Hans Jörg Schelling: Ein Mann für alle Härtefälle

Hans Jörg Schelling: Ein Mann für alle Härtefälle
Er wollte St. Pölten aus dem Dornröschenschlaf erwecken und ging in die Politik: Sein Weg vom Top-Manager zum XXL-Finanzminister.

Das Projekt Finanzminister stand nicht ganz oben auf der Prioritätenliste von Hans Jörg Schelling. Vor 14 Tagen las sich der Lebensplan des 60-jährigen Selfmade-Millionärs noch ganz anders. "Meine Frau und ich wollten in den nächsten Jahren reisen. Die Arbeit am Weingut hätte mir auch Spaß gemacht."

Seine Frau Ursula war es auch, die sich am wenigsten über den neuen XXL-Job freute. "Stünde sie nicht hinter mir, hätte ich nicht zugesagt", erzählt Schelling. Drei Tage diskutierte das Ehepaar über die Konsequenzen. Was kommt in dieser Position auf die Familie zu? Wer führt das Weingut weiter? Wie schaut die Lebensplanung nun aus?

Am Freitag der Vorwoche kam das grüne Licht von der Familie. Schelling signalisierte der ÖVP, dass er das Himmelfahrtskommando Finanzministerium übernimmt, wenn er im Parteivorstand einstimmig gewählt wird. "Meine Frau versteht den Ruf und warum ich ihm folgen will", kommentiert Schelling die Entscheidung.

Erste politische Schritte

Hans Jörg Schelling: Ein Mann für alle Härtefälle
Denn der neue Finanzminister folgt einer Philosophie: Will man in der Politik den "Change" schaffen, dann muss man ins Innerste vordringen. Dieses Motto lebt Schelling seit 1998. Damals wollte der Ex-Manager die Kulturszene in St. Pölten aufmöbeln. Die Liebe zu seiner Frau verschlug den Vorarlberger nach Niederösterreich. In der wahrscheinlich unscheinbarsten Landeshauptstadt Österreichs bewohnt er ein Stadthaus in der City. "Wir hatten alle gehofft, dass St. Pölten zu einer pulsierenden Stadt wird, als sie 1989 zu Niederösterreichs Landeshauptstadt ernannt wurde. Aber es tat sich nichts. Mitte der 90er-Jahre lag sie noch immer im Dornröschenschlaf", so der Finanzminister. Schelling, damals noch Lutz-Geschäftsführer, gründete und finanzierte kurzerhand gemeinsam mit Unternehmer-Freunden das Kleinkunsttheater Bühne im Hof. "Das war ein kleines Kellertheater mit einer Minibühne". Jede Menge bürokratische Hürden bei der Gründung trieben den Sohn eines Vorarlberger Bergschuldirektors und einer Krankenschwester in die Politik. "Wir wurden ständig behindert. Damals sah ich, wie politisch verkalkt das System ist. Also beschloss ich, wenn ich etwas verändern will, muss ich politisch selber tätig werden und gestalten."

Zwei Jahre später, im Jahr 2000, zog Schelling in den Gemeinderat von St. Pölten ein. Die Bühne im Hof wurde so wie vieles, was Schelling in die Hand nahm, zum Erfolg. Mittlerweile ist das Theater im Besitz des Landes, wurde aufwendig ausgebaut und ist längst ein Zentrum der künstlerischen Aktivitäten in St. Pölten.

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GESUNDHEITSGESPRAECHE: WAWROWSKY / SCHELLING
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WKO, Wiedner Hauptstraße, Wirtschaftskammer Österr…
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ARCHIVBILD: HANS JOERG SCHELLING
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THEMENBILD: PALMERS
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FUSSBALL EUROPA LEAGUE QUAILIKATION: SKN ST. PÖLTE
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Stift Herzogenburg…
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Stiegenhaus, …

Kein Hungertuch

Hans Jörg Schelling: Ein Mann für alle Härtefälle
Hans Jörg Schelling und Gattin Ursula_Foto vö 14.11.1993
Diese Denkweise, etwas zu bewegen, entspricht auch der bisherigen Erfolgsstory des Finanzminister: Als er sich mit der Kika-Leiner-Eigentümerfamilie Koch zerwirft, wechselt Schelling als Geschäftsführer zu Lutz und macht das Möbelhaus zum Marktführer. Der Manager hält 12 Prozent an Lutz, er gilt als Mastermind hinter der Werbefamilie Putz. 2009 verkauft er seine Anteile an Lutz und rangiert seither unter den Millionären. "Ich nage nicht am Hungertuch. Aber ich habe keine 100 Millionen Euro, so wie kolportiert wird", beschreibt Schelling seinen Reichtum. Nach dem Ausstieg bei XXL-Lutz nimmt er das nächste Mammutprojekt in Angriff. Er wird Präsident des Hauptverbands der Sozialversicherungen, verzichtet auf Gehalt und lässt sich nur eine Aufwandsentschädigung von 3000 Euro zahlen. Der Schuldenstand der Krankenkassen beträgt damals 1,2 Milliarden Euro. Jetzt sind sie nahezu schuldenfrei.

Genussmensch

Hans Jörg Schelling: Ein Mann für alle Härtefälle
Brader, Schelling, Wurzer, Fraberger, Nesslinger
Doch der Zahlenmensch Schelling ist alles andere als trocken und knöchern. Im Finanzminister steckt etwa auch ein Feinschmecker. Er steht gerne hinter dem Herd.

Beim Kochen agiert Schelling ganz anders als im Job: Er ist intuitiv, kreativ und im Handumdrehen serviert ein Fünf-Gänge-Menü. 2009 erfüllt er sich seinen Traum und kauft das Stiftsweingut Herzogenburg. "Ein kleines Weingut wollte ich, ein großes habe ich bekommen", so Schelling. Seine Tochter wird das Weingut nun führen.

Jahrgänge sind dem Finanzminister nicht so wichtig, der Wein muss vielmehr zur Stimmung passen. "Im Frühjahr trinke ich gerne Muskateller. Der fruchtige Geschmack passt zur Aufbruchstimmung. Spargel und ein Glas Muskateller sind für mich unschlagbar. Im Herbst mag ich es kräftig und greife zu Sauvignon Blanc", so sein Genuss-Motto.

Angst vor dem Scheitern hat er angesichts der momentanen Vorschusslorbeeren nicht. "So eine Situation hatte ich schon einmal, aber im Negativen. Als ich den Job beim Hauptverband annahm, sagte jeder: Das schaffst du nie. Danach redeten alle von einem Wunder."

Das wird Schelling auch jetzt benötigen, um den scheinbar gordischen Budgetknoten zu lösen.

KURIER: Herr Vranitzky Sie waren vor Ihrer Angelobung als Finanzminister im Jahr 1984 Bankdirektor. Ist es ein Vorteil, wenn man als finanziell unabhängiger Mensch in die Politik geht?

Franz Vranitzky: Das kann ich ganz klar mit Ja beantworten. Aber man sollte als wohlhabender Mensch nur dann in die Politik gehen, wenn man ein gesamtgesellschaftliches Verständnis hat. Es kann nicht sein, dass derjenige dann der oberste Betriebsrat der Millionäre wird. Ich muss vorausschicken, dass ich in der Vorperiode zum Finanzminister in unmittelbarer Nähe zum Minister gearbeitet habe, und damals durch alle politischen Gassen ging. Das politische Rüstzeug habe ich nicht erst als Minister lernen müssen. Und auch in der Tätigkeit als Bankdirektor übt man kein unpolitische Amt aus, denn wenn man über große Industriefinanzierungen entscheidet, ist man auch im politischen Getriebe drinnen.

In einem ZiB-2-Interview meinten Sie, dass der nächste Finanzminister kein Quereinsteiger sein darf, sondern Politiker. Ist Ihnen die bisherige Laufbahn von Hans Jörg Schelling politisch genug?

Ich wende mich nicht gegen Quereinsteiger. Aber in einem derart wichtigen Amt, darf man nicht einsteigen und sich dann etwa dem Ruf der Medien beugen. Aber Hans Jörg Schelling ist, wie wir alle wissen, nicht von der Schulbank gefallen und hat schon viele wichtige Entscheidungsfunktionen innegehabt.

Der neue Finanzminister bekommt im Moment viele Vorschusslorbeeren. Besteht nicht die Gefahr, dass der Hype auch ganz schnell in die negative Richtung umschlägt?

Das wird in erster Linie von ihm selbst abhängen. Aber der erste Eindruck, den ich von ihm gewinnen konnte, zeigt mir, dass er zu wissen scheint, wovon er spricht und dass er mit den Vorschusslorbeeren umgehen kann.

Ist diese Regierungsumbildung nun die letzte Chance für diese Koalition?

Ich schließe mich nicht gerne diesen ultimativen Formulierungen an. Es gibt wahrgenommene und es gibt vergebene Chancen. Das politische Leben hört nie auf, deswegen gibt es keine letzten Chancen in der Politik.

Dann anderes gefragt: Hat die Koalition erkannt, dass sie einen Fehlstart hingelegt hat und nun endlich der neue Stil gelebt werden muss?

Was ich bis jetzt vom Duo Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner gehört habe, erfüllt mich doch mit Zuversicht, dass sie die Zeichen der schlechten Umfragewerte erkannt haben, und nun ein politisches Kapital für die nächsten Wahl aufbauen werden.

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