Feminismus: Gemeinsam das System verändern

Feminismus: Gemeinsam das System verändern
Streitgespräch: In ihrem Buch kritisiert Autorin Christine Bauer-Jelinek den aktuellen Feminismus. Eva Rossmann – Feministin – kontert.

Wenn Christine-Bauer Jelinek Sätze wie "Die Unterdrückung der Frauen durch die Männer ist ein Mythos – Frauen müssen sich nicht ständig als Opfer fühlen" oder "Der aktuelle Feminismus ist ein Rückschritt – er bedroht den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft" (der KURIER berichtete) postuliert, ist Widerspruch garantiert. Wir baten die Autorin von "Der falsche Feind – Schuld sind nicht die Männer" zum Streitgespräch mit der Frauenrechtlerin Eva Rossmann.

Rossmann: Sie schreiben, das ist ein Befreiungsschlag für Frauen. Die Frage ist, welche Frauen wovon befreit werden sollen. Das ist nämlich nicht so einfach. Ich würde sagen: Letztlich ist es für viele Frauen ein Rückschlag. Nur für gewisse könnte es Befreiung sein.

Christine Bauer-Jelinek: Für welche?

Rossmann: Für Elitefrauen, ganz einfach. Ich habe den Eindruck, das Buch bezieht sich in erster Linie nur auf absolute Elitefrauen. Aber die meisten Frauen sind keine Elitefrauen und könnten durch dieses Buch schon wieder in die Lage kommen, dass man ihnen eben sagt, jammert’s ja nicht, ihr habt’s eh alles. Besser ist, ihr bleibt’s daheim.

Bauer-Jelinek: Die Aussage, dass die Frauen daheim bleiben sollen, kommt in diesem Buch überhaupt nicht vor. Dass ist weder meine Lebensgeschichte noch mein Ansatz. Gar nicht sollen die Frauen daheim bleiben. Die Frage ist nur, wer kümmert sich zu Hause, wenn die Forderung Vollzeitarbeit für beide Geschlechter weiter aufrecht bleibt? Irgendwer muss in der Lage sein, sich um die Familie zu kümmern. Und zwar Männer und Frauen abwechselnd, diese Freiheit haben wir heute und hätten wir heute. Das ist das Gute an der Entwicklung, die stattgefunden hat, die aber aus meiner Sicht jetzt wieder in einen Zwang umzukippen droht.

Rossmann: Wenn Sie wirklich sagen, Halbe/Halbe ist gescheitert, dann heißt das doch für die Jetzt-Zeit, es sollen sich die Frauen mehr um Kinder und Familie kümmern, weil eben alles so unmenschlich wird. Weil die Kinder und die Menschen, die betreut werden sollen, unter die Räder kommen, das schreiben Sie ja sehr deutlich. Das Problem ist nur, dafür sollen die Frauen wieder daheim bleiben?

Bauer-Jelinek: Nein, das sage ich nicht.

Rossmann: Sagen Sie, die Männer sollen daheim bleiben?

Bauer-Jelinek: Es steht im Buch schon drinnen, dass der, der zu Hause bleibt, in der jetzigen Gesellschaft den Nachteil hat. Es zeigt sich, dass die Männer, die aus vollster Überzeugung zu Hause bleiben, die erfolgreich sind und weiterkommen wollen, die gleichen Probleme haben wie sie die Frauen vor zehn Jahren hatten. Ich habe genügend davon im Coaching. Daher ist das kein Geschlechterthema. Und auch deshalb habe ich das Buch geschrieben.

Rossmann: Entschuldigung, man darf nicht vergessen, es bleiben viele Frauen zu Hause, und nur ganz wenige Männer. Deswegen trifft es, wenn Sie sagen, Halbe Halbe sei gescheitert, die zwanghafte Gleichverteilung überfordere Frauen und Männer und zwinge Kinder und Alter in die Betreuungseinrichtungen. Was heißt das?

Feminismus: Gemeinsam das System verändern

Bauer-Jelinek: Das heißt, wir müssen nach vorne denken. Wenn wir nur den schwarzen Peter verteilen, dann ist es kein Wunder, dass die Männer das nicht annehmen.

Rossmann: Wer verteilt den schwarzen Peter? Ich habe den Titel Ihres Buches auch nicht verstanden. Ich bin eine ausgewiesene Feministin, aber ich hätte nie gesagt, schuld sind die Männer. Das ist viel zu simpel. Denn: Was ist der Mann? Und was ist die Frau? Also damit habe ich ein echtes Problem. Da weiß ich nicht, wie Sie den aktuellen Feminismus definieren. Sie schreiben da was vom Kampf gegen die Männer. Das ist doch dreißig Jahre her, wer macht das?

Bauer-Jelinek: So kommt das aber bei den Menschen an.

Rossmann: Bei welchen?

Bauer-Jelinek: Bei den Menschen, mit denen ich zu tun habe. Und dazu auch die Replik auf Ihre erste Frage. Ich habe nicht ausschließlich mit Elitefrauen zu tun. Ich habe auch mit Wiedereinsteigerinnen aus den Mittelschichten zu tun.

Rossmann: Auf Ihrer Homepage sagen Sie selber, Sie betreuen die Top-Frauen und -Männer der Wirtschaft. Ich habe dem geglaubt.

Bauer-Jellinek: Ja auch, aber nicht nur. In den Vorträgen kommen Menschen jeglicher Art zu mir. Ich habe lange mit Randgruppen zu tun gehabt, auch in der Großfeldsiedlung als Lehrerin.

Rossmann: Deshalb wundert mich das ja so.

Bauer-Jelinek: Mir kann man nicht vorwerfen, ich wäre nur der Elitencoach. Ich kenne die Lebenssituation und sage das auch immer in meinen Vorträgen, dass Karrierefragen bei der Frauenpolitik ein Minderheitenthema sind. Weil die meisten Frauen ganz andere Probleme haben. Das ist mir bewusst. Aber Frauen, die im Erwerbsleben sind, müssen verhandeln lernen. Es wird ihnen nix nachgetragen. Dort kommt diese Schuldfrage her. Denn dort wird immer wieder artikuliert, Frauen bekommen nicht das gleiche Gehalt, weil die Männer sie nicht lassen und es ihnen nicht geben.

Rossmann: Also ich kenne nur Frauen, die sagen, es ist unfair, wenn sie das Gleiche machen und ihr Chef gibt ihnen das nicht. Auch ihre Chefin. Was mich an Ihrem Buch sehr verblüfft hat ist, dass sie dauernd schreiben, ja mei, wir Frauen müssen uns halt besser dem neoliberalen Wirtschaftsprinzip anpassen und nicht jammern. Ich finde, es wäre eine Möglichkeit, das gemeinsam intelligent zu überwinden.

Bauer-Jellinek: Aber genau das ist doch die Aussage des Buchs im letzten Kapitel: Gemeinsam auf die Barrikaden. Das heißt, warum schauen wir nur auf die Frauenfragen, und nicht auf die gesellschaftlichen Fragen, viel stärker auf die sozialen Fragen? Das ist es, worum es mir geht.

Rossmann: Das verstehe ich total – nur glaube ich, dass man das eine vom anderen nicht abkoppeln kann. Es gibt nicht immer eine Frage, auf die man schauen muss. Klar muss man auf die soziale Frage schauen. Weil wir das Problem haben, dass auch die Frauen schon viel zu sehr aufgespalten sind – in Elitefrauen, Mittelfrauen, die sich’s richten können, wenn sie Glück und das Umfeld haben. Und in Frauen, die überhaupt keine Chance haben – nicht einmal zu jammern. Sie sind mit dem Überleben beschäftigt. Fakt ist, es gibt Benachteiligungen für Frauen.

Wo ich mir auch gedacht habe, das können Sie nur schreiben, um Geld damit verdienen zu wollen: "Die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit ist erfüllt. Und die behauptete Ungerechtigkeit gegenüber den Frauen ist endgültig als Propaganda entlarvt." Also da frage ich mich schon: Eustat, der Rechnungshof – ist das die Weltverschwörung der Feministinnen, die sagen, dass Frauen deutlich weniger verdienen?

Bauer-Jelinek: Also es gibt schon so etwas wie einen Staatsfeminismus, spätestens seit die EU das als Richtlinie herausgegeben hat. Das ist die Haltung die ich dazu vertrete.

Rossmann: Also es gibt die Weltverschwörung der Frauen? Ich habe mir folgendes rausgesucht: Der Rechnungshof sagt, dass Aufsichtsrätinnen und Vorstandsfrauen 2010 um 36 Prozent weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Das sind Frauen, von denen man sagen kann, die haben es wirklich geschafft – aber sind sie um 36 Prozent schlechter. Das glaube ich nicht. Sondern ich glaube, dass wir in einem System leben, in dem esMänner noch immer deutlich leichter haben, im Berufsleben zu reüssieren. Nicht zuletzt deshalb, weil Frauen sehr viel unbezahlte Arbeit umgehängt bekommen. Und Sie schreiben ein Buch, dass das bestärkt. Das tut mir persönlich leid.

Bauer-Jelinek: Nein, die verhandeln um 36 Prozent schlechter. Da werden Äpfel mit Birnen verglichen. Ich kenne kein Unternehmen, in dem die Kollektivverträge, die Einstufungen nicht gleich wären. Das wäre Gesetzesübertretung. Ich bin ja für gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Das ist ja ganz klar. Nur alles andere darüber hinaus – dass Frauen schon schlechter eingestuft, dass sie bei den Überstunden benachteiligt werden, dass sie viel zu spät nach Vorrückung fragen und daher in der gesamten Lebensperiode immer hinten nach sind – all das ist eine Frage des wettbewerbsorientierten neoliberalen Systems.

Rossmann: Aha, und das passt so?

Bauer-Jelinek: Nein, das passt überhaupt nicht. Das ist nicht so. Deswegen sage ich ja auch: Wir müssen das System ändern.

Rossmann: Sie widersprechen sich selbst: Es ist jetzt also so, dass sich die Benachteiligung von Frauen doch noch nicht entlarvt hat, sondern es ist halt Teil dieses neoliberalen Systems und wir müssen halt damit leider leben...

Bauer-Jelinek: Nein ich sage, es ist keine Geschlechterfrage. Männer, die so schlecht verhandeln, kriegen genauso wenig. Verhandeln in einem derartigen System heißt, ich muss gegen Widerstand angehen. Was mich an dieser Art der Frauenpolitik so stört, ist das Moralisieren, dieser Anspruch: Warum gebt ihr ihnen nicht freiwillig mehr. Sie geben auch den Männern nicht mehr, wenn die es ihnen nicht mit Zähnen und Klauen herausreißen.

Rossmann: Komisch, also verhandeln Frauen so schlecht. Und deshalb haben’s ein Pech.

Bauer-Jelinek: Nein deshalb haben sie nicht Pech sondern das ist ein wettbewerbsorientiertes System und zunehmend gibt es Männer, die genauso schlecht verhandeln.

Rossmann: Darf ich was einwenden: Es gibt da noch so Sachen wie Kinderbetreuungsarbeit, Altenbetreuungsarbeit, wo es doch unstrittig ist, dass das momentan vor allem die Frauen machen. Kann es nicht sein, dass Frauen gar keine Chance haben so gut zu verhandeln, weil sie genau wissen, dass sie für Überstunden, Zusatzausbildungen etc. gar keine Zeit haben?

Bauer-Jelinek: Aber auch Männer haben keine Zeit dafür, wenn sie zu Hause bleiben. Ich bezweifle, dass es eine Geschlechterfrage ist. Weil wir jetzt sehen, dass die Männer in Karenz dasselbe Problem haben. Die sagen, da können sie nicht kommen, da können sie nicht, weil sie das Kind abholen müssen. Das ist neu.

Rossmann: Nur, dass 95 Prozent der Frauen das Problem haben.

Bauer-Jelinek: Nein, es ist ein Systemproblem und kein Geschlechterproblem.

Rossmann: Das, was mich als Detail sehr an dem Buch erschreckt hat, sind die unterschwelligen Botschaften. Irgendwo steht: "Eigentlich heißt es ja immer mit Frauen arbeiten ist toll. Aber, ehrlich: In Wirklichkeit sagen alle Frauen und Männer, dass sie lieber mit Männer in Führungspositionen arbeiten." Da denke ich mir: Wer behauptet das? Sie?

Bauer-Jelinek: Also dazu werden wir dann die Diskussionen auf meiner Facebookseite lesen... Außerdem: Es steht nicht "alle", sondern "viele". Und es das, was man hört.

Rossmann: "Man hört" – um Gottes Willen!

Bauer-Jelinek: Was ich höre, was mir Menschen berichten. Ich bin ja nicht alleine, sondern habe den großen Vorteil, dass ich die Dinge multiplizieren kann, durch das, was die Menschen erzählen – in Vorträgen, Seminaren, im Coaching. Mir geht es doch vor allem darum, das Gesellschaftssystem anzugreifen, statt die Frauenfrage zu stellen.

Rossmann: Da treffen wir uns ganz sicher, dass man etwas gegen dieses System tun muss , das Menschen kaputt macht. Aber wäre es nicht viel intelligenter, sich zusammenzuschließen und zu sagen: Frauen, wir brauchen ein neues System? Wir wollen nicht nur Anteil an dieser Männerwelt und der Karriere und dem Geld, sondern, wir wollen das System gemeinsam mit intelligenten Männern verändern, sodass alle besser leben können...

Bauer-Jelinek: ... genau...

Rossmann: ... sodass die Erwerbsarbeit gerechter verteilt ist, die unbezahlte Arbeit besser verteilt wird.

Bauer-Jelinek: Da treffen wir uns, denn genau das schreibe ich. Es geht darum die Erwerbsarbeit besser zu verteilen und Fürsorge möglich zu machen. Doch die Forderung, Frauen sollten die Gesellschaft verändern, während sie ihr Gehalt verhandeln, das geht so nicht. Ändern kann man das nicht, indem man am Kaffeehaustisch ein bisschen jammert, sondern das wird eine wirkliche starke Bewegung brauchen. Und das würde ich nicht zeitgleich tun, wenn ich einen Job brauche.

Rossmann: Frauen haben, bei all dem, was sie zu tun haben, nicht die Zeit auch noch die Welt zu retten. Und so bleibt die Welt, wie sie ist. Wir haben Pech gehabt, und waren nicht tüchtig genug.

Bauer-Jelinek: Wie gesagt – gemeinsam auf die Barrikaden lautet mein Credo.

Rossmann: Wie?

Bauer-Jelinek: Wie in der vorindustriellen Zeit. Die haben zwölf Stunden gearbeitet und nachher haben sie sich getroffen, um den Sozialstaat zu gründen. Das wird uns nicht erspart bleiben. Die, die intellektuelle Fähigkeit haben werden wesentlich mehr Einsatz bringen müssen – Männer wie Frauen, um dieses Gesellschaftssystem auszuhebeln. Das geht nicht mit ein bisschen rumjammern.

Kontroverse: Rossmann gegen Bauer

Feminismus: Gemeinsam das System verändern

Die Autorin Christine Bauer-Jelinek begleitet Menschen bei Karrieren, Krisen und Neuanfängen. Sie ist Expertin für Mechanismen der Macht und deren Gender-Aspekte sowie für Trends der gesellschaftlichen Entwicklung, über die sie mehrere Bestseller geschrieben hat. Diese Woche legt sie ihr neues Buch "Der falsche Feind. Schuld sind nicht die Männer" (Ecowin, 19,95 €) vor.

Die Feministin Eva Rossmann war Verfassungsjuristin und Journalistin. Heute arbeitet sie als freiberufliche Autorin und schreibt vor allem Kriminalromane. Als ausgewiesene Feministin befasste sie sich in ihren Büchern ("Unter Männern – Frauen im österreichischen Parlament", "Heim an den Herd?", "Die Angst der Kirche vor den Frauen") auch mit der Stellung der Frau.

Gewinnspiel

Der KURIER verlost 3 x 1 Exemplar von Christine Bauer-Jelineks Buch "Der falsche Feind". Schicken Sie einfach bis 5. Oktober ein Mail mit dem Betreff "Der falsche Feind" an newsroom@kurier.at. Die Gewinner werden schriftlich verständigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Barablöse ist nicht möglich. Gilt nur für Verbraucher im Sinne des KSchG.

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