Flüchtlinge: Nehammer stellt sich gegen Papst-Appell

Flüchtlinge: Nehammer stellt sich gegen Papst-Appell
Die Bischofskonferenz schloss sich einem Appell von Papst Franziskus zur Aufnahme von Geflüchteten an. Der Kanzler lehnt ab.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) lehnt nach einem entsprechenden Appell von Papst Franziskus die zusätzliche Aufnahme von Flüchtlingen ab. "Wir haben hunderte Familien schon dieses Jahr aufgenommen", sagte Nehammer im APA-Interview mit Blick auf die Bitte von Österreichs Bischofskonferenz, zu Weihnachten 100 Flüchtlingsfamilien ins Land zu lassen.

In der EU-Politik will er mit "Augenmaß" agieren, Israels Fahne würde auch er auf dem Bundeskanzleramt hissen.

Keine böse Absicht

"Wenn wir schon mit 34.000 Asylanträgen belastet sind, wen soll ich dann noch aufnehmen als Österreich, wenn ich weiß, dass (...) mittlerweile fast 24 Mitgliedsländer dann zum Teil weniger belastet sind als Österreich", sagte der frühere Innenminister mit Blick auf die Asylzahlen 2021. "Das ist ja keine Frage der bösen Absicht, sondern auch der Machbarkeit", warb Nehammer um Verständnis für seine Position.

So seien heuer mehr als 1.500 unbegleitete Jugendliche nach Österreich gekommen, die man "umsorgen" und "besonders betreuen" müsse, argumentierte der ÖVP-Politiker. Die Caritas könne in der Betriebsküche ihres Wiener Hotels gerade einmal 15 Flüchtlinge im Jahr ausbilden, sagte er in Richtung der katholischen Kirche. Papst Franziskus hatte am 23. Dezember die Ortskirchen in aller Welt zur Aufnahme von Flüchtlingen aufgerufen und die jeweiligen Regierungen gebeten, dies zu ermöglichen.

Nehammer betonte, dass Österreich "unglaublich viel" zum Schutz von Menschen leiste. "Da braucht sich keine Österreicherin, kein Österreicher, kein Mensch, der in Österreich lebt, davor zu verstecken oder zu schämen. Denn wir sind die, die wirklich leisten. Wir reden nicht darüber, wir tun." Statt "immer den Scheinwerfer nach Österreich zu richten und zu sagen: Warum macht ihr nicht mehr?", sollten jene 24 EU-Staaten stärker in die Pflicht genommen werden, "die weniger leisten".

Deshalb habe Österreich auch "ein ganz klares Recht darauf, dass es auch da seine Positionen innerhalb der Europäischen Union klar vertritt", sagte der Kanzler in Anspielung auf die von anderen EU-Staaten immer wieder geäußerte Kritik am klaren österreichischen Nein zu einem System der Flüchtlingsverteilung. Es sei diesbezüglich noch "vieles an Aufklärungsarbeit" nötig, weil viele EU-Staaten "gar nicht sehen oder erkennen, wie sehr Österreich belastet ist". In EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe Österreich aber "eine sehr interessierte Verbündete an seiner Seite", lobte Nehammer die Vorschläge der Brüsseler Behörde für einen neuen Pakt für Migration und Asyl, insbesondere was Rückführungen und schnellere Asylverfahren betrifft.

Europapolitik

Nehammer unterstrich im Interview seine pro-europäische Gesinnung und begründete sie auch mit den Kriegserfahrungen seines Großvaters, der "alle Isonzo-Schlachten im Ersten Weltkrieg überlebt" habe. "Wir haben erlebt, wie zerstritten Europa war und wie viele Millionen Menschen das das Leben gekostet hat." Auch wenn das heute "nur die Allerwenigsten hören" wollen, sei das Friedensprojekt Europa "unendlich in seiner Größe einzuschätzen", betonte der frühere Berufssoldat.

Auf die Frage, ob er auf dem europäischen Parkett eher so zurückhaltend wie Werner Faymann (SPÖ) oder so forsch wie Sebastian Kurz (ÖVP) auftreten werde, verwies Nehammer zunächst auf die Vorstöße des Ex-ÖVP-Chefs in der Migrationsfrage. Als Kurz diese auf EU-Ebene stark thematisiert habe, sei er "noch eher isoliert" gewesen, doch mittlerweile habe Österreich "ganz viele EU-Mitgliedsstaaten als Verbündete". "Es zahlt sich aus, in Europa Standpunkte klar anzusprechen und auszusprechen", so Nehammer. Wichtig sei aber, "dass man nie das Maß aus dem Auge verliert", fügte er hinzu.

Als konkretes Beispiel nannte Nehammer die Befindlichkeiten der österreichischen Nachbarländer in Sachen Atomenergie, die es "als massive Einmischung in ihre eigene Form der Energiepolitik erleben, wenn plötzlich Österreich, noch dazu mit unserer Geschichte innerhalb der Monarchie, groß international auftritt und sagt: 'Aber ihr dürft nicht Atomstrom haben'." Da müsse man "die richtigen Worte finden, da muss man klar sein, aber auch das richtige Verständnis zeigen, dass andere Länder auch andere nationale Interessen haben".

Auf die Frage, ob er europäischen Interessen mitunter auch den Vorzug vor nationalen geben werde, sagte Nehammer, dass es "immer ein Abwägen" brauche. Als Nettozahler und durch seine Wirtschaftsleistung sorge Österreich für die Stabilität der Europäischen Union und habe auch viel Sensibilität für seine Nachbarn. Umgekehrt sei es für Österreich "ein echter strategischer Vorteil", durch die Europäische Union als kleines Land "eine große Stimme zu haben in der Welt". "Wir haben ganz, ganz viel der Europäischen Union anzubieten. Wir nutzen auch ganz, ganz viel von dem, was uns die Europäische Union anbietet."

Lobend äußerte sich Nehammer über den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dessen Land am 1. Jänner für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. "Wir sehen, dass Macron sehr leidenschaftlich Politik führt, ein klarer Befürworter der Union ist", sagte der konservative Politiker. Befragt zu den möglichen Folgen für die EU, solle Macron die Präsidentenwahl im April gegen einen der rechtspopulistischen Bewerber verlieren, meinte Nehammer, er sei zuversichtlich, dass solche Wahlergebnisse nicht zu einer Destabilisierung der Union führen werden. Die EU habe nämlich "schon eine gewisse Standhaftigkeit und Gravitas" erreicht.

Russland-Konflikt

Im Konflikt zwischen Russland und dem Westen bot der Kanzler die guten Dienste Österreichs an. "Wir stehen als Brückenbauer zur Verfügung und dort wo es nützlich ist, sind wir gerne bereit, das zu tun." Er sei froh, dass US-Präsident Joe Biden und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin miteinander gesprochen und auch die NATO den gemeinsamen Rat mit Russland wieder einberufen wolle.

Auf eine diplomatische Lösung setzt Nehammer auch im Atomkonflikt mit dem Iran. Die Wiener Verhandlungen darüber hätten derzeit "oberste Priorität" und sollten "zu einem guten Ende finden". Doch sei es auch "klares Ziel" der österreichischen Innen- und Außenpolitik, "die Unversehrtheit Israels nach bestem Wissen und Gewissen zu unterstützen", sagte er auf eine Frage nach der österreichischen Positionierung zu einem möglichen Militärschlag Israels gegen iranische Atomanlagen. "Es ist aus meiner Sicht unerlässlich, dass wir immer auf der Seite Israels stehen und unsere klare Solidarität mit Israel bekunden, und eines kann ich Ihnen garantieren: Sollte die Hisbollah, eine Terrororganisation, oder die Hamas, auch eine Terrororganisation, wieder Raketen auf israelische Zivilisten abfeuern, dann werden wir auch da wieder die Israel-Flagge hissen", stellte sich Nehammer diesbezüglich voll hinter die von seinen Vorgängern Sebastian Kurz und Alexander Schallenberg (beide ÖVP) während des Gaza-Kriegs im Mai getroffene Entscheidung.

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