Glawischnig: "Spindelegger ist Betonierer"

Eva Glawischnig
Die Grünen wollen Modellregionen für gemeinsame Schulen erleichtern und sehen "Bewegung in der ÖVP".

In der ÖVP ist Bewegung im Gange", bewertete Eva Glawischnig bei einer Pressekonferenz am Montag zum Thema Gesamtschule. "Und es lässt sich nicht leugnen, dass diese aus den Ländern kommt, wo es Grüne Regierungsbeteiligungen gibt", verwies sie auf Salzburg, Tirol und Vorarlberg. Allerdings sei es "bedauerlich, dass sich Bundesparteichef Michael Spindelegger zum Betonierer gemacht und jetzt die Rolle von (Beamtengewerkschafts-Chef Fritz, Anm.) Neugebauer übernommen hat".

Die Grünen wollen nun die Einrichtung von Modellregionen erleichtern. Demnach sollen "größere Regionen oder ganze Bundesländer" als Modellregionen geführt werden können, heißt es in einem Entschließungsantrag, für den sich die Grünen-Chefin und Bildungssprecher Harald Walser die Unterstützung anderer Parteien erhoffen.

Kritik an SPÖ

Kritik übte sie auch an der SPÖ: Diese nutze die Bewegung in der ÖVP nicht und vermeide es, die geöffneten Türen weiter aufzustoßen. Gerade jetzt gebe es die historische Chance für eine Weichenstellung im Bildungssystem.

Für Walser wäre die Einrichtung von Modellregionen nicht unbedingt nötig. "Es gibt genug Modellregionen auf der Welt. Wir könnten uns in einen Bus setzen und nach Südtirol fahren oder nach Polen, gar nicht zur reden von den skandinavischen Ländern." Trotzdem befürworte man natürlich die Schaffung von solchen Versuchen.

Für den Entschließungsantrag habe er die Forderungen der Oppositionsparteien im Vorarlberger Landtag zur Errichtung einer Modellregion Vorarlberg übernommen und so formuliert, dass er für alle Bundesländer gilt, so Walser. Es müsse auch nicht ein ganzes Bundesland Modellregion werden, er reiche auch ein großes Gebiet in einem Bundesland.

Landesschulrat soll entscheiden

Über die Einrichtung einer Modellregion soll nicht an den einzelnen Schulstandorten entschieden werden. Das wäre "politische Feigheit", so Walser. Man könne nicht erwarten, dass die dafür nötigen "absurden Mehrheiten" zustande kämen. Den besten Vorschlag dazu habe die Tiroler Bildungs-Landesrätin Beate Palfrader (ÖVP) gemacht, die den Landesschulrat oder ein vergleichbares Gremium als Entscheidungsinstanz ins Spiel gebracht habe.

Auf Unterstützung für den Antrag hofft Walser auf VP-Abgeordnete aus Vorarlberg, Salzburg, der Steiermark, Tirol und Wien. Die Vorarlberger FP-Mandatare hätten bereits ein Ja signalisiert. Allerdings zeichne sich in der Ländle-VP bereits ein "Rückzugsgefecht" ab - und auch der Ex-SP-Bildungssprecher Elmar Mayer habe seine ursprüngliche Zusage wieder relativiert.

Jahrzehntelang war die ÖVP die Hüterin des Gymnasiums. Die Gesamtschule wurde verächtlich als „Eintopfschule“ tituliert. Doch die Mauer der Ablehnung bekommt immer mehr Risse. ÖVP-Politiker aus dem Süden und Westen fordern „Schluss mit der Denkblockade“ und wollen in Modell-Regionen die Gesamtschule einführen. Doch was versteht man darunter überhaupt? Welche Voraussetzungen sind nötig, damit diese Schulform funktioniert? Experten beantworten die wichtigsten Fragen.

Was versteht man unter einer Gesamtschule?

Besuchen alle Kinder zwischen 6 und 14 Jahren den selben Schultyp, spricht man von einem Gesamtschulsystem. Das Gymnasium gibt es nur in der Oberstufe. Finnland, Großbritannien oder Frankreich haben z. B. eine Gesamtschule. Welches System ein Land hat, hat laut Bildungsforscher Stefan Hopmann historische Gründe: „Länder, die die Schulpflicht früh eingeführt haben, haben ein differenziertes System. In Österreich wollte Maria Theresia verschiedene Schulen für die einzelnen Stände.“

Ist die Neue Mittelschule eine Gesamtschule? Gibt es Unterschiede zur Hauptschule?

So lange es das Gymnasium in der Langform gibt, hat Österreich ein differenziertes Schulsystem. Dennoch ist die Hauptschule nicht mit der NMS ident: In der Mittelschule unterrichten Hauptschul- sowie AHS-Lehrer gemeinsam und stehen in den Hauptfächern zu zweit in der Klasse. Das Problem: Für die NMS finden sich häufig nicht ausreichend AHS-Lehrer. Leistungsgruppen gibt es in den NMS nicht mehr, denn Schüler unterschiedlicher Begabung sitzen in einer Klasse. Durch differenzierten Unterricht soll gewährleistet werden, dass jedes Kind nach seiner Begabung gefördert wird.

Was bedeutet der Begriff Team-Teaching? Was heißt Binnendifferenzierung?

„Team-Teaching bedeutet nicht, dass zwei Lehrer in einer Klasse stehen“, sagt Bildungsforscher Hopmann. „Es heißt vielmehr, dass ein Lehrerteam für eine Klasse bzw. Schulstufe verantwortlich ist. Es entscheidet, wie der Unterricht organisiert wird und wie die Ressourcen verteilt werden“. Im Alltag heißt das: Schüler lernen teilweise in Kleingruppen, was personalintensiv ist, danach gibt es Frontalunterricht in großen Gruppen. „Das Lernen wird effizienter und man kann mehr auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen eingehen, also binnendifferenzieren.“

Welche Voraussetzungen braucht es, damit eine Gesamtschule funktioniert?

Ohne Binnendifferenzierung funktioniert die Gesamtschule also nicht. Dazu ist es aber notwendig, die Schulen in die Autonomie zu entlassen. Darauf weist Heidi Schrodt, ehemalige AHS-Direktorin und Gesamtschulbefürworterin hin: „Wenn man die gemeinsame Schule einführt, und sie nicht mit neuen Inhalten füllt, ändert sich gar nichts“, prophezeit sie. Was muss also passieren? „Vor Ort müssen die Lehrer über die Unterrichtsform und -einteilung entscheiden können. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man die Lehrerausbildung massiv verbessert.“ Weiters: Eine gute gemeinsame Schule könne nur eine Ganztagsschule sein, ist Schrodt überzeugt. „Zudem muss es für Schüler aus sozial benachteiligten und bildungsfernen Familien mehr Ressourcen geben, damit man auf ihre Defizite gezielter eingehen kann.“

Was ist eine Modell­region?

In einer Region gibt es ausschließlich die Gemeinsame Schule, das Gymnasium gibt es dort nur noch in der Oberstufe. Politisch diskutiert wird derzeit, Bundesländer wie Salzburg, Tirol oder die Steiermark zu solchen Regionen zu machen. Ähnliche Versuche gab es z. B. im deutschen Bezirk Wetzlar. Bildungsforscher und Gesamtschulbefürworter Helmut Fend hat das Projekt wissenschaftlich begleitet. Er schreibt am Ende: „Selten hat mich das Ergebnis meiner Forschungen so überrascht und enttäuscht wie diesmal: Die Gesamtschule schafft nicht mehr Bildungsgerechtigkeit als die Schulen des gegliederten Systems.“

Heißt Gesamtschule, dass dann jede Schule das gleiche Leistungsniveau hat?

„Nein“, sagt Heidi Schrodt. „Es darf durchaus Unterschiede zwischen den Standorten geben.“ Wichtig ist sei nicht, dass alle das gleiche Leistungsniveau erreichen, sondern dass gewährleistet ist, dass „alle einen Mindeststandard erreichen. Wie dieser aussieht, müsste das Ministerium definieren.“ Natürlich brauche es eine Form der Qualitätssicherung: „Die muss über eine funktionierende Kontrolle der Schulbehörden gesichert werden.“ Dass in Ländern wie Dänemark oder Finnland die Unterschiede von Standort zu Standort enorm sein können, weiß Stefan Hopmann: „In Finnland haben Schulen Schwerpunkte wie Musik, bilingualer Unterricht etc. Die Schüler müssen eine Aufnahmeprüfung machen, was zur sozialen Trennung führt. Denn welches Kind spielt schon ein Instrument?“

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