienname ist der Redaktion bekannt, ist seit acht Jahren mit einem ebenfalls aus der Türkei stammenden Mann verheiratet. Sie liebt ihn noch immer, sagt sie. "Doch unsere Ehe hängt schon seit Längerem an einem seidenen Faden." Meleks Geschichte ist bedrückend. Auch deshalb, weil gar nicht wenige Türkinnen in Österreich solche oder ähnliche Erfahrungen machen.

Sklavin in Wien

"Ich habe meinen Mann in der Türkei kennengelernt", erzählt die Frau mit Kopftuch. "Nach der Hochzeit bestand er darauf, dass wir zu seinen Eltern nach Wien ziehen."

Wien wurde für sie zum Gefängnis. Sie wurde Opfer einer subtilen Form der Gewalt: Ihr Mann und seine Eltern mussten es nicht explizit aussprechen, weil es in der Familie als stilles Übereinkommen, als ungeschriebenes Gesetz gilt: "Ich soll zu Hause kochen und putzen und auf keinen Fall einen Deutschkurs besuchen oder eine Ausbildung beginnen."

Tradition

Die Schwiegerleute stammen aus einer wirtschaftlich wenig entwickelten Region in Anatolien, aus der viele Familien in Richtung Wien aufgebrochen sind. Eine Mitarbeiterin der Nachbarinnen erläutert: "In ihren Familien wird großer Wert auf den Erhalt der eigenen Identität, der eigenen Traditionen gelegt." Unabhängige, emanzipierte Frauen sind in ihrem Lebensentwurf nicht vorgesehen.

Wichtig ist der Helferin auch der Hinweis, dass nicht jede Familie, die ursprünglich aus Anatolien stammt, streng konservativ lebt: "Es gibt auch aufgeschlossene Männer. Und ja, es gibt auch Frauen, die sich nicht integrieren möchten."

Melek zählt nicht zu jenen. Sie möchte einen Beruf erlernen. Sie möchte arbeiten, ihr eigenes Geld verdienen. Sie durfte aber nur einen dreimonatigen Integrationskurs besuchen. Auch nur deshalb, weil er auf dem Weg zur Staatsbürgerschaft von der Republik Österreich zwingend vorgeschrieben ist.

Starke Persönlichkeit

Dass sie heute fast fehlerfrei Deutsch spricht, grenzt an ein Wunder. Ist auch mit ihrer stillen, starken Persönlichkeit zu erklären. Melek erzählt, dass sie ihre Übungshefte im Kurs lassen musste: "Um Streitereien mit meinem Mann zu verhindern. Er will einfach nicht, dass ich zu Hause lerne. Wahrscheinlich könnte ich heute viel besser Deutsch, doch lange gab es niemanden, mit dem ich mich unterhalten konnte."

Für Dinge, die für Österreicherinnen selbstverständlich sind, muss sie immer noch um Erlaubnis fragen.

Sozial isoliert

Die von der Bildung Abgeschnittene sagt: "Ich wollte nach dem Kursende unbedingt weiterlernen, aber meine Schwiegereltern waren der Meinung, dass ich meine Verpflichtung schon zur Gänze erfüllt habe." Die Enttäuschung ist ihr heute noch ins Gesicht geschrieben: "Ich bin gerne zur Schule gegangen, war auch sehr fleißig."

Auf die Frage, wie es ihr heute in Wien geht, sagt sie: "Ich fühle mich immer noch sehr einsam, wie ein Fisch auf dem Land. Meine eigene Familie, meine Freunde blieben in der Türkei. Ich kenne hier kaum Menschen."

Öfters hat sie das Gefühl, dass sie nicht ihren Mann, sondern seine Familie geheiratet hat. Gleichzeitig ist die Frau mit dem Kopftuch für viele Österreicher ein rotes Tuch: "Bei den meisten, denen ich begegne, habe ich nicht den Eindruck, dass sie mich hier haben wollen."

Kinder

Ausgerechnet die Geburt ihrer Kinder hat ihr etwas mehr Freiraum verschafft: "Seither muss ich nicht mehr ständig mit den Schwiegereltern auf engstem Raum zusammen sein." Heimlich hat sie für ihren Hauptschulabschluss gelernt und zuletzt beim AMS eine Ausbildung zur Regalbetreuerin absolviert. Stolz sagt sie: "Alles, was ich gelernt habe, habe ich im Kurs gelernt."

Ein zusätzliches Einkommen könnte die Familie gut gebrauchen, noch dazu, wo ihr Mann nur unregelmäßig Arbeit auf Baustellen findet – und für die eigene Familie nur bedingt Verantwortung übernehmen möchte.

Stille Zweifel

Ob sie ihr Mann nun auch arbeiten gehen lässt? Melek überlegt kurz, dann sagt sie deutlich selbstbewusster als in ihren ersten Jahren in Wien: "Ich wollte lange Zeit glauben, dass alles gut wird. In unserer Sprache sagt man, dass ein Tropfen das Glas zum Überlaufen bringen kann. Dieser Moment ist bei mir jetzt fast erreicht."

Die Nachbarinnen bestärken sie bei ihren durchaus mutigen Bestrebungen: "Sie sind für mich eine moralische Hilfe." Rückhalt bietet auch ihre Mutter, eine Alleinerzieherin, die in Kayseri lebt: "Sie bestärkt mich täglich am Telefon, dass ich meinen eigenen Weg gehen soll."

In den nächsten Wochen möchte sie gemeinsam mit ihrem Mann eine Entscheidung treffen. Einfach will sie es sich dabei nicht machen: "Trotz allem ist er doch auch der Vater meiner Kinder."

Kommentare