Grüner Bundeskongress: Gewessler mit 96,76 Prozent zur neuen Chefin gewählt

Grüner Bundeskongress: Gewessler mit 96,76 Prozent zur neuen Chefin gewählt
Beim 47. Bundeskongress übergibt Werner Kogler nach knapp acht Jahren an der Spitze an Leonore Gewessler. Diese will die Grünen wieder groß machen - und "ein paar Dinge ändern".

Die Grünen stellen heute, Sonntag, beim Bundeskongress in der Messe Wien ihre Spitze neu auf. Werner Kogler übergibt den Parteivorsitz an Leonore Gewessler und zieht sich auf sein Mandat im Nationalrat zurück. 

Das Wahlergebnis stand um 12 Uhr fest: Gewessler wurde mit 96,76 Prozent der Delegiertenstimmen zur neuen Chefin gewählt

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Das Motto des 47. Bundeskongress lautet "Grün hält". Was offenbar auch für die Finanzen gilt, die als erster Tagesordnungspunkt präsentiert wurden. 

2017, nach dem Rauswurf aus dem Nationalrat, hatte die Partei fünf Millionen Euro Schulden und stand vor dem Konkurs. 2024 schloss die Partei mit einem Vermögen von 1,2 Millionen Euro ab, wie der scheidende Finanzreferent Wolfgang Raback erklärte. 

Nahbarkeit

Die Grünen starten heute gemeinsam in eine neue Etappe, sagte die Wiener Landessprecherin Judith Pühringer dann bei ihrer Begrüßung. "Gemeinsam" auch, weil es keine Gegenkandidaturen zu Gewessler als Bundessprecherin gibt, keine Kampfabstimmungen. 

Sie zitierte Gewessler, die einmal gesagt habe: "Ich will eine grüne Partei, die fest und nah an der Seite der Menschen steht." Wie stellt man diese Nahbarkeit her? Es gehe nicht darum, den Menschen zu erklären, wie sie leben sollen, sondern ihnen zuzuhören, erklärte Pühringer. Das schärfe den Blick für die Sorgen der Menschen, was sie ärgert, was sie quält und ratlos zurücklässt. Gleichzeitig schärfe es den Blick für die Lösung. Der jüngste Erfolg: Bei der Wien-Wahl im April haben die Grünen den Bezirk Margareten erobert. 

Sie dankte auch jenen Abgeordneten, die gestern, Samstag, zur Pride nach Budapest gereist sind. Die Parade war eigentlich von der Regierung verboten worden, trotzdem nahmen 200.000 Menschen teil. An Ungarns Premier Viktor Orban und "alle Möchtegern-Orbans" in Österreich adressiert Pühringer: "Die Pride könnt ihr niemals verbieten, weil man die Liebe nicht verbieten kann." 

Krisen: "Corona, Krieg, Kurz"

Auftritt Gewessler. "Ich stehe hier mit einem Batzen Respekt", sagte sie, als sie unter tosendem Applaus auf die Bühne kam. "Fünf Jahre Ministerin sein ist das eine, aber das ist wieder eine ganz andere Herausforderung."

Die Grünen sind jetzt wieder in der Opposition, nach fünf Jahren in der Regierung kamen sie bei der Nationalratswahl nur noch auf 8,2 Prozent (2019: 13,9 Prozent). Gewessler betont, sie sei überzeugt, dass die Grünen wieder groß werden können, "wenn wir ein paar Dinge anders machen, wenn wir ein paar Dinge ändern". 

Und zwar? "Wieder stärker zuhören, was sich die Menschen von uns erwarten, was sie brauchen." Das sei in den vergangenen fünf Jahren etwas zu kurz gekommen. Sie erinnert aber auch an die Krisen: "Corona, Krieg, Kurz (Ex-Kanzler Sebastian Kurz, Anm.)." 

Die Wähler wüssten nicht mehr, wozu man die Grünen eigentlich braucht. "Aber Leute, das werden wir ändern." 

"Ungrünster Ort der Welt"

Früher habe die Analyse der Grünen, wieso sie bei Wahlen so schlecht abschneiden, gelautet, sie müssten besser kommunizieren. Gewessler will das umdrehen: "Wir müssen mehr zuhören." Und erklärte dann anhand von zwei Begegnungen: Eine junge Lehrerin habe ihr geschildert, dass fehlende Deutschkenntnisse in der Schule ein Problem seien. Sie sich das aber den Grünen gar nicht sagen traue, "sonst glaubt ihr, ich bin aus dem rechten Eck".

Oder ein Vorarlberger Ehepaar,  das meinte, als Grüne dürfe man kein Auto haben. Gewessler schilderte, sie habe ihren Ehemann am "ungrünsten Ort der Welt kennengelernt: "Im Flugzeug." Und es sei der wichtigste Flug ihres Lebens gewesen. 

Das Bild sei, dass man nur dann Grün sein könne, "wenn man alles perfekt macht: Kein Flug, kein Fleisch und so weiter". Sie, Gewessler, möchte, "dass die Menschen nicht mit Angst zu uns kommen, sondern mit Hoffnung." Und: "Ich möchte, dass alle zu uns kommen."

Und sie betonte: Es gehe nicht darum, das "richtige" Konzept zu haben und zu präsentieren. "Die Menschen wollen, brauchen und haben auch ein Recht darauf, mitzureden und gehört zu werden." Gewessler zitierte dann Kogler: "Wir Grünen sind nicht die besseren Menschen."

Die Grünen seien die, die feiern: Jeden Flug, der nicht abhebt; den Kilometer, der nicht auf der Autobahn, sondern mit der Bahn gefahren wird. Anstatt jene zu "shamen" (anzuprangern, Anm.), die sich für einen Flug entscheiden oder auf das Auto angewiesen sind. 

Der "Riese" Kogler

Als nächstes teilte Gewessler gegen die jetzige Regierung, den ehemaligen Koalitionspartner und die FPÖ aus, und richtete dann ein paar Worte "an den Mann da in der ersten Reihe": Werner Kogler. Er sei (anders als die SPÖ, wie sie vorher erklärt hatte) "kein Scheinriese", sondern ein Riese, "egal, aus welchem Winkel man ihn anschaut". 

Sie müsse seine Fußstapfen nicht füllen, denn die Fußstapfen würden bleiben. "Und die neuen werden wir gemeinsam machen", so Gewessler. Standing Ovations, als Kogler auf die Bühne kam und seine Nachfolgerin umarmte. 

"Wenn's ein Blödsinn ist, werden wir dagegenhalten"

Inhaltlich gab Gewessler grobe Linien vor. Zuerst sprach die ehemalige Klimaministerin über die Energiepolitik: Etwa, wie wichtig die Unabhängigkeit von russischem Gas sei, die "Kürzungspolitik" der aktuellen Regierung, was Förderungen von alternativen Energien betrifft, zu diesem Ziel aber im Widerspruch stehe. 

Zur Sicherheitspolitik sagte sie: "Niemand muss sich vor Krieg, Zerstörung und Tod fürchten." Dazu gehöre es, für Frieden und Gerechtigkeit zu kämpfen. 

In der Bildungspolitik müsse man hinhören, was die vorhin erwähnte Lehrerin gesagt hat: dass Bildung nur funktioniert, wenn die Deutschkenntnisse vorhanden sind. 

In der Frauenpolitik sendet Gewessler die Botschaft: "Wir Grünen halten euch den Rücken frei." Einerseits meint sie damit Selbstbestimmung und Gleichberechtigung, aber auch: "Keine Frau soll sich fürchten müssen, wenn sie in der Nacht alleine nach Hause geht."

Klimapolitik müsse "nicht nur für die Wissenschaft funktionieren, sondern auch im Wohnzimmer". Und sie verspricht: "Wir werden bei dem Thema nicht still halten, darauf kann sich die Bundesregierung verlassen." Die Grünen haben sich zwar vorgenommen, eine konstruktive Opposition zu sein, "aber wenn's ein Blödsinn ist, werden wir dagegenhalten". 

Am Schluss betonte sie noch, dass es in der Politik keine "dicke Haut" brauche, im Gegenteil: "Man braucht eine weiche Haut, um spüren zu können."

Sie zeigte sich überzeugt, dass die Grünen es schaffen können, wieder zuzulegen. "Mit jedem Menschen, der erkennt, dass wir Verbündete sind, werden wir stärker." Sie werbe hier und heute nicht nur um Stimmen, sondern um "Mitkämpfer". 

Keine Gegenkandidaten, keine Fragen für Gewessler

Vor der Abstimmung sollte es noch ein Hearing geben, bei dem Gewessler Fragen gestellt werden sollten. Die gab es nicht, stattdessen aber Wortmeldungen von Delegierten, wieso "es die Grünen braucht". Etwa, um bei der ÖVP dagegenzuhalten, sich fürs Klima einzusetzen, "klare Kante gegen Rechts" zu zeigen. 

Die Abstimmung endete dann mit dem Ergebnis von 96,76 Prozent. 247 gültige Stimmen waren abgegeben worden, davon 239 Ja-Stimmen. 

Kogler bekam bei seiner ersten Wahl als Bundessprecher im November 2018 99,02 Prozent

"Grün wird wieder halten"

Im Anschluss daran wurde Werner Kogler nach acht Jahren an der Spitze verabschiedet. Mit einem Video, das Mitarbeiter für ihn gestaltet hatten und mit der Gelegenheit, noch eine Rede halten zu dürfen. "Diesmal kein Wanderzirkus", sagte Kogler, der sonst mit dem Mikro in der Hand auf der Bühne hin- und hergeht, und sich diesmal ans Rednerpult stellte. 

Sollte das ein Versuch gewesen sein, sich selbst einzubremsen, dann schlug er fehl: Kogler holte weit aus - von der Wahlniederlage 2017, als er die Partei übernommen hat, über den Wiederaufbau und die neue Devise der Grünen, "wieder mehr zuzuhören", fand er sich in seiner Rede irgendwann bei Medienkritik, Kritik an sozialen Medien und der Europa- und Friedenspolitik wieder, Stichwort Ukraine. Der Abschied sollte "nicht nur fröhlich und zum Abschluss leicht" sein, so Kogler. 

Zum Abschied gab er seiner Nachfolgerin noch mit, was den Grünen immer als Kompass dienen solle: "Ökologie, Gerechtigkeit, Menschenrechte, vernünftiges Wirtschaften, Demokratie und euroäische Einigung, das kriegst du nur mit den Grünen." Einen Kompass brauche man um "zu wissen, wo man hinrudert". Eine Anspielung auf seinen Spruch zum Parteiwiederaufbau ab 2017: "Rudern statt sudern." 

Ins Publikum rief er am Schluss noch: "Grün wird wieder halten", und wandelte damit das heutige Mottos: "Grün hält" ab. 

Neuer Bundesvorstand

Gewählt wurde Gewessler für eine dreijährige Funktionsperiode. Gekürt wurden auch Helga Krismer, Barbara Neßler, Alma Zadić, Peter Kraus und Stefan Kaineder als weitere Mitglieder des Bundesvorstands sowie Bernhard Seitz als Finanzreferent. Abgeschafft wurde angesichts des Wechsels in die Opposition das Generalsekretariat, bisher mit Olga Voglauer besetzt.

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