Gewerkschaftschefin Teiber: "Eingriffe in den Markt funktionieren"

KURIER: Frau Teiber, Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer hat im KURIER erklärt, der Staat sei zu „fett“, die Staatsquote zu hoch. Sehen Sie das als Arbeitnehmervertreterin ähnlich?
Barbara Teiber: Ich habe mir das Interview sehr aufmerksam durchgelesen, und es lässt mich über weite Strecken ratlos zurück. Präsident Mahrer spricht von diversen „Kontrolleuren“, die er einsparen möchte. Ich frage mich: Wer ist damit gemeint? Sind es die Kontrolleure in der U-Bahn, die sicherstellen, dass Fahrgäste ein gültiges Ticket haben? Sind es die Mitarbeiter der Finanzpolizei, die für Steuergerechtigkeit bei den Unternehmen sorgen? Oder sind es die Arbeitsinspektoren, deren Arbeit dafür sorgt, dass die Zahl der Unfallopfer in den vergangenen Jahrzehnten gesunken ist? Wir sind ja alle dafür, dass der Staat effizienter wird. Aber mit unkonkreten Überschriften kommen wir nicht weiter.
Apropos Weiterkommen: Am Arbeitsmarkt geht nicht nur nichts weiter, die Lage wird zunehmend prekär. AMS-Chef Kopf spricht von der längsten Konjunkturkrise der Zweiten Republik. Was ist zu tun?
Die Lage am Arbeitsmarkt ist tatsächlich besorgniserregend, die Arbeitslosigkeit steigt seit 30 Monaten – und das in allen Bundesländern und fast allen Branchen. Als die Koalition verhandelt worden ist, war die Lage längst nicht so dramatisch. Und deshalb bin überzeugt, dass wir heute umdenken müssen.
Inwiefern umdenken?
Mir fehlt jedes Verständnis dafür, dass wir etwa über die Rot-weiß-rot-Karte die Kontingente für Arbeitnehmer aus dem Ausland erhöhen. Auf der Liste der Mangelberufe sind Verkäuferinnen in Parfümerien oder beispielsweise auch Maschinenschlosser. Doch anstatt andere Arbeitskräfte wie Schweißer hoch- bzw. umzuschulen werden Arbeitskräfte aus dem Ausland geholt. So wird die Arbeitslosigkeit im Inland nicht sinken. Und vor allem jungen Menschen gegenüber ist das unfair.
Von Arbeitgebern hört man vielfach, sie würden händeringend Personal suchen, aber die jüngeren Arbeitnehmer seien – Stichwort „Work-Life-Balance“ – extrem wählerisch bei ihrem Job-Einstieg.
Der ein oder andere wird so denken, das streite ich gar nicht ab. Aber die große Mehrheit der jungen Menschen will sich einbringen, sie will etwas leisten. Und diese Jungen haben sich eine faire Chance verdient. Für Unternehmen ist es kurzfristig sehr bequem und billig geworden, Arbeitskräfte aus dem Ausland zu holen, anstatt sie auszubilden. Aber wenn ich als Unternehmen niemanden mehr ausbilde, darf ich mich nicht wundern, wenn ich später keine Fachkräfte finde. Zumindest nicht in Österreich.
Und was ist in Branchen, die nachweislich niemanden finden, der für sie arbeitet oder ausgebildet werden will?
Ausgewiesene Schlüsselkräfte können und sollen ja weiter geholt werden. Aber sie müssen anständige Gehälter bekommen, um Lohndumping zu vermeiden. In den vergangenen ein, zwei Jahren haben sich Teile der Wirtschaft allerdings daran gewöhnt, dass man einfach billige Arbeitskräfte aus dem Ausland holen kann.
Die Gewerkschaften fordern vielfach, man müsse in Markt und Preise eingreifen, um die Inflation zu bekämpfen. Kann das funktionieren?
Es kann nicht nur, nein, es funktioniert, wie man in anderen europäischen Ländern wie der Schweiz sieht. In Österreich wurden die Symptome der Inflation mit Einmalzahlungen bekämpft. Jetzt muss etwas bei der Energie, beim Wohnen und den Lebensmitteln passieren.
Was konkret?
Bei den Lebensmittel bleiben wir dabei, dass eine professionelle Preiskommission überprüfen soll, ob entlang der Wertschöpfungskette unverhältnismäßig hohe Gewinne gemacht werden. Handel und Produzenten streiten ja, wer von beiden Schuld an den hohen Preisen hat. Übrig bleiben die Konsumenten. Wir wissen aus den Erfahrungen der Energiekrise, dass es Unternehmen gibt, die ihre Preise ohne Not exorbitant in die Höhe getrieben haben, und sich später auf die hohen Energiekosten ausgeredet haben – auch wenn es nachweislich nicht gestimmt hat. Beim Wohnen sehen wir, dass diejenigen, die nicht das Glück haben, etwas zu erben, de facto kaum noch Eigentum kaufen können. Wir müssen dringend mehr Angebot im Mietbereich schaffen und eine Zweckwidmung der Wohnbauförderung quer durch alle Bundesländer erreichen.
Zur Gesundheitspolitik: SPÖ-Staatssekretärin Königsberger-Ludwig hat jüngst gesagt, ohne Vermögens- und Eigentumssteuern sei keine große Reform finanzierbar. Stimmen Sie zu?
Absolut. Der medizinische Fortschritt der letzten Jahre hat zu höheren Kosten geführt. Und das gesunde Älterwerden kann ich nur finanzieren, wenn es mehr Geld fürs Gesundheitssystem gibt. Und das geht nur über neue Finanzierungsquellen, weil die Lohnnebenkosten ja nicht steigen sollen. Die Menschen verstehen ganz gut, dass wir jetzt sparen müssen. Sie haben aber nicht das Gefühl, dass alle entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zum Sparkurs beitragen. Die viel zitierten breiteren Schultern tragen nicht so viel, wie sie könnten.
Dass Vermögendere eine größere Last tragen sollen, das entspricht ganz den Forderungen von SPÖ-Chef Andreas Babler. Wie geht’s Ihnen mit der Performance ihrer Partei?Wie erklären Sie sich die stagnierenden Werte?
Ich bin ganz ehrlich: Wir konnten als SPÖ einige Wahlversprechen wie nicht umsetzen. Und das beeinflusst, wie wir jetzt wahrgenommen werden. Massives Sparen, wie wir es jetzt aufgrund der Misswirtschaft der schwarz-grünen Bundesregierung machen müssen, ist nie sexy oder populär. Umso beeindruckender finde ich die hohen Beliebtheitswerte von Finanzminister Markus Marterbauer– seine Kompetenz kommt an. Das ändert aber nichts an der Einschätzung vieler Sympathisanten, dass nicht alle in diesem Land entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zur Sanierung des Budgets beitragen. Insofern plädiere ich dafür, über Vermögens- und Erbschaftssteuern noch einmal nachzudenken.
Auch wenn’s nicht im Koalitionsprogramm steht?
Ich stehe zu diesem Koalitionsprogramm. Man muss aber auch sehen, dass sich Dinge über die Zeit entwickeln. Wir haben während der Koalitionsgespräche nicht gewusst, wie schlimm die budgetäre Lage ist – und dennoch hat die Regierung darauf regiert. In der Politik muss die Lage immer neu beurteilt und bewertet werden. Und wenn – wie Umfragen ergeben – die Mehrheit der Österreicher der Meinung ist, wir sollten Vermögens- oder Erbschaftssteuern einführen, dann muss man über solche Themen zumindest nachdenken und reden.
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