Flüchtlinge und Gesundheit: Achtung, Mundschutz?

Atemschutzmasken wie hier in Spielfeld sind in der Regel nicht nötig
Warum es weniger TBC-Fälle gibt, Flüchtlinge aber geimpft werden und worunter viele wirklich leiden.

Ebola. Krätze. Ruhr. Mit den Flüchtlingen kommen Infektionskrankheiten ins Land. Latente Ängste, die zu manifesten Mythen werden.

Die Direktorin für die öffentliche Gesundheit kennt diese Mythen und die Fakten. Pamela Rendi-Wagner weiß um den Gesundheitszustand der Transitflüchtlinge und der Asylwerber. "Die Informationen der einzelnen Organisationen, die die Erstbetreuung innen haben, den NGOs, Spitälern und Amtsärzten decken sich: Aufgrund der Strapazen der Flucht kommt es vor allem zu Bein- und Fußverletzungen. Aufgrund schlechter Ernährung zu Hypoglykämien, also Unterzuckerungen, und auch zu Dehydrierungen, weil die Flüchtlinge zu wenig Flüssigkeit zu sich genommen haben." Dies mache wiederum empfindlicher für Infektionskrankheiten. Für welche genau, hänge insbesondere von den sanitären Bedingungen während der Flucht und in den Aufnahmezentren ab.

Flüchtlinge und Gesundheit: Achtung, Mundschutz?
Interview mit Frau Dr. Pamela Rendi-Wagner Direktorin für öffentliche Gesundheit am 3.12.2015 in Wien
"Die Erkankungen mit den höchsten Wahrscheinlichkeiten sind infektiöse Durchfallerkrankungen. Eine davon ist die Shigellose – besser bekannt als Ruhr. Im September hatten wir etwas höhere Fallzahlen als letztes Jahr", sagt Rendi-Wagner. Das epidemiologisches Meldesystem (Im EMS werden elektronisch alle rund 50 anzeigepflichtigen Krankheiten in Österreich gesammelt) weist für September 2014 elf Fälle von Ruhr auf, 2015 waren es 15. Den Oktoberzahlen 2014 (9 Fälle) stehen 18 Fälle für 2015 gegenüber. "Diese Steigerung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass es im Vorjahr 28.064 Asylanträge gab und wir heuer mit bis zu 90.000 Asylanträgen rechnen sowie bereits deutlich über 500.000 Transitflüchtlinge gezählt haben."

Ruhr & TBC

Gar rückläufige Zahlen zeigt die EMS-Statistik bei Tuberkulose (TBC). Von Jänner bis August 2013 gab es 449 Fälle von TBC, 2014 waren es derer 408 und heuer wurden 400 Fälle registriert, 128 davon waren Österreicher. Ähnlich verhalte sich die Relation bei der Zahl der an Ruhr Erkrankten, viele Österreicher bringen die Ruhr aus ihrem Urlaub nach Hause, so die ausgebildete Tropenmedizinerin. "Wichtig ist – und das bestätigen alle internationalen Behörden gleichermaßen – dass Flüchtlingsströme nicht gleichzusetzen sind mit einer Infektionsgefahr. Für die Österreicher besteht derzeit ein sehr geringes Infektionsrisiko."

Hygiene & Masken

Grund für die rückläufigen und in Relation geringen Infektionen ist laut Rendi-Wagner auch das gute Gesundheitssystem in Syrien, aus dem das Gros der Flüchtlinge kommt. Worauf es dennoch zu achten gilt? "Händehygiene! Das ist die wichtigste präventive Maßnahme gegen virale wie auch bakterielle Durchfallerkrankungen. Wir sprechen hier von Schmierinfektionen."

Mundschutzmasken bei Hilfskräften oder Polizeibeamten in Spielfeld sind also nicht vonnöten? "Aufgrund der derzeitigen Erkrankungszahlen gibt es keinen Grund, allgemein Masken zu empfehlen. Im Gegenteil: Die Maske könnte sogar insofern ein Risiko darstellen, weil das Tragen der Maske die Gefahr einer Schmierinfektion erhöhen kann. Erfahrungen zeigen, dass Menschen, die Masken tragen, häufiger den Mund-Nasen-Bereich berühren und so das Infektionsrisiko erhöhen."

Um sicherzustellen, wie es um den Gesundheitszustand der Flüchtlinge im Transitbereich wie in Nickelsdorf (B) oder in Spielfeld (ST) bestellt ist, werden diese von Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz bei entsprechenden Krankheitszeichen auf Tuberkulose hin untersucht.

Wer Antrag auf Asyl gestellt hat, durchläuft die sogenannte Gesundheitsstraße. Dazu gehört der Selbstanamnese-Bogen, in dem nach Erkrankungen wie Diabetes, Asthma oder Symptome wie Fieber oder Erbrechen gefragt wird. Um einen TBC-Verdacht ausschließen zu können, muss sich jeder Asylwerber (Kinder ab 6 Jahren) einem Lungenröntgen unterziehen. Organisiert werden die Röntgen je nach Zuständigkeit vom Innenministerium oder den jeweiligen Landessanitätsdirektionen. Untersucht wird bei Radiologen, seit jüngst auch im Heeresspital in Stammersdorf (W) und je nach Bundesland in Röntgenbussen, die direkt zu den Asylwerberzentren fahren. Die Kosten trägt das Innenministerium. Wie viel die Erstuntersuchungen heuer gekostet haben lässt sich laut Innenministerium nicht 1:1 errechnen, wohl aber die Kosten für Impfungen: rund 50.000 Euro für das laufende Jahr.

Geimpft & versichert

Das Gesundheitsminsterium hat Impfempfehlungen für Asyl-Erstaufnahmezentren ausgegeben. Masern-Mumps-Röteln (MMR), Diphterie und Tetanus (Atemwegsinfektion und Wundstarrkrampf) sowie Polio (Kinderlähmung) haben höchste Priorität. "Wenn Menschen wie in den Erstauf- nahmezentren Traiskirchen oder Thalham üblich, mehrere Monate auf engstem Raum leben, empfehlen wir zudem eine Meningokokken-Impfung. Alle Gratis-Impfungen für Kinder in Österreich gelten auch für Asylwerber-Kinder." Dass viele ohne Pass geschweige denn mit einem Impfpass nach Österreich kommen und etwaig bereits geimpft sind, berge bei diesen Impfungen so gut wie keine Gefahr in sich. Wesentlich und wichtig sei "ausreichend und insbesondere über das Gesundheitssystem in Österreich zu informieren. Viele Asylwerber wissen nicht, dass es praktische Ärzte gibt und Spitäler nur für Akutfälle zuständig sind".

Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Regierung seit Monaten über eine Gesundheitskarte diskutiert, Asylwerber erst auf das Sozialamt müssen ehe sie zum Arzt dürfen, "sind Asylwerber ab dem ersten Tag in Österreich sozialversichert. Wir bemühen uns mit den Sozialversicherungsträgern, dass die eCards so rasch wie möglich ausgestellt werden. Bis dahin gibt es Ersatzkrankenscheine." Besonderes Augenmerk will die Direktorin für öffentliche Gesundheit 2016 auch auf die psychosoziale Gesundheit legen. "Viele sind von Angststörungen betroffen. Das ist der Kriegssituation und der belastenden Flucht geschuldet. Posttraumatische Störungen münden bei längerem Bestehen in eine Depression. Das ist eine Tatsache." Genaue Zahlen liegen noch nicht vor.

Kommentare