Gibt es also erstmals EU-Geld für effizientere Überwachung der europäischen Außengrenzen?
Nein, denn schon im Sieben-Jahres-Haushalt der EU (2021–27) wurden 6,5 Milliarden Euro für die Unterstützung der Grenzinfrastruktur budgetiert. Drei Milliarden davon sind schon verplant. Die Mittel können nun aber „substantiell“ erhöht werden, nicht zuletzt auf den massiven Druck Österreichs und der Niederlande hin.
Wenn es das Ziel ist, die illegalen Ankünfte an den EU-Außengrenzen einzudämmen, reicht dann mehr Geld für Grenzinfrastruktur?
Stärkerer Schutz der EU-Außengrenzen ist nur ein Baustein im großen Feld der Migrationspolitik. Aber er ist ein wichtiger: Mehr Unterstützung sollen nun alle Staaten mit EU-Außengrenzen erhalten. Mehr Beamte der EU-Grenzschutzagentur FRONTEX werden entsendet, deren Kompetenzen wurden zudem erweitert.Die libysche Küstenwache, die verhindern soll, dass Migrantenboote in See stechen, erhält von der EU weitere fünf Patrouillenboote.
145.000 Migranten und Flüchtlinge kamen im Vorjahr über die Balkanroute in der EU an – mehr als doppelt so viele wie 2021. Wird der Anstieg anhalten?
Ein Grund für die hohen Migrantenzahlen fällt zumindest weg: Serbien hat seine Visafreiheit für Bürger aus Indien und Tunesien beendet, Tausende von ihnen hatten dann in Österreich um Asyl angesucht. Auf den massiven Druck der EU hin hat Belgrad diese Praxis beendet. Auch Nehammer hatte zusammen mit Ungarns Premier Viktor Orbán den serbischen Präsidenten Aleksandar Vucić ersucht, diese Visafreiheit zu stoppen. Schärfere und effizientere Grenzkontrollen allgemein könnten zudem die Zahl der illegalen Ankünfte verringern – solange nicht neue Krisen in Europas Nachbarschaft aufbrechen.
Worin liegt der größte Erfolg von Kanzler Nehammer bei diesem EU-Gipfel?
Die Tatsache, dass die Europäische Union das Migrationsthema wieder oben auf die Prioritätenliste gesetzt hat. Allein war der österreichische Kanzler damit nicht: Auch der niederländische Premier Rutte hat massiv darauf gedrängt, dass die Migrationsfrage wieder ernst genommen wird. Schweden, das im ersten Halbjahr 2023 die EU-Ratspräsidentschaft innehat, und Italien machen das Thema ebenfalls zur Priorität.
Fast zwei Drittel aller Asylsuchenden in der EU werden abgewiesen. Aber nur ein Fünftel der Abgewiesenen verlässt die EU wieder. Wird hier nun mehr Druck gemacht?
Beim EU-Gipfel haben sich die Regierungschefs darauf geeinigt, die Visapolitik als Druckmittel einzusetzen, um die Herkunftsländer der Migranten zur Zurücknahme ihrer Bürger zu bewegen. Die EU müsse nun alle relevanten Instrumente, darunter Diplomatie, Entwicklungshilfe, Handel und Visa, als Hebel einsetzen, um die Rückführungen sicherzustellen, heißt es im Gipfelbeschluss.
Das „europäische Asylsystem ist kaputt“, wiederholt der Kanzler immer wieder. Hat sich das geändert?
Nein – denn einige Grundprobleme bestehen nach wie vor: Einige Transitländer wie Griechenland oder Ungarn registrieren die Migranten zu wenig oder fast gar nicht und winken durch. Andere Staaten, darunter Österreich, legen sich gegen die Verteilung der Asylsuchenden in Europa quer. Ein Konsens und damit eine endgültige Lösung für die Migrationsfrage ist vorerst weiter nicht in Sicht.
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