Flüchtlinge: Mit Info-Zentren vor Ort Migranten abhalten

Michael Spindelegger leitet das internationale Zentrum für Migrationspolitik in Wien
Interview: Michael Spindelegger will, dass potenziellen Flüchtlingen die Realität vermittelt wird, die sie erwartet.

Seit Wochen wird vor der „neuen Balkanroute“ gewarnt, die Schließung der Grenzen ventiliert – jetzt von Bayern. Gibt es die Route überhaupt?

Die Zahlen steigen an, wenn auch weit von 2015 entfernt. Wenn auf Tagesbasis 150 Flüchtlinge nach Bosnien kommen, verstehe ich die Sorge. Angebot und Nachfrage sind da: Die Nachfrage ist, nach Europa und in ein Asylverfahren zu kommen; das Angebot kommt von den Schleppern – zwischen 3000 und 10.000 Dollar kostet es, aus dem Nahen Osten nach Österreich zu kommen.

Also Grenzen dicht machen?

Wir hatten 2017 in Europa 700.000 Asylanträge. Das ist nicht wenig. 120.000 kamen übers Mittelmeer, ein paar Zig-Tausend über die Balkanroute – beim Rest wissen wir nicht, woher. Die Bevölkerungsentwicklung in Afrika, die Lage in Afghanistan: Wir brauchen nicht glauben, dass sich das ändern wird. Es ist schwer, eine Grenze total dicht zu machen.

Was also dann?

Man kann Migrationsströme nicht stoppen, sondern nur managen, dass sie in richtige Bahnen fließen.

Also keine Asylanträge mehr in Europa?

Das ist vielleicht einer der Wege. Was wir suchen müssen , ist eine Partnerschaft mit den Flüchtlingsländern oder denen an der Route. Weil auch die Rückkehr in diese Länder wichtig ist, haben wir entwickelt, wie man die Rückkehr der Flüchtlinge intelligenter und effizienter aufbauen kann.

Und zwar wie?

Indem man das gemeinsam mit Firmen tut, wir nennen das „reverse migration“. Einen Pilotversuch machen wir in Nigeria. Wir schauen, welche heimische Unternehmer dort investieren. Die bringen wir mit den hier abgewiesenen Flüchtlingen zusammen. Und die Unternehmer suchen sich aus, ob sie jemanden brauchen können, bilden ihn kurz aus, und der geht freiwillig zurück, mit einem Arbeitsplatz.

Sind das nicht Peanuts im Vergleich zur Gesamtzahl.

Ja, aber das entwickelt eine ganz andere Art der Partnerschaft. Plötzlich werden Flüchtlinge zurückgenommen, die staatlichen Stellen Nigerias kommen nach Österreich, um Unternehmen zu präsentieren, wo das Land attraktiv ist. Das alles sorgt für ein entkrampfteres Verhältnis. Man muss den Ländern vermitteln, dass sie etwas haben davon. Und man muss über die Situation in Europa informieren.

Das hält Flüchtlinge ab?

Informationen, die wir als europäische Zielländer geben, werden als nicht glaubhaft abgetan. Deshalb entwickeln wir gerade Informationszentren vor Ort, die zwar von der EU finanziert werden, die aber von Locals betrieben werden und potenziellen Auswanderern ein realistisches Bild zeichnen, was sie in Europa erwartet. In Afghanistan werden wir jetzt ab Juli mit vier solchen Informationszentren beginnen, in Pakistan sind es bereits zwei. Zentren im Irak, Iran, Bangladesch sollen folgen.

Damit erreicht man den fluchtwilligen Afghanen?

Es gibt ein großes Interesse bei den Betroffenen, sich Information zu holen, bevor man alles Geld in die Flucht investiert. Und aus Afghanistan ist der Flüchtlingsstrom nach wie vor enorm hoch. In einem halben Jahr haben wir erste Erfahrungswerte.

 

Die Ideenfabrik ICMPD (International Centre for Migration Policy Development), Sitz in Wien, 17 Mitgliedstaaten. Forschung in deren Auftrag, aber auch für die EU. Training  für den Umgang mit Flüchtlingen (etwa im Libanon entlang der Grenze zu Syrien für Zoll, Polizei, Armee). Ideenentwicklung. Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) ist  Chef der Organisation. 

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