„Heilsam“ gegen populistische Tendenzen

„Heilsam“ gegen populistische Tendenzen
Experten über einen Politisierungsschub wegen Ibiza, Bierleins Medien-Umgang und die Relevanz von Videos

Sechs Wochen nach Bekanntwerden der Ibiza-Affäre ist von Sommerloch keine Spur. Gar von einer Repolitisierung der Gesellschaft ist die Rede. Doch stimmt dieser vielfach kolportierte Befund?

„Ja“, sind sich die Politologen Anton Pelinka und Kathrin Stainer-Hämmerle und Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer auf KURIER-Nachfrage einig. Die von 45 auf knapp 60 Prozent gestiegene Wahlbeteiligung bei der EU-Wahl am 26. Mai sei ein messbares Resultat dessen, sagt OGM-Chef Bachmayer. „Ähnlich wie 1999/2000 mit der Wende-Regierung Schüssel oder 2015 mit der Zuwanderung findet jetzt ein Politisierungsschub statt“, befundet Kathrin Stainer-Hämmerle. Das habe mit Ibiza, dem ersten Sturz einer Bundesregierung durch ein Misstrauensvotum sowie dem Novum einer Beamtenregierung zu tun. Zudem finde durch die Fridays for Future-Bewegung ein Politisierungsschub der jüngeren Generation statt. Der wiederum habe Auswirkungen auf ältere Generationen, insbesondere Eltern.

Einen gehörigen Anteil an dieser Repolitisierung habe zudem die jetzige Regierung. „Der Unterschied gegenüber einer Nicht-Expertenregierung ist, dass die Mitglieder der Regierung Bierlein nicht ununterbrochen im Wahlkampfmodus sein müssen“, sagt Anton Pelinka. Dass Kanzlerin Brigitte Bierlein wie ihre Minister sparsam bis kaum kommunizieren, sei – entgegen der Meinung vieler Medien – sogar förderlich.

Nicht nur Schlagzeilen

Pelinka sieht darin einen „heilsamen Effekt. Es geht dieser Regierung nicht um die nächste Schlagzeile, sie muss nicht Populäres twittern – und das könnte eine Abkehr von populistischen Tendenzen bewirken“. Im Sinne der Maxime „no news is bad news, any news is better“ („Keine Nachrichten zu haben ist schlecht, jede Nachricht ist besser“) könnte es sich die Regierung Bierlein deshalb leisten, „gelegentlich no news zu produzieren“, so Pelinka weiter. „Wenn sich diese Regierung nicht mehr so bereitwillig inszeniert, müssen die Medien auf anderen Wegen recherchieren. Nach Zeiten der Message Control ein durchaus positiver Effekt, der das Vertrauen in traditionelle Medien stärken könnte“, schließt Stainer-Hämmerle an.

Sie gibt in diesem Zusammenhang aber zu bedenken, dass „dieses Modell auf längere Frist natürlich nicht funktionieren wird“. Warum? „Erstens, weil Politik gestalten muss. Zweitens, weil auch Experten ihre Werte nicht auf Dauer abgeben können und drittens, weil es in der Politik keine allgemein richtigen Antworten gibt, sondern immer den Wettstreit zwischen Ideen und Interessen.“ Alles andere würde falsche Erwartungen in Politik wecken.

Immer mehr Bilder

Derzeit herrsche bei der „breiten Bevölkerung aber die etwas naive Stimmung vor, dass eigentlich auch ohne streitende Politiker alles ganz gut funktioniert“, sagt Meinungsforscher Bachmayer. „Angesichts eines heftiger werdenden Wahlkampfs könne so eine Haltung entstehen à la: Wieso kann Politik nicht so zivilisiert sein, wie es die Übergangsregierung vorzeigt?“ Für die Wahlkampfzeit erwarten die Experten von den Parteien einen verstärkten Einsatz von bildhaften Botschaften via Instagram oder Videos.

„Hier ist der Grat zwischen wirksamer Botschaft, Unterhaltung, Langeweile und Peinlichkeit recht schmal. Ein gutes Video sollte vor allem authentisch und nicht als vordergründige politische Werbung wirken. Es muss nicht gleich ein Pizza-Video sein“, erinnert Bachmayer an Ex-SPÖ-Chef Kern.

Stainer-Hämmerle verweist im Gegenzug auf gelungene Beispiele wie den Youtuber Rezo in Deutschland, oder Frau Gertrude, die sich im Wahlkampf für Van der Bellen einsetzte. „Das Problem ist auch hier die hohe Manipulationsgefahr durch geschicktes Storytelling.“ Anton Pelinka: „Der andere Stil der Regierung Bierlein kann sich so positiv abheben und zu einer wachsenden, generellen Zustimmung zu dieser Regierung führen.“

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