EuGH kippt Kurz-Maßnahme: Familien-Indexierung ist rechtswidrig

PK "SOZIALES": KURZ / STRACHE
Das Kürzen der Familienbeihilfe für Arbeitnehmer, deren Kinder in ärmeren EU-Ländern leben, ist diskriminierend.

Die türkis-blaue Regierung war von vielen Experten vor der Maßnahme gewarnt worden. Nun ist es amtlich: Die Anpassung von Familienleistungen und verschiedenen Steuervergünstigungen an das Wohlstandsniveau jener Länder, in denen die Kinder von in Österreich arbeitenden Eltern leben, verstößt gegen das Unionsrecht. Dieser Indexierungsmechanismus stellt eine ungerechtfertigte, mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit von Wanderarbeitnehmern dar. Das gab der Europäische Gerichtshof EuGH am Donnerstag bekannt.

Die EU-Kommission hat die österreichische Bestimmung beim EuGH eingeklagt und nun "in vollem Umfang" recht bekommen.

Der Hergang und das Urteil im Detail:

Am 1. Jänner 2019 führte Österreich einen Anpassungsmechanismus für die Berechnung der Pauschalbeträge der Familienbeihilfe und verschiedener Steuervergünstigungen ein, die Erwerbstätigen gewährt werden, deren Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat wohnen.

Diese Steuervergünstigungen umfassen den Kinderabsetzbetrag, den Familienbonus Plus, den Alleinverdienerabsetzbetrag, den Alleinerzieherabsetzbetrag und den Unterhaltsabsetzbetrag. Die Anpassung kann sowohl nach oben als auch nach unten erfolgen und richtet sich nach dem allgemeinen Preisniveau im betreffenden Mitgliedstaat.

Dänemark und Norwegen für Österreich, die Nachbarländer dagegen

Da die Kommission der Ansicht war, dass dieser Anpassungsmechanismus und die daraus resultierende Ungleichbehandlung von Wanderarbeitnehmern gegenüber Inländern gegen das Unionsrecht verstießen, erhob sie beim Gerichtshof eine Vertragsverletzungsklage gegen Österreich. In der vorliegenden Rechtssache wird die Kommission durch die Tschechische Republik, Kroatien, Polen, Rumänien, Slowenien, die Slowakei und die EFTA-Überwachungsbehörde unterstützt, während Österreich durch Dänemark und Norwegen unterstützt wird.

Gleichbehandlung erforderlich

In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag, die Gegenstand der Klage sind, Familienleistungen im Sinne der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sind, die nicht aufgrund der Tatsache gekürzt oder geändert werden dürfen, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, der sie gewährt. Die Familienleistungen, die ein Mitgliedstaat Erwerbstätigen gewährt, deren Familienangehörige in diesem
Mitgliedstaat wohnen, müssen gemäß der Verordnung also exakt jenen entsprechen, die er Erwerbstätigen gewährt, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat wohnen.

Da die Preisniveauunterschiede, die innerhalb des die Leistungen erbringenden Mitgliedstaats bestehen, nicht berücksichtigt werden, rechtfertigen es die Kaufkraftunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten nicht, dass ein Mitgliedstaat dieser zweiten Personengruppe Leistungen in anderer Höhe gewährt als der ersten Personengruppe.

Verstoß gegen Koordinierung der Sozialsysteme

Vor diesem Hintergrund stellt der Gerichtshof fest, dass die streitige österreichische Regelung, soweit sie eine Anpassung der Familienleistungen nach Maßgabe des Wohnstaats der Kinder des Begünstigten vornimmt, gegen die Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit verstößt.

Wanderarbeiter sind zu schützen

Was sodann die Familienbeihilfe und die Gesamtheit der Steuervergünstigungen, die Gegenstand der Klage der Kommission sind, betrifft, weist der Gerichtshof darauf hin, dass nach dem Unionsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit der Wanderarbeitnehmer unzulässig ist. Da der streitige Anpassungsmechanismus aber nur zur Anwendung kommt, wenn das Kind nicht in Österreich wohnt, betrifft er im Wesentlichen die Wanderarbeitnehmer, da insbesondere ihre Kinder möglicherweise in einem anderen Mitgliedstaat wohnen.

Außerdem kommen die von diesem Mechanismus betroffenen Wanderarbeitnehmer großteils aus Staaten, in denen die Lebenshaltungskosten niedriger sind als in Österreich, weshalb sie Familienleistungen sowie soziale und steuerliche Vergünstigungen in geringerer Höhe erhalten als österreichische Arbeitnehmer.

Verstoß gegen Freizügigkeit am Arbeitsmarkt

Dieser Anpassungsmechanismus stellt daher eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar, die jedenfalls nicht gerechtfertigt ist. Der Wanderarbeitnehmer ist nämlich in gleicher Weise wie ein inländischer Arbeitnehmer an der Festsetzung und Finanzierung der Beiträge, die der Familienbeihilfe und den Steuervergünstigungen zugrunde liegen, beteiligt, ohne dass es insoweit auf den Wohnort seiner Kinder ankommt. Folglich verstößt die streitige österreichische Regelung auch gegen die Verordnung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union.

"Unter diesen Umständen gibt der Gerichtshof der von der Kommission erhobenen Vertragsverletzungsklage in vollem Umfang statt", heißt es in der Aussendung des EuGH.

Österreich muss Urteil sofort umsetzen

Eine Vertragsverletzungsklage, die sich gegen einen Mitgliedstaat richtet, der gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen hat, kann von der Kommission oder einem anderen Mitgliedstaat erhoben werden. Stellt der Gerichtshof die Vertragsverletzung fest, hat der betreffende Mitgliedstaat dem Urteil unverzüglich nachzukommen.

Ist die Kommission der Auffassung, dass der Mitgliedstaat dem Urteil nicht nachgekommen ist, kann sie erneut klagen und finanzielle Sanktionen beantragen.

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