Gusenbauer: Sieg Le Pens wäre Ende der EU

Alfred Gusenbauer im KURIER-Interview im Dezember vergangenen Jahres.
Ex-Kanzler: Anstelle der Europäische Union werde es dann nur die Großmacht Deutschland "und alle, die mit Deutschland verbunden sind" in Europa geben.

Die französischen Präsidentenwahlen werden nach Einschätzung von Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) das Schicksal der Europäischen Union entscheiden. "Wenn die (Rechtspopulistin Marine Le Pen, Anm.) Präsidentin wird, ist es, glaube ich, mit dem europäischen Einigungswerk vorbei", sagte Gusenbauer am Montag bei einem Vortrag in Wien.

Anstelle der Europäische Union werde es dann nur die Großmacht Deutschland "und alle, die mit Deutschland verbunden sind" in Europa geben. "Das hielte ich für den Kontinent nicht für gut." Dagegen könne die europäische Integration bei einem Sieg des sozialliberalen Kandidaten Emmanuel Macron "neue Dynamik" gewinnen, weil er "ein sehr, sehr engagierter Europäer" sei.

"Manchmal ist es zwischen gut und schlecht außerordentlich knapp und manchmal reicht es nicht einmal aus, wenn Du die Mehrheit hast", sagte Gusenbauer in Anspielung auf den Ausgang der US-Präsidentenwahl. Er selbst glaubt nicht an einen Sieg der EU-Feindin Le Pen: "Muss ich mein Geld wetten, setze ich auf Macron und Europa."

"Spannende und interessante Zeiten"

Gusenbauer äußerte sich im Rahmen eines Vortrags vor der "Austrian Chinese Business Association" (ACBA) zur aktuellen Weltpolitik. "Es sind spannende und interessante, wenn auch nicht beunruhigende Zeiten", sagte er mit Blick auf US-Präsident Donald Trump. Dessen Auftreten wertete Gusenbauer als Zeichen dafür, dass Politik wieder "gestalten" könne: "Ich glaube, die Politik gewinnt ihre Handlungsmöglichkeit zurück."

Zwar sei die Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Großmächten weiterhin "gering", doch seien eine Ebene darunter solche Auseinandersetzungen "generell wieder wahrscheinlicher" geworden, unter anderem durch Bedrohungen im Bereich Cybercrime. Gerade deshalb sei eine "pragmatische Kooperation" zwischen den Großmächten wichtig, um Stabilität zu schaffen.

Für "proaktive Rolle" gegenüber Moskau

Gusenbauer äußerte auch die Erwartung, dass die USA die Verständigung mit Russland suchen werden, um sich "der chinesischen Herausforderung" zu stellen. Eine "proaktive Rolle" gegenüber Moskau empfahl der Ex-Kanzler auch der Europäischen Union, der sich skeptisch zu den im Ukraine-Konflikt verhängten Sanktionen äußerte. "Sind Sanktionen ein geeignetes Mittel, um das Ziel zu erreichen? Ich habe meine Zweifel", so Gusenbauer, der eine Stärkung des russischen Präsidenten Wladimir Putin durch die EU-Maßnahmen konstatierte. Keine Hoffnung hat er, dass Moskau die annektierte Halbinsel Krim jemals dem Nachbarland zurückgeben wird. "Es glaubt niemand mehr daran, dass die Krim jemals nicht zu Russland gehören wird", formulierte Gusenbauer.

In seinem Vortrag hob der Ex-Kanzler die wirtschaftlichen Errungenschaften Chinas hervor und äußerte sich lobend über dessen behutsame und auf schrittweise Ausweitung von Einfluss bedachte Außenpolitik. Chinas Aufstieg sei "eine der beeindruckendsten Erfolgsgeschichten der letzten Hunderten Jahre". Wirtschaftlich stehe das dem Status eines Billiglohnlandes entwachsene China vor der Herausforderung, mit Innovation entsprechenden Wohlstand für seine neue Mittelschicht zu schaffen. Offen sei, ob das autoritäre Land den Sprung in eine Innovationsgesellschaft schafft: "Setzt Innovation nicht Kreativität, Freiheit und Demokratie voraus?", so Gusenbauer. Die "Achillesferse" Chinas sei die starke Abhängigkeit von Rohstoffen und engen Seewegen, die - wie die Straße von Malakka - von US-Verbündeten kontrolliert werden.

Kommentare