Holocaust-Gedenktag: "Ruhe in Frieden, Großvater, du hast gewonnen"

Es gibt Orte, da stößt der Journalismus an seine Grenzen. Das ehemalige Konzentrationslager Mauthausen ist so ein Ort. Denn mit welchen Worten das Gedenken an das Grauen beschreiben, wenn dieses so abgrundtief, so alles durchdringend ist?
Mehr als 90.000 Menschen wurden zwischen 1938 und 1945 von den Nazis in Mauthausen und den dazugehörigen Außenlagern ermordet. Viele ließ man sich im Steinbruch zu Tode arbeiten, andere erfroren, wurden erschossen oder vergast.
Holocaust-Gedenktag: Der persönliche Bezug von Israels Außenminister zu Mauthausen
Einer von ihnen war Bela Lampel, der Großvater des amtierenden israelischen Außenministers Jair Lapid. Einen Monat vor der Befreiung des Lagers, am 5. April 1945, wurde er in Ebensee ermordet. „Herzschwäche“ trugen die Bürokratie-versessenen Nazis als Todesursache in ihre Bücher ein. Sie logen.

Nur eine Klarinette
Gestern, Donnerstag, am Internationalen Holocaust-Gedenktag, steht Lapid neben dem österreichischen Kanzler Karl Nehammer, Außenminister Alexander Schallenberg, Innenminister Gerhard Karner und Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer auf dem Appellplatz des ehemaligen Lagers in Mauthausen. Ein eisiger Wind weht über das Gelände, als Nehammer und Lapid Kränze am Sarkophag in der Mitte des Platzes niederlegen. Eine einzige Klarinette spielt eine kaum bekannte Melodie. Bevor er sich umdreht, legt Lapid liebevoll eine Hand auf das Denkmal mit der Inschrift „Aus der Toten Geschick mögen die Lebenden lernen“.

2016 war Lapid mit seiner Schwester schon einmal privat in Mauthausen. Die Familie hat dem Großvater kein Grab errichten können, auf dessen Stein sein Name steht. In Mauthausen ist er im „Raum der Namen“ neben rund 81.000 weiteren Namen festgehalten.
Lapid will, dass die Welt die Geschichte seines Großvaters kennt. Wie dieser in den frühen Morgenstunden des 19. März 1944 aus seiner Wohnung abgeholt und höflich, fast freundlich, gebeten wurde, sich anzuziehen. Wie er sich von seiner Familie verabschiedete, zur bereits gepackten Tasche griff, „denn alle Juden hatten zu dieser Zeit eine gepackte Tasche bereit“, ging und nie wieder zurückkam.
„Keine Nummer“
„Ich stehe heute hier, um der Welt zu sagen, dass Bela Lampel keine Nummer war“, sagt Lapid nun in Mauthausen und referenziert damit auf die allen Häftlingen eintätowierte Nummer. „Er war mein Großvater. Und er hat mich heute hierher geschickt, um zu sagen, dass die Juden sich nicht ergeben, sondern einen starken, stolzen und freien Staat errichtet haben.“ Dann blickt Lapid auf und sagt: „Ruhe in Frieden, Großvater, du hast gewonnen.“
Hinter FFP2-Masken verborgen wird geschluckt, der Außenminister wischt sich Tränen aus den Augen. In seiner Ansprache sagt Schallenberg, Österreich habe sich viel zu lange nur als Opfer der Nazis gesehen. „Wir haben uns gescheut, unsere historische Verantwortung anzuerkennen. Heute nehmen wir diese Verantwortung vollumfänglich wahr.“

Wie um das zu unterstreichen, tritt daraufhin der Bundeskanzler ans Mikrofon. „Im Namen der Republik Österreich bitte ich um Entschuldigung für die hier begangenen Verbrechen“, sagt er. Und mit Blick zu Lapid: „Ich bitte um Entschuldigung für die Ermordung Ihres Großvaters an diesem Ort.“ Man könne nicht ungeschehen machen, was passiert sei, sagt Nehammer. Aber man könne sicherstellen, dass die Erinnerung an die Opfer weiterlebt. „Wir dürfen ihre Namen nie vergessen und müssen ihre Geschichte weitererzählen.“ Jüdisches Leben in Österreich müsse geschützt und gefördert werden. Heute und in Zukunft würden Österreich und Israel zusammenstehen. Dann umarmen einander Österreichs Kanzler und Israels Außenminister.
Während die Kamerateams ihr Equipment abbauen und langsam aber doch die Polizei ihren Großeinsatz rund um das Gelände beendet, brennt im Raum der Namen still eine Kerze, wo „Bela Lapid“ auf das Glas geschrieben steht.
Es gibt Orte, da stoßen Worte an ihre Grenzen.
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