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Hugo Portisch: "Österreichs Politik braucht Weckruf"
Der Grandseigneur der Publizistik über Österreichs Identität, die EU und die Regierungsbildung.
KURIER: Herr Portisch, nach der erfolgreichen Neuauflage der Doku „Österreich I“ startete das Revival von „Österreich II“. Wie lange dauerte es, bis die Österreicher nach den Weltkriegen an eine eigene Identität glaubten?

Werden sich die EU-kritischen Österreicher in zehn Jahren als Europäer fühlen?

2014 jährt sich der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum 100. Mal. Kronprinz Franz Ferdinand hatte die Vision der Vereinigten Länder Österreichs, also eine Art EU-Modell. Wäre der Weltkrieg mit diesem Modell verhinderbar gewesen?
Die „Was wäre, wenn“-Frage ist in der Geschichtslehre verboten. Aber es stimmt, Franz Ferdinand hatte die richtige Idee, wie man die Monarchie erhalten hätte können. Es waren 14 Nationen innerhalb der Monarchie, die bereits damals eine funktionierende Wirtschafts- und Währungsunion hatten. Franz Ferdinand hatte erkannt, dass die Gefahr des Zerfalls groß ist, wenn die Monarchie von den beiden Herrenvölkern Österreich und Ungarn regiert wird. Er wollte die Nationalitäten aufwerten.
Wer war der wahre Kriegstreiber beim Ersten Weltkrieg?
Ich habe jetzt drei Bücher dazu gelesen, wo jedes Buch eine andere Theorie entwickelt hat. Ich glaube an die Theorie von Manfried Rauchensteiner, der sich seit 20 Jahren mit den Ursachen auseinandersetzt und alle Details kennt. Er behauptet, Kaiser Franz Joseph war es ganz alleine, der den Krieg wollte.
Warum?
Franz Joseph wollte die Serben ausschalten, die am Balkan ständig Unruhen und Konflikte anzettelten und damit die Monarchie schwerst störten. Und Franz Joseph meinten, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo wir sie in die Schranken weisen müssen. Seine Berater wussten, sobald Serbien angegriffen wird, erklärt auch Russland den Krieg.

Es wäre zu begrüßen, wenn in Österreich auch Abwechslung reinkäme – nämlich, dass einmal die eine und dann wieder die andere große Volkspartei regiert. Das Hindernis, warum das bei uns nicht geht, ist die Ideologie, die von der FPÖ ausgeht. Sie ist Anti-EU und sie ist ausländerfeindlich. Die FPÖ in Regierungsverantwortung zu holen, wurde ja schon mehrfach versucht. Da war ein Bruno Kreisky, der auch eine Art Koalition mit der FPÖ eingegangen ist, damit seine Minderheitsregierung zustande kommt, dann gab es Fred Sinowatz und später Wolfgang Schüssel. Aber diese beiden Säulen Anti-EU und Anti-Ausländer haben schon Bundespräsident Thomas Klestil in Not gebracht, als Wolfgang Schüssel zu ihm kam und meinte, er macht eine Koalition mit Jörg Haider. Aber wenn die FPÖ von ihrer Ideologie abginge, dann wäre sie regierungsfähig.
Welchen neuen Stil würden Sie der Großen Koalition empfehlen?
Die Antwort ist Österreich II – die Große Koalition muss mutig sein, darf bei den Beschlüssen nicht lange zögern und darf sich nicht allen möglichen Pressure-Groups aussetzen. Wenn man regiert, dann regiert man. Die Regierung muss sich als eine Mehrheit, als eine einzige Mehrheit verstehen, die ihre Ziele durchsetzen muss. So, als wäre sie keine Große Koalition, sondern eine Partei, die mit einer absoluten Mehrheit regiert.
War es absehbar, dass Deutschland 68 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder sagt, wo es in Europa langgeht?
