Ex-Minister Hundstorfer: „Der Regierung sind die Leute egal“

Ex-Minister Hundstorfer: „Der Regierung sind die Leute egal“
Der Sozialabbau macht den Ex-Sozialminister wütend: „Razzia gegen die Schwächsten“.

Lange war es still geworden um ihn. Seit der Niederlage bei der Bundespräsidentenwahl 2016 hatte sich Ex-Sozialminister und Ex-ÖGB-Chef Rudolf politisch nicht mehr zu Wort gemeldet. Ausschließlich in seiner neuen Funktion als ehrenamtlicher BSO-Chef (Österreichische Bundes-Sportorganisation) trat er auf.

„Doch jetzt wurde eine Grenze erreicht, wo ich nicht mehr stillhalten kann. Bei der Abschaffung der Aktion 20.000 habe ich mich noch zurückgehalten. Da hätte ich mich eigentlich schon zu Wort melden sollen“, so Hundstorfer im Interview.

KURIER: Herr Hundstorfer, welche Maßnahme bringt Sie als Ex-ÖGB-Chef und Ex-Sozialminister mehr auf die Palme: Der 12-Stunden-Tag oder die Mindestsicherung neu?

Rudolf Hundstorfer: Beides. Die sehr oberflächliche Vorgangsweise beim Versuch, die Arbeitszeit zu ändern, zeigt, dass der Regierung die Menschen egal sind. Wenn man es ernst meint, lädt man die Sozialpartner ein und bespricht es. Man kann auch Druck ausüben auf die Sozialpartner. Ja, manches Mal brauchen sie das auch. Aber bei so einem Thema muss man die Zivilgesellschaft miteinbinden, weil es eine gravierende Änderung ist. Ähnlich ist es beim Arbeitslosengeld oder der Mindestsicherung neu. Hier bemüht man sich seitens der Regierung, nochmals eine Spaltung in die Gesellschaft zu bringen. Niemand bezieht aus Jux und Tollerei mit 52 Jahren Notstandshilfe. Bei dieser Gruppe ist man hemmungslos. Die Idee ist: Hier gibt es 100 Prozent Vermögensbesteuerung, aber beim oberen einen Prozent darf überhaupt nichts passieren. Das mündet in eine Entsolidarisierung einer Gesellschaft.

Die Regierung argumentiert, dass es Missbrauch gibt und der Anreiz, in den Arbeitsprozess zu kommen, gering ist.

Dass es da oder dort auch Missbrauch gibt, will ich gar nicht abstreiten. Ich bin ja nicht naiv. Doch die Zahlen sind minimal und die Kontrollen sehr stringent. Und zum Argument, dass viele nebenbei pfuschen gehen: Auch das kommt vor, aber da muss man auch brutal sagen – es gibt einen österreichischen Auftraggeber. Fatal hingegen ist: bei der Notstandshilfe bin ich pensionsversichert, bei der Mindestsicherung nicht. Damit drängt man den schwächsten Teil der Gesellschaft noch mehr an den Rand. Die Razzia gegen die Schwächsten verstehe ich nicht. Die Logik ist mir fremd. Das stößt mir auf.

Unternehmer berichten, dass viele Arbeitsuchende, die vom AMS geschickt werden, nur für einen Tag arbeiten kommen, damit sie den Stempel bekommen. Hier die Zügel strenger anzuziehen, sehen viele Arbeitgeber als positiv.

In diesem Fall gab es immer schon die Möglichkeit, diese Personen dem AMS zu melden. Nicht umsonst wurde 111.000 Personen das Arbeitslosengeld im Vorjahr temporär gestrichen. Pro Jahr haben über elf Prozent der AMS-Bezieher eine Streichung. Das gibt es, man muss sie nur beim AMS melden.

Ex-Minister Hundstorfer: „Der Regierung sind die Leute egal“

Zurück zum 12-Stunden-Tag. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein meinte, „ich will nicht“ zu sagen, wird nicht reichen. Vizekanzler Heinz-Christian Strache ruderte nun zurück und kündigte die Freiwilligkeit an. Wer hat nun recht?

Frau Hartinger hat recht. Auf Dauer gesehen wird der Arbeitnehmer im Betrieb einen Konflikt haben, wenn er den 12-Stunden-Tag öfters ablehnt. Warum hat der Tourismus ein Arbeitskräfteproblem? Weil die Menschen wissen, da muss man zwischen zehn und zwölf Stunden arbeiten. Das zeigt, die Menschen wollen den 12-Stunden-Tag eigentlich nicht. In meiner Ministerzeit habe ich noch verhandelt, dass man im Tourismus, mit Kollektivvertrag abgesichert, die Ruhezeit auf acht Stunden verkürzen kann, wenn es eine arbeitsnahe Wohnmöglichkeit für Saisonbeschäftigte gibt. Da gab es ein Problem, das sozialpartnerschaftlich gelöst wurde. Die Industriebetriebe haben heute schon viele Möglichkeiten der Flexibilisierung: Sie können drei Mal acht Wochen pro Jahr auf einen 12-Stunden-Tag umstellen – aber mit Betriebsvereinbarung.

Wie sehr schmerzt es als ehemaliger ÖGB-Präsident, dass die Gewerkschaft entmachtet wird?

Es schmerzt generell, dass die Sozialpartnerschaft auf die Seite gedrückt wird. Das Gemeinsame hat dazu geführt, dass wir eines der reichsten Länder Europas sind. Ja, die Sozialpartner brauchen manches Mal länger. Aber de facto hat man sich immer für einen gemeinsamen Weg entschieden. Der neu eingeschlagene Weg spaltet die Gesellschaft. Das kann uns nicht guttun. In einem kleinen Land wie unserem benötigt man einen gesellschaftlichen Grundkonsens.

Der Plan A von Christian Kern hat auch ein 12-Stunden-Modell. Warum soll das Modell von Kern besser sein als jenes der Regierung?

Das 12-Stunden-Modell von Plan A wäre auf Augenhöhe unter massiver Einbeziehung der Betriebsräte. Auch auf Kollektivvertragsebene will der Plan A den 12-Stunden-Tag besser gestalten. Außerdem wollte Kern auf Betriebsvereinbarungsebene auch einiges weiterbringen. Das ist der entscheidende Unterschied. Das einseitige Anweisen des 12-Stunden-Tages, wie es mit dem neuen Gesetz gehen soll, gibt es im Plan A nicht.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass bei der Arbeitszeitaufzeichnung getrickst wird. Ist es nicht ehrlicher, das zu beenden?

Dass Flexibilisierungsschritte notwendig sind, weiß jeder. Wir haben immer wieder Probleme mit Monteuren, bei Baustellen oder auch in der Medienwelt. Dass man hier etwas ändern muss, ist keine Frage. Aber immer auf Augenhöhe und im Konsens.

Unklarheit gibt es noch, ob Überstunden bezahlt werden. Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung, meinte, bei der Gleitzeit ist das nicht der Fall. Strache hingegen sagte, Kapsch habe das Gesetz nicht richtig gelesen. Wie lesen Sie den Gesetzestext?

Das ist einer der Punkte, die nicht ausgegoren sind. Allein diese Diskussion zeigt, hier wurde etwas auf den Tisch gelegt, ohne sich zu überlegen, was das für die Betroffenen bedeutet. Und dann will man das Gesetz auch noch innerhalb von zwei Wochen durchpeitschen. Das ist menschenverachtend und oberflächlich. Denn bei den Überstunden geht es um ordentliche Millionenbeträge. 250 Millionen Überstunden werden pro Jahr geleistet, aber 50 Millionen schon jetzt nicht bezahlt.

Die Regierung beruft sich darauf, dass die Sozialpartner im Vorjahr ihre Chance hatten, ein 12-Stunden-Modell vorzulegen, aber gescheitert sind. Warum wurde die Chance nicht genützt? Waren damals alle Beteiligten schon im Wahlkampf?

Das war eine Mischung aus allem. Es ist ein komplexes Thema. Andererseits weiß ich, dass Teile der ÖVP das Motto ausgaben: Die dürfen keinen Erfolg haben. Das war nicht Mitterlehner, sondern schon Sebastian Kurz.

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