Finanznot: Brauchen Österreichs Gemeinden wirklich mehr Geld?

Auch die Gemeinden haben zu Österreichs hohem Schuldenberg beträchtlich beigetragen. 2,6 Milliarden Euro waren es im Vorjahr. Von einem nachhaltigen Budget, wie es der Stabilitätspakt vorsieht, waren die Kommunen meilenweit entfernt. Das Resultat: Die Bundesregierung will über „strukturelle Reformen“ mittelfristig auch bei Bundesländern und eben Gemeinden sparen.
Doch es gibt ein Problem. Laut Berechnungen des Zentrums für Verwaltungsforschung (KDZ) wird jede zweite Gemeinde heuer zu wenig Geld einnehmen, um laufende Ausgaben decken zu können. Und bei den Kommunen liegen bekanntlich wichtige Aufgaben: Kinderbetreuung, Pflege oder medizinische Basisversorgung.
Gemeindevertreter fordern deshalb sogar zusätzliche Mittel – etwa eine Erhöhung der Grundsteuer oder mehr Geld vom Bund, also über den Finanzausgleich. Aus Sicht der Gemeinden besteht ein Einnahmenproblem. Aber trifft das zu? Sind Gemeinden gezwungen, so hohe Schulden zu machen?
„In vielen kleinen Gemeinden ist es tatsächlich der Fall, dass sie nicht gegensteuern können, wenn beispielsweise der einzige Großbetrieb im Ort schließt und plötzlich Einnahmen fehlen“, sagt Ökonom Jan Kluge vom wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria.
Das gelte aber nicht für Fälle wie in Klagenfurt, wo der Stadtsenat trotz Liquiditätsproblemen* am Bau eines Hallenbades festhält. Ein Konsolidierungsbeirat empfiehlt, vom Bau der Schwimmhalle abzusehen, sonst droht spätestens 2027 die Zahlungsunfähigkeit. „Aber Bürgermeister werden eben nicht dafür gewählt, dass sie keine Schulden machen“, sagt Kluge. Sondern? „Dafür, dass es zum Beispiel ein Hallenbad gibt. Und sie gehen davon aus, dass sie Bund oder Land in solchen Fällen retten. Weil es immer schon so war.“
*Update, 30. Juni: Auf Hinweis der Stadt Klagenfurt wurde diese Passage dahingehend korrigiert, dass Klagenfurt kein Schulden-, sondern ein Liquiditätsproblem, sowie keinen Stadtrat, sondern einen Stadtsenat hat.
Einnahmen stärker gestiegen als die Inflation
Ein generelles Einnahmenproblem sieht Kluge bei den Gemeinden jedenfalls nicht: „So sehr die Einnahmen auch galoppieren: Die Ausgaben galoppieren schneller. Das Geld rinnt den Gemeinden nur so durch die Finger.“
Während die Inflation seit dem Vorkrisenniveau, also 2019, um 26 Prozent gestiegen ist, nehmen die Gemeinden 31 Prozent mehr ein als damals. Die Ausgaben stiegen indes um 39 Prozent. Nur durch die Inflation ist die Misere also nicht erklärbar.
Kräftiger Personalanstieg
Wie sonst? Ein Aspekt: Gemeinden sind mit Mindereinnahmen und Mehrausgaben konfrontiert, die sie nicht vollständig ersetzt bekommen – etwa die Einführung des Gratis-Kindergartens, Umlagen für Krankenanstalten oder Investitionen in den Klimaschutz. Das KDZ hat diesen Effekt des „grauen Finanzausgleichs“ in einer Studie zu Gemeinden und Städten in Tirol herausgearbeitet.
So stieg der Zuschussbedarf zu den Pflichtschulen in Tirols Gemeinden von 2015 bis 2023 um 80 Prozent – während die Ertragsanteile der Gemeinden aus gemeinschaftlichen Steuern um nur 33 Prozent zunahmen. Hier war vor allem der Ausbau der Ganztagsschulen, für den zusätzliches freizeitpädagogisches Personal nötig ist, ein Kostentreiber.
Dazu kommen höhere Zinskosten – allein für diese gaben Österreichs Gemeinden 2024 370 Millionen Euro aus. Ein weiteres Hauptproblem sind prinzipiell steigende Personalausgaben. Seit 2008 sind laut Statistik Austria fast 22.000 Vollzeitäquivalente hinzugekommen, ein Personalanstieg um rund ein Fünftel.
„Prozentuell ist der Personalbestand in den Gemeindeämtern stärker gestiegen als in der Gesamtwirtschaft“, sagt Kluge. Auch wenn das teils gute Gründe hat: Alleine bei Kindergärten und Volksschulen ist die Zahl der Beschäftigten seit 2008 um 11.000 Personen gestiegen. Dazu kommen der Gesundheits- und Pflegebereich oder personalintensive Projekte – wie die Abschaffung des Amtsgeheimnisses.
Wien Spitzenreiter bei den Schulden
Weit vorne dabei bei der Pro-Kopf-Verschuldung ist Wien. Diese lag 2023 bei fast 5.300 Euro, was teilweise an Wiens zusätzlichen Aufgaben als Bundesland liegt. Wie sieht es österreichweit aus?
Von 2019 bis 2024 sind die Schulden der Gemeinden um fast 50 Prozent gestiegen. Die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind erheblich: Pro Kopf ist die Situation in Salzburg oder Kärnten noch am besten, wo Gemeinden 2023 im Schnitt mit rund 600 Euro verschuldet waren. "Sehr viel düsterer sieht es dagegen in Vorarlberg
und in der Steiermark aus. Dort lagen die Schuldenstände der Gemeinden im Schnitt bei deutlich über 2.000 Euro pro Kopf", sagt Kluge.
"Föderalismus auf die Füße stellen"
Der Ökonom plädiert für eine umfassende Föderalismus-Reform. Gemeinden, die ihre Budgetbeschränkungen nicht einhalten, sollen künftig stärker für ihre eigenen Schulden haften. "Sogar ein Insolvenzverfahren für Gemeinden könnte eine Möglichkeit sein", sagt Kluge. Mögliche Konsequenzen: Die Gemeinde muss dann beispielsweise Beteiligungen verkaufen, Personal einsparen oder einen Hallenbad-Bau stoppen.
Weitere Vorschläge: Mehr Steuerautonomie für Gemeinden, klarere Kompetenzen in der Verwaltung oder die Zusammenlegung von Gemeinden. "Der österreichische Föderalismus gehört vom Kopf auf die Füße gestellt. Denn die Finanznot ist real", bilanziert Kluge.
Der Österreichische Stabilitätspakt von 2012 soll sicherstellen, dass Bund, Länder und Gemeinden nachhaltig budgetieren – und der Staat die EU-Vorgaben einhält. Gemeinden und Länder dürfen strukturell, also ohne Kriseneffekte, maximal ein Defizit von 0,1 % pro Jahr erwirtschaften, für den Bund gelten 0,35 %. Er soll bis Herbst neu verhandelt werden.
Der Finanzausgleich regelt im Gegenzug, wie staatliche Einnahmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufgeteilt werden. Derzeit erhält der Bund 68, Länder 20 und Gemeinden rund 12 %. Zusätzlich erhalten Länder und Gemeinden jährlich unter anderem rund 3,4 Mrd. Euro für Gesundheit und Pflege. Die aktuelle Fassung gilt bis 2028.
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