KURIER-Konfrontation der Spitzenkandidaten: "Die EU weiß nicht, was sie will"

KURIER-Konfrontation der Spitzenkandidaten: "Die EU weiß nicht, was sie will"
Für den KURIER stellten sich alle Spitzenkandidaten den Fragen der Chefredaktion und des Publikums.
Der Saal war voll, das Interesse groß: In den Kasematten von Wiener Neustadt ließ der KURIER die Spitzenkandidaten zur EU-Wahl miteinander diskutieren. Und es lag an Chefredakteur Martin Gebhart und Herausgeberin Martina Salomon, die Protagonisten politisch auf Herz und Nieren zu prüfen.
Der Beginn der "Elefantenrunde" stand unter dem Eindruck der jüngsten Verwerfungen in der Grünen Partei und rund um die Kandidatur von Lena Schilling. Die junge Quereinsteigerin packte die Gelegenheit am Schopf, und ging vor Ort auf die aktuellen Vorhalten ein - insbesondere auf die Behauptung, sie wolle zur Linkspartei wechseln. "Ich weise das in aller Härte zurück" (Video siehe hier).
 
Abgesehen davon verlief der Abend weitgehend sachlich und entlang der großen Themen, mit denen sich Europa und das EU-Parlament auseinanderzusetzen haben (die gesamte Diskussion können Sie hier nachsehen: KURIER-Elefantenrunde).
 
Gefragt, was denn der größte Fehler bzw. die größte Schwäche der EU ist, antworteten die Spitzenkandidaten durchaus unterschiedlich.
Für ÖVP-Listenführer Reinhold Lopatka liegt die Schwäche der EU vor allem darin, zu viele Themen an sich zu ziehen und sich um Details zu kümmern, anstatt die großen Themen zu beackern. Auch die Versäumnisse beim Außengrenzschutz prangerte Lopatka an - hier sei noch viel zu tun.
Elefantenrunde: EU-WAHL 2024
Für den Sozialdemokraten Andreas Schieder haben Brüssel bzw. die EU insofern ein Problem, als man zu wenig mit einer Stimme spricht. Und auch den Umstand, dass unter den einzelnen Mitgliedsstaaten noch Steuer-Oasen geduldet werden, möchte Andreas Schieder insofern gelöst wissen, als man diesen Umstand mit Mehrheitsbeschlüssen und nicht nach dem Einstimmigkeitsprinzip ändern muss.
Elefantenrunde: EU-WAHL 2024
Harald Vilimsky, Spitzenkandidat der Freiheitlichen, beantwortet die Frage nach der größten Verfehlung der EU damit, "dass sie nicht weiß, was sie will". Was vor EU-Wahlen versprochen wurde, werde nach dem Wahltag nicht eingehalten. Zudem gehe der "Zug zur Zentralisierung" weiter.
Elefantenrunde: EU-WAHL 2024
Bleiben Lena Schilling und Helmut Brandstätter: Für die Grüne kommuniziert Europa zu wenig. "Den Menschen ist zu wenig klar, was im EU-Parlament gemacht wird." Man müsse in Beisln und auf der Straße erzählen, was Europa tue.  "Die EU-Politiker begeistern zu wenig!" Das ist ein wenig auch der Eindruck von Neos-Frontrunner Brandstätter. Er wirft Europa vor allem vor, sich von den Regierungschefs den klassischen innenpolitischen Trick gefallen zu lassen, der da lautet: Bei EU-Räten treffen die Regierungschefs allenfalls unpopuläre Entscheidungen, die sie später in ihren Heimatländern als einsame Entscheidungen "der EU" kritisieren.
Elefantenrunde: EU-WAHL 2024
Breiten Raum nahm bei der KURIER-Diskussion die Frage des Klimawandels bzw. des Green Deal ein: 
Während Schieder das "Recht auf Reparatur" einmahnte,  der Kreislaufwirtschaft das Wort redete und der Europäischen Volkspartei vorhielt, den Ausbau von Solarpaneelen zwar zu fördern, aber zu wenig auf das Prinzip "Made in Europe" zu achten, versuchte Lopatka Europas Verantwortung beim weltweiten Klimawandel in den Mittelpunkt zu stellen. "Europa ist für acht Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich, China für 30", so der ÖVP-Mann. Der Kampf gegen den Klimawandel sei ein globales Anliegen, bei dem die EU vorangehen aber jedenfalls nicht im Alleingang lösen könne. 
Für die Grüne Lena Schilling ist klar, dass Mobilität, also besonders die umweltfreundliche Mobilität, noch immer zu teuer ist. "Die Bahn-Infrastruktur muss ausgebaut und billiger gemacht werden", so Schilling. 
Harald Vilimsky hält den Green Deal für eine "Masche", um in Europa wieder die Atomkraft zu etablieren. Und für Helmut Brandstätter zählt unter anderem der Hinweis, dass Wohlstand und Klimaschutz kein Widerspruch sein müssen und dürfen. "Natürlich ist es möglich, dass wir ab 2035 keine neuen Verbrennermotoren in Europa zulassen."
Elefantenrunde: EU-WAHL 2024

Politischer Gag

Kontroversieller wurde der Abend, als es um das Thema "Asyl und Migration" ging. Nachdem FPÖ-Abgeordneter Vilimsky das britische Modell erwähnte und auch lobte (die Briten wollen Migranten, die ohne Papiere ins Land kommen, nach Ruanda abschieben, Anm.), sprach Schieder von einem "politischen Gag", den man nun offenbar "nachhüpfen" wolle. Das sei aber ein "Riesen-Blödsinn".
 
Für Reinhold Lopatka steht außer Frage, dass der Außengrenzschutz dringend verbessert werden muss. "Asylverfahren sind an der Außengrenze der EU zu führen", sagt der ÖVP-Mandatar.
Und das ist im Übrigen eine Position, die auch Neos-Mann Helmut Brandstätter vertreten kann. "Nach außen muss Europa sicher sein, da sind wir uns einig."  Das gilt auch für Lena Schilling. Faire Asylverfahren, klare Verteilungsschlüssel (für Asylwerber bzw. Flüchtlinge, Anm.) in Europa. Damit hat die Grüne kein Problem. Sehr wohl aber mit Lagern an der EU-Außengrenze, wie sie in Griechenland etwa in Moria entstanden sind.

Hier geht es zur KURIER-Konfrontation mit den Spitzenkandidaten

 

Publikumsfragen

Was die Fragen der Zuhörenden angeht, ist das Interesse bunt gemischt. Ein KURIER-Leser will von  Lopatka wissen, wie er bzw. die Neos es mit der Sicherheitspolitik und der Neutralität so halten - immerhin sind die Pinken die einzige Partei, die klar für eine europäische Armee eintreten. Brandstätter antwortet, "dass uns die Neutralität nicht beschützt", das hätten Ländern wie Belgien erleben müssen.  "Innerhalb der EU ist Krieg undenkbar". Aber ein Angriff von außen - etwa von Russland - sei spätestens seit dem Angriff auf die Ukraine nicht nur denkbar, sondern durchaus realistisch.
Andreas Schieder wird von einer Zuhörerin gefragt, warum EU-Politiker so oft und viel nach Brüssel fliegen. "Immerhin machen andere Menschen ja auch Home Office". Der Sozialdemokrat erklärt dies damit, dass man bei politischen Verhandlung dem Gegenüber einfach in die Augen schauen müsse. Koordinierungssitzungen und kurze Absprachen würden ohnehin digital oder via Telefon passieren. 

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