Gewalt und Radikalisierung von Jungen: Fehlende Väter und Wut

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Gewalt und Radikalisierung bei Jugendlichen. Was können Eltern und alle, denen Kinder am Herzen liegen, dagegen tun?

Unbändige Wut packt einen, und man weiß nicht mehr, was man in seiner Rage tun soll. Da ist es nur noch ein Minischritt hin zu Gewalt. Wer das nicht kennt, der ist nicht ehrlich – oder hat gelernt, wie er so eine Situation meistern kann, ohne jemand anderem wehzutun oder die Gewalt gegen sich selbst zu richten. „Entscheidend ist, ob ich andere Lösungen als Gewalt kenne und parat habe, weil ich es in meiner Familie vorgelebt bekommen habe“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Natascha Bousa. „Gerade Jugendlichen, die gewalttätig werden oder sich radikalisieren, fehlen solche Konfliktlösungsmodelle. Und das liegt – vor allem bei Burschen – an fehlenden Vätern.“ Den Jugendlichen fehlten Eltern, die ihnen vorleben, wie man gemeinsam einen Konflikt löst, ohne gewalttätig zu werden. „Das ist ein Problem aller sozialen Schichten“, betont Bousa, „sei es, weil die Eltern getrennt leben; sei es, weil die Väter berufsbedingt kaum anwesend sind; oder auch, weil Mütter den Kontakt zum Vater nicht zulassen.“

Dann mangelt es dem Nachwuchs an einer „Handlungsidee“, wie es Bousa nennt – und an die Stelle der realen männlichen Vorbilder rücken starke Männer oder Superhelden aus Film und Fernsehen. „Ein realitätsnahes Bild von Männlichkeit hat man damit aber nicht.“

Denn sie wissen nicht, was sie tun

Dazu gesellen sich nur zu gern Computerspiele, bei denen es nur darum geht, möglichst alles und jeden abzuschießen. „Die vermitteln die Illusion, dass man jedes Problem einfach abschießen kann“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin und appelliert an die Erwachsenen, gut hinzusehen, was der Nachwuchs treibt. „Ich erlebe so viele Eltern, die gar nicht wissen, was ihre Kinder, Jugendlichen den ganzen Tag machen, was sie umtreibt, mit wem sie unterwegs sind oder welche Computerspiele sie spielen. Oder welche Bilder von Gewalt oder Pornos die Kinder auf ihrem Handy oder Tablet sehen“, warnt Bousa.

Die 37-Jährige war schon mit sehr viel Leid, Angst und Verzweiflung in ihrem Berufsleben konfrontiert. Sie hat mit Hochrisiko-Familien und Kindesabnahmen ebenso Erfahrung wie mit straffälligen Jugendlichen oder Teenagern, die in einer sozialen Einrichtung leben. Zudem ist sie Leiterin eines Lehrgangs für Gewalt- und Radikalisierungsprävention (siehe unten) . Bousa glaubt nicht, dass mehr Jugendliche gewalttätig sind als früher, nur spreche man heute darüber.

Sie erzählt von überforderten Frauen und deren Angst um ihre Kinder, die sich an keine Regeln der Gesellschaft halten. Frauen, die sich alleingelassen fühlen von ihren Männern, die, warum auch immer, nicht da sind.

Sie erzählt von Vätern, die Frau und Kinder geschlagen haben und nun viele Monate lang ihre Kinder nicht sehen dürfen – und die weinend zusammenbrechen und beteuern, sie hätten es nicht gewollt, es sei „passiert“.

Sie erzählt von Burschen, die gemobbt wurden und dann zu Schlägern wurden; von Burschen, die keine Lehrstelle finden und keine Zukunft sehen und ausrasten; von Burschen, die in ihrem Hass auf die Gesellschaft in die Fänge von Links- oder Rechtsextremisten oder Islamisten geraten.

Sie erzählt von Mädchen, die ihre Wut, ihre Aggressionen gegen sich selbst richten und sich ritzen oder gar Selbstmordversuche unternehmen. Sie erzählt von Mädchen aus instabilen Verhältnissen, die sich „zum Fetzen“ verabreden und sich verprügeln.

Ihre Erfahrungen aus all dem? „Das Wichtigste sind stabile Bezugspersonen, die verlässlich sind und die den Kindern und Jugendlichen bei allen Erfahrungen zur Seite stehen, die sich für die Kids interessieren und offen sind – auch wenn die gerade in der Pubertät eher verschlossen sind“, sagt die Expertin. Der Wert eines Tagesrhythmus und von Ritualen wie gemeinsamen Mahlzeiten sei ebenso wie Sport zum Abbau von Aggressionen nicht zu unterschätzen. Halt geben ist die oberste Prämisse, samt Grenzen, die sinnvoll und begründet sind. „Zu viel Laissez-faire – auch durch Polizei oder Justiz – hilft den Jugendlichen nicht. Sie müssen die staatlich, juristisch und gesellschaftlich festgelegten Grenzen vermittelt bekommen und akzeptieren.“

Von der Weisheit des Alters profitieren

Hilfreich wären auch Großeltern oder andere Vertrauenspersonen, die, so vorhanden, die Eltern entlasten und dem Nachwuchs andere Wege zeigen könnten. Dadurch erleben die Kinder, dass es stets mehrere Möglichkeiten im Leben gibt. Eine Erkenntnis, die bei unüberwindbar scheinenden Hindernissen in der Schule, der Lehre, im Freundeskreis oder in der Liebe die Verzweiflung lindern könnte.

Besonders sensibel sind laut Bousa alle „biografischen Daten“, also alle Umbrüche im Leben eines jungen Menschen – von der Eingewöhnung im Kindergarten über den Wechsel in die Volksschule, später in die Mittelschule bis hin zur Berufswahl und -ausbildung. Aber auch die Geburt von Geschwisterkindern, Scheidungen, Krankheit und Todesfälle sind solche Umbrüche, in denen die Kinder besonders viel Halt und Verständnis brauchen. Gerade dann, wenn Kinder Erwachsene am aggressivsten abwehren und Eltern schmerzvoll an ihre Grenzen bringen, dann brauchen die Kids sie am meisten. Jemanden, der sich für sie, ihre Sorgen und Träume interessiert, ihnen hilft und zur Seite steht in guten wie in schlechten Tagen.

Natascha Bousa leitet den Lehrgang des Instituts für Gewaltprävention und Konfliktmanagement in Familien, einem Partner des Kuratorium Sicheres Österreich (KSÖ). Er richtet sich an alle, die sich dafür interessieren (Infos: www.ifgk.at). Start am 21. 9. in Wien (Sechs Wochen end-Blöcke jeweils Freitag 12–18h und Samstag 9–13h), Kosten: 900 Euro plus MwSt.

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