Holzleitner und Gaál: "Bester Schutz vor Gewalt ist Gleichstellung"

Eva-Maria Holzlieitner, Frauenministerin, Kathrin Gaal, Frauenstadtraetin, Frauenministerium, 1010 Wien
Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner und Wiens Frauenstadträtin Kathrin Gaál (beide SPÖ) über Zivilcourage, Opferschutz und Prävention.

Am 25. November startet der internationale Aktionszeitraum „16 Tage gegen Gewalt an Frauen und Mädchen“. Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner und Wiens Frauenstadträtin Kathrin Gaál im Gespräch.

KURIER: Gleicht es nicht einem Armutszeugnis, dass wir Jahr für Jahr gegen Gewalt an Frauen aufmerksam machen müssen?

Eva-Maria Holzleitner: Ja und nein. Mit dem Nationalen Aktionsplan, den wir am Mittwoch gemeinsam als Bundesregierung präsentieren werden, wollen wir ein Zeichen setzen. Auch deshalb haben wir alle Ressorts mit ins Boot geholt, denn Gewalt gegen und an Frauen geht uns alle an.

Was kann die Politik gegen Gewalt tun? 

Holzleitner: Vieles. Wir haben Empfehlungen des Rechnungshofes, die wir umsetzen, und jene von Grevio, jenem Gremium, das die Istanbul-Konvention regelmäßig monitort. Wir müssen besser werden im Bereich der Prävention, bei der Beweissicherung und in den neuen Bereichen der Gewalt, mit denen wir uns beispielsweise im Internet konfrontiert sehen.

Kathrin Gaál: Wir müssen bei alldem immer auch die Männer mitdenken, denn es geht bei Gewaltschutz immer um uns als gesamte Gesellschaft, nicht nur um einzelne Gruppen.

Wo beginnt die Prävention?

Holzleitner: Es beginnt tatsächlich im Kindergarten und dabei, dass man das Spielzeug nicht aus der Hand des anderen schlägt, und geht weiter in der Schule. Vor Jahren hat mir eine Frau einen Lückentext von der Hausaufgabe ihres Kindes übermittelt, darin hieß es sinngemäß: „Der Papa kommt nach Hause, es gibt kein Mittagessen, weil die Mama im Garten faulenzt.“ Solche Lückentexte darf es in keinem Schulbuch mehr geben, weil es sich um Rollenbilder und Stereotype aus den 1950er-Jahren handelt.

Gaál: Gewaltprävention muss so früh wie möglich ansetzen, weil der beste Schutz vor Gewalt die Gleichstellung ist. Den Respekt voreinander zu lernen – damit kann man nicht früh genug anfangen. In Wien haben wir das Projekt „Respekt – Gemeinsam stärker“, mit dem wir in die Schulen zu Lehrerinnen und Lehrern als auch zu Schülerinnen und Schülern und auch Eltern gehen, um Respekt zu lehren.

Wie ist es um die Gleichstellung im Bund und in Wien bestellt?

Holzleitner: Wir haben erst wieder beim Equal Pay Day gesehen, dass es in Wien den geringsten Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen gibt. Österreichweit stehen wir nicht so gut da, wie wir sollten. Das verpflichtende zweite Kindergartenjahr ist nur einer von mehreren Ansätzen, den die Bundesregierung verfolgt. Auch die Lohntransparenz werden wir umsetzen. Es freut mich besonders, dass wir trotz Budgetkonsolidierungsnotwendigkeiten beim Frauenbudget nicht gekürzt haben, um beispielsweise Frauenberatungsstellen weiter zu unterstützen.

Welches der Angebote von Telefonnummer bis Beratungsstelle wird am meisten genutzt und von wem?

Gaál: Es ist in Wahrheit alles. Wir haben in Wien ein sehr dichtes Gewaltschutznetz, weil wir seit Jahrzehnten eine aktive Gleichstellungs- und Frauenpolitik betreiben. Wir nehmen wahr, dass Frauen, denen Gewalt widerfährt, die im schlimmsten Fall in einem Femizid gipfelt, vorab kaum Kontakt zu Beratungsstellen hatten. Wir müssen mehr darauf aufmerksam machen, was es alles gibt.

Was gibt es alles?

Gaál: Wir haben in Wien eine Kooperation mit Supermarktketten, auf deren Rechnungen die Frauennotrufnummern aufgedruckt sind. Wir haben zudem an allen öffentlichen WCs in den Amtshäusern und auf den Straßen unsere Notrufnummern angebracht, um so niederschwellig wie möglich darauf aufmerksam zu machen. Vor ein paar Jahren haben wir ein Frauenzentrum gegründet, das auch für Frauen geöffnet ist, die Fragen bei Scheidung oder Obsorge haben. Im Zuge dieser Gespräche ergibt sich leider oft, dass Gewalt eine Rolle spielt. Was einzigartig an Wien ist: Wir haben einen 24-Stunden-Notruf, wo sich nicht nur Opfer, sondern Angehörige, Freunde melden können, die Fragen haben.

Es ist oft von fehlender Zivilcourage die Rede. Haben Sie schon Zivilcourage in dem Frauengewalt-Zusammenhang beweisen müssen?

Holzleitner: Zivilcourage kann jeden Tag bewiesen werden. Das beginnt damit, bei Kommentaren oder Witzen, die sexistisch sind, Stopp zu sagen.

Gaál: Ich war schon einmal in dieser Situation. Ich muss 17 gewesen sein, als wir beim Fortgehen in der Stadt gesehen haben, wie ein Mann eine Frau in eine Baustelleneinrichtung gezerrt hat. Wir waren zu dritt, waren nervös, wollten in einem Lokal die Polizei rufen – das wurde uns allerdings verwehrt. Wir sind dann selbst hin und haben in die Baustelle hineingerufen. Es ist nicht leicht, mutig zu sein, aber Zivilcourage lässt sich lernen. Die Stadt Wien gibt Workshops für alle Gesellschaftsschichten.

Eva-Maria Holzlieitner, Frauenministerin, Kathrin Gaal, Frauenstadtraetin, Frauenministerium, 1010 Wien

Macht es einen Unterschied, welchen Background ein Täter hat, also auch in Hinblick auf Migration? 

Gaál: Die Wiener Frauenhäuser bestehen seit über 45 Jahren, und die Erfahrung zeigt, dass es Gewalt in allen Gesellschaftsschichten und Bildungsschichten gibt. Wir führen zwar keine Statistik, aber allein, dass es die Einrichtungen schon so lange gibt, ist ein Zeichen dafür, dass es diese Gewalt schon immer schon gegeben hat.

Holzleitner: Man darf nirgendwo einen blinden Fleck haben und muss auch bei neueren Entwicklungen hinschauen. Eine Bevölkerungsgruppe herauszugreifen und zu sagen, nur dort passiert Gewalt, ist aber falsch. Bei Abstimmungen zu Gewaltschutzthemen im Nationalrat stimmt die FPÖ bei vielem mit dem Argument nicht mit, dass es ein importiertes Problem sei. Die FPÖ macht bewusst die Unterscheidung zwischen Gewalt, die akzeptiert ist, und Gewalt, bei der man hinschauen muss. Man muss aber bei jeder Gewalt hinschauen.

Bei „Nur Ja ist Ja“ steht, wenn sich zwei Menschen in geschlossenen Räumlichkeiten treffen, im Nachhinein Aussage gegen Aussage. Ist das nur als Symbol zu verstehen?

Holzleitner: Die damalige Einführung von „Nein heißt Nein“ vor circa zehn Jahren war ein sehr, sehr wichtiger Schritt. Jetzt sind wir einfach einige Schritte weiter. Den Gesetzesrahmen jetzt wieder anzupassen, ist zeitgemäß. Gaál: Es wird beim Prozess sicher ein Unterschied sein, dass die Frau nicht beweisen muss, dass sie laut genug nein gesagt hat. Aber natürlich geht es auch um die Bewusstseinsbildung.

Ist Gewalt gegen homosexuelle oder transsexuelle Personen auch Teil der Präventionsarbeit?

Holzleitner: Es gibt einerseits den nationalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen. Aber ein nationaler Aktionsplan zu Hate Crime soll auch erstellt werden – auch als Reaktion auf die Prügelattacken und Gewaltattacken gegenüber homosexuellen Männern. Frauen in der Öffentlichkeit sind besonders oft von Hass im Netz betroffen.

Haben Sie sich je gedacht, ich möchte nicht in der ersten Reihe stehen, um sich dem nicht auszusetzen?

Gaál: Nein. Nicht zu kämpfen, nicht aktiv zu sein, nicht Politik machen zu wollen, war nie eine Option. Holzleitner Als Frau in der Politik schlagen einem Hasskommentare, Herabwürdigungen, das Absprechen von Qualifikation entgegen. Vermutlich in einem anderen Ausmaß, als das männliche Kollegen erleben. Für mich ist das kein Grund, zu schweigen. Aber es ist wichtig, dass man mit anderen Frauen in der Politik solidarisch ist und sich unterstützt.

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