Grüne Legende Stoisits: "Mein Grant auf die Grünen war groß"
Vor 15 Monaten, als Türkise und Grüne mitten in den Koalitionsverhandlungen steckten, war die ehemalige Grüne Abgeordnete und Ex-Volksanwältin Terezija Stoisits mehr als skeptisch, ob ÖVP/Grüne wirklich zusammenpassen. Sebastian Kurz sei für sie das „Gegenteil von vertrauenserweckend“, und er vertrete eine „Law-and-Order-Politik mit autoritären Zügen“ – so lautete damals ihr Befund.
Leicht hatten es die Grünen bisher nicht – da sollte Stoisits recht behalten. In den vergangenen 13 Monaten mussten sie viele ideologische Grenzüberschreitungen tolerieren. Doch seit vier Wochen sind die Grünen erwacht und verteidigen ihre grüne DNA wieder vehementer.
KURIER: Frau Stoisits, Einigung auf einen Bundesstaatsanwalt, Einfrieren der Mieten, unabhängige Casino-Behörde, Informationsfreiheit – diesen Erfolgen stehen die Abschiebung von Kindern und die strikte Weigerung der ÖVP, 100 Kinder aus den griechischen Flüchtlingslagern aufzunehmen, gegenüber. Gehen die Grünen in dieser Koalition unter? Oder erwachen sie endlich aus ihrer Lethargie?
Tereszija Stoisits: Ich bin immer davon ausgegangen, dass eine Regierung zwischen Türkis und Grün ganz, ganz schwierig ist. Weil es zwei Parteien mit zwei unterschiedlichen Kulturen sind. Wobei man bei Türkis nicht von einer Partei reden kann. Das ist eigentlich nur mehr Kurz und seine Umgebung. Vor mehr als einem Jahr habe ich gedacht: Wenn die solange sondieren, dann wird auch die Frage geklärt sein, wie man miteinander umgeht.
Das kann in einer Partnerschaft nur auf Augenhöhe passieren. Doch das war ein Irrtum. So ist es eben nicht. Dieser Zustand hat das erste Regierungsjahr sehr stark geprägt. Im konkreten Fall gibt es natürlich auch die Krux der Pandemie. Kaum war der Regierungsplan ausverhandelt, kam die Corona-Krise. Damit war der Plan eigentlich schon wieder zerstört.
Der Zusammenprall der Kulturen hat sich in Menschrechtsfragen am deutlichsten gezeigt. Bleibt das die Sollbruchstelle?
Wer das am allerbesten zum Ausdruck gebracht hat, war ÖVP-Klubobmann August Wöginger. Er hat die Abschiebungen sinngemäß so kommentiert, dass dazu nichts im Regierungsprogramm steht. Muss ich, bitte, in ein Regierungsprogramm niederschreiben, dass Politik in einem humanen Geist passieren soll? Natürlich steht dazu nichts im Regierungsprogramm. In diesem Moment war ich am Tiefpunkt meines Sauerseins auf die Grünen. Da ich habe mich gefragt: Wollen die mir jetzt ernsthaft verkaufen, dass, wenn Österreich 100 Kinder samt ihren Familien aus dem Schlamm holt, die Koalition mitten in der Pandemie-Krise zerbrechen wird? Das war extrem schmerzhaft. Ich habe jeden verstanden, der sich hier aufgeregt hat.
Auf wen hat sich Ihr Zorn fokussiert? Auf Vizekanzler Werner Kogler, dass er hier nicht mehr Kante gegenüber Kurz gezeigt hat? Oder auf Kurz, weil er zu wenig Feingefühl besitzt, was man seinem Koalitionspartner zumuten kann?
Geärgert habe ich mich über die Grünen. Natürlich über Werner Kogler. Denn Kurz kann mich nicht enttäuschen. Er kann mich nur noch mehr zur Empörung bringen. Er hat nie ein Hehl aus seiner Haltung gemacht. Die Grünen haben zu wenig Druck ausgeübt. Aber sie haben daraus gelernt. Endlich haben die Grünen begriffen, dass man als Minister ein gewisses Maß an Eigenverantwortung hat. Und die Grünen haben begriffen, dass man sich gegen die ÖVP auf die Hinterfüße stellen muss. Denn auch wenn die Grünen die kleinere Partei sind: Im Ministerrat herrscht das Einstimmigkeitsprinzip.
Sie waren die erste grüne Volksanwältin. Das erste Zeichen von Widerstand haben die Grünen nun beim Generalstaatsanwalt gezeigt. Hier haben sie die ÖVP-Pläne nicht durchgehen lassen. Hatten Sie die Befürchtung, dass hier wieder ein Umfaller passiert?
Die ÖVP ist jetzt in großer Not und glaubt, Rache nehmen zu müssen. Aber Rache rächt sich. Das ist in der Politik definitiv keine Handlungsanleitung. Ich habe noch nie erlebt, mit welcher Skrupellosigkeit man hier versucht, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zur Räson zu bringen. Die Grünen haben endlich die Grenze erkannt, die nicht überschritten werden darf.
Aber selbst der Vorstand von Transparency International, Georg Krakow sagt, eine Behörde wie die WKStA muss Kritik aushalten ...
Die WKStA muss so viel Kritik aushalten, wie der Bundeskanzler auch Kritik aushält. Aber zwischen Kritik und einem Umbau der Behörde ist ein Unterschied. Das passiert alles nur aus dem Interesse heraus, seine Freunde zu schützen. Aber der Bundeskanzler der Republik hat in erster Linie darauf zu schauen, dass er die Justiz aus dem Gespräch hält und nicht selber ins Gespräch bringt. Das bringt die ÖVP in Not, denn der Unmut über diese Handlungsweise geht weit über die Klientel hinaus, die die Grünen kritisiert haben, weil sie in den vergangenen Monaten zu schwach waren. Das sind zentrale staatspolitische Fragen. Hier stehen sich nun eine Law-and Order-Politik und eine Partei, die für eine offene Gesellschaft steht, gegenüber.
Die Grünen flogen 2017 völlig überraschend aus dem Parlament. Im Vorjahr gab es einen Wahlerfolg bei der Wien-Wahl, trotzdem flog man aus der Stadtregierung. Lassen diese beiden Traumata die Grünen oft einknicken?
Ganz sicher. Die Grünen hatten mit der SPÖ in Wien einen guten Weg beschritten. Ich hätte auch nicht gedacht, dass das nicht fortgesetzt wird. Aber es hat gezeigt, dass Michael Ludwig ein Machiavellist pur ist. Das hat er den Grünen auch auf Regierungsebene gezeigt. Nämlich, dass vieles kommen kann, was nicht erwartbar ist.
Rudi Anschober war im Herbst in den Umfragen beliebter als Sebastian Kurz. Nun kann dem Gesundheitsminister eigentlich schon niemand mehr zuhören. Ist sein Stern schnell verglüht?
Viel anders als Anschober agiert Sebastian Kurz auch nicht. Er hat diese Woche den Grünen Pass angekündigt. Aber dann muss man auch imstande sein, genügend Impfstoff ins Land zu bringen. Das ist jetzt nicht gerade ein Thema, wo sich die Regierung ausgezeichnet hat. Aber zurück zu Anschober: Die Frage ist, wie hell hätte sein Stern geglüht, wenn es keine Pandemie gegeben hätte? Anschober hat in den ersten Monaten die Rolle übernommen, Vertrauen zu erwecken. Das hat er gut gemacht. Was jetzt passiert ist, ist kein Verglühen, sondern er begibt sich wieder in die normale Helligkeit zurück. Man kann 1.000 Watt haben, aber es reichen auch 100 Watt, um zu sehen. Ich bewundere ihn, wenn man weiß, wie kompliziert der Föderalismus in Österreich funktioniert. Und Anschober muss sich für viele Entwicklungen rechtfertigen, auf die er selbst keinen Einfluss hat.
Jetzt gibt es noch vier Jahre Legislaturperiode. Was raten Sie Ihren Freunden, dass sie sich nicht weiter unterbuttern lassen?
Die Grünen haben nur zu gewinnen. Man muss selbstbewusst sein, man muss fordern und man muss Nein sagen. Denn ich habe eine Sorge: Die Grünen in Deutschland waren auch einmal in Regierungsverantwortung. Das ist schon sehr lange her. Joschka Fischer war damals als Außenminister der Star der Grünen. SPD-Bundeskanzler war Gerhard Schröder. Bei den Wahlen hat Schröder katastrophal verloren. Die Grünen haben ihr Wahlergebnis halten können, waren nicht mehr in der Koalition, weil Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde. Die Grünen brauchten vier Jahre, um sich von diesem Schock zu erholen. Was heißt das? Umsetzen muss ich dann, wenn ich in der Regierung bin. Wir wissen nicht, was in drei oder vier Jahren ist. Deswegen rate ich: Selbstbewusst auftreten und machen. Auch in der Frage der Moria-Flüchtlinge. Die Grünen stehen zum Koalitionspakt, dass keine Asyl-Gesetze von der Vorgängerregierung zurückgenommen werden. Aber hier geht es darum, ein Zeichen der Menschlichkeit zu setzen. Ganz Österreich hätte applaudiert. Die österreichische Bevölkerung ist oft weiter entwickelt, als es die Politik ist. Sie ist aufgeschlossen, hilfsbereit und hat ein Gespür dafür, was sich mit unserem Wertekanon verträgt. Deswegen war mein Grant auf die Grünen groß, weil man behauptet hat, davon hängt die Koalition ab.
Haben Sie sich wieder mit den Grünen versöhnt?
Ja, ich habe mich versöhnt. Weil ich ewige Optimistin bin. Die Grünen sind in die Regierung gegangen, um etwas Neues zu schaffen. Dass das hart und steinig ist, war klar. Aber man hat sich darauf eingelassen, deswegen muss man jetzt vehement sein und immer sachlich bleiben. Und es wurde schon viel geschafft wie das Hass-im-Netz-Gesetz, der Start des 1-2-3-Tickets oder das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz.
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